„Mr Gay Syria“ hätte ein schrecklicher Film werden können. Nicht im Sinne von schwach oder belanglos, sondern weil die jungen Männer, die hier sprechen, in ständiger Angst vor Gewalt leben. Wie Husein, der aus Syrien in die Türkei geflohen ist. Ein deutscher Freund von ihm erzählt, dass in seiner alten Heimat der Islamische Staat homosexuelle Männer wie ihn von Häuserdächern warf, um sie nach dem Aufprall zu Tode zu steinigen. Mit Fotos auf Hausdächern will er auf diese unfassbare Gewalt aufmerksam machen. Die Bilder sollen dieser schrecklichen Realität etwas Positives entgegensetzen: Denn wer auf den Fotos zu sehen ist, ist am Leben.
Auch in Syrien gab es hohe Gebäude, nun sind viele davon zerstört. Das Haus, auf dessen Dach die beiden Fotos machen, steht nicht in Afrin, wo Husein aufwuchs, sondern in Istanbul. Und die Luft ist hier anders, sie schmeckt nicht so gut, findet er. Husein und seine Familie sind vor dem Krieg geflohen. Sie teilen sich hier in der Türkei eine Wohnung und leben am Wochenende auf engstem Raum. Das ist besonders kompliziert, weil Husein seinen Eltern erst verschweigt, dass er schwul ist. Zum Schein hat er sogar eine Frau geheiratet und lebt hier mit ihr und seiner Tochter, der er irgendwann jenseits der Türkei ein freies Leben ermöglichen will. Unter der Woche führt er ein Doppelleben in der Szene, und zu bleiben ist für keinen der Männer eine Perspektive. Denn auch in der Türkei werden sie systematisch diskriminiert.
Die Geschichte hinter der Geschichte: Um den Film zu drehen, brauchte es eine Crowdfunding-Kampagne
In einer ausweglosen Situation braucht man Freunde: Husein verbringt viel Zeit mit Mahmoud Hassino, der einst ebenfalls in die Türkei floh und mittlerweile in Berlin lebt. Der Journalist und Autor gilt als Wegbereiter für die Rechte von schwulen Männern in Syrien, gründete dort etwa das erste Blog für die Szene namens „Mawaleh“ (arabisch für Nüsse). „Mr Gay Syria“ von Ayşe Toprak erzählt nicht nur von Huseins Schicksal, sondern auch von Mahmouds Kampf für dessen Rechte. Und von Mahmouds neuester Idee, die tatsächlich filmreif ist: Es soll endlich einen syrischen Kandidaten für den internationalen Schönheitswettbewerb Mr. Gay World geben.
Begleitet von der Kamera diskutieren die beiden mit Freunden über die Möglichkeit, die syrische Perspektive auf das Schwulsein sichtbar zu machen. Und wenn die Wahl eines Schönheitskönigs schon nicht in Syrien möglich ist, dann findet sie eben in Istanbul statt. Als sie einen Ort gefunden haben und neben Husein vier Jungs kandidieren wollen, wagt Husein wieder zu hoffen. Gewinnt er hier, könnte er als syrischer Kandidat offiziell über die EU-Grenze nach Malta reisen, wo das große Finale stattfindet: Der Sieger wird Mr. Gay World. Für Husein wäre das ein lang ersehnter Schritt in die Freiheit.
In der Türkei wurde „Mr Gay Syria“ bislang nicht veröffentlicht
Husein kämpft wie letztlich auch der Film selbst um seine Rechte, seine Freiheit und die Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft. So wurde „Mr Gay Syria” zum Schutz von Huseins Identität in der Türkei bisher nicht veröffentlicht. Und schon im Vorfeld war nichts einfach: Die Produktion war schwierig zu finanzieren, meint Mahmoud Hassino, weil der Film mit einer türkischen Regisseurin und syrischen Protagonisten durch das Raster der europäischen Filmfinanzierung fiel und sich niemand dafür interessierte. Nur per Crowdfunding war es möglich, über Jahre zu drehen und die Geschichte zu erzählen.
Die Initiative kam von Hassino selbst, der durch das Kino Aufmerksamkeit für die Sache schaffen wollte. Das Ergebnis schenkt den jungen Männern zumindest im Kino einen neuen Bewegungsraum und die Freiheit, zu atmen.
Foto: Les Films d’Antoine / COIN FILM / Toprak Film / Bradley Secker