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Hänger im Roggen

Déjà-vu! Auch im Eröffnungsfilm der Berlinale „My Salinger Year“ geht es um die junge Assistentin eines großen Mannes. Hier hört die Spannung aber auch schon wieder auf

My Salinger Year, Berlinale

Worum geht’s?

New York, Mitte der 90er-Jahre: Joanna hat ihr Studium in der Tasche und träumt davon, Schriftstellerin zu werden. Zunächst fängt sie jedoch als Assistentin in einer Verlagsagentur an. Während ihre beste Freundin klagt, dass sie in ihrem Job dauernd „diese E-Mails“ bekomme, wirkt Joannas Büro wie ein Relikt aus der Vergangenheit: Schreibmaschinen, Diktiergeräte und Karteikarten gehören zur Ausstattung; Computer erklärtermaßen nicht. Zum angestaubten Glanz der Agentur gehört, dass ihr prominentester Kunde der weltberühmte J.D. Salinger ist, der allerdings seit 30 Jahren nichts veröffentlicht hat. Joanna muss die Fanpost seiner Leserschaft auswerten und mit Standardbriefen antworten. Als Salinger eine ältere Story als Buch herausbringen will, kommt aber auch Joanna mit dem kauzigen Autor des Bestsellers „Der Fänger im Roggen“ in Kontakt.

Auch in „The Assistant“ geht es um die junge Assistentin eines großen Mannes – nur bleibt einem dabei die Spucke weg

Was zeigt uns das?

Was durch den Titel vor allem nach literarischem Gossip klingt, ist im Kern die Emanzipationsgeschichte einer jungen Frau. Joanna hat neben ihren Träumen eine große Unsicherheit darüber, welche Rolle in der Gesellschaft ihr als Frau eigentlich zusteht. In der Agentur lässt sie sich herumkommandieren und bedankt sich selbst für unterfordernde Aufträge. Joannas neuer Freund ist derweil ein Musterbeispiel für male entitlement: ein Möchtegern-Literat, der ständig an ihrer Stelle spricht, mit seiner Weltanschauung hausieren geht und sich finanziell aushalten lässt. Schließlich erinnert sie ausgerechnet good old Jerry Salinger an ihre Ambitionen: „If you’re a poet, keep writing every day!“

Wie wird’s erzählt?

Wie ein lauwarmer Arthousefilm mit genau einem Regie-Einfall: Wenn Joanna Salingers Leserbriefe liest, stellt sie sich in Tagträumen die rührenden, schrägen oder zutiefst melancholischen Menschen hinter den Briefen vor. Wer einen klügeren und witzigen Film über künstlerisch ambitionierte Twenty-Somethings in New York sehen will: besser „Frances Ha“ anschauen!

She said it

„Ich will nicht als weitere Person gesehen werden, die aus seinem Leben Kapital schlägt, aber ich habe nicht das Gefühl, dass es überhaupt eine Geschichte über Salinger ist.“

Joanna Rakoff hat die gleichnamige Buchvorlage über ihre Zeit in der Salinger-Agentur geliefert. Schon davor schrieb sie darüber Artikel, ein Radiofeature und sogar eine BBC-Doku. Und nun gibt es diesen Hollywoodfilm. Welche Rolle der Ruhm von Salinger wohl in ihrer Karriere gespielt hat?

Good Job

Es ist klar, dass ein Film wie „My Salinger Year“ vor allem wegen Sigourney Weaver auf der Berlinale läuft. Ihr Auftritt als mondäne Grande Dame der New Yorker Kulturschickeria ist das einzige Highlight des Films.

FYI

Der Film erzählt nicht, dass die Buchveröffentlichung von „Hapworth 16, 1924“, Salingers 1965 im „New Yorker“ publizierter Novelle, noch in letzter Minute platzte: Da die Info gegen den Willen des Autors in die Presse gelangt war (und der Text vorab in der „New York Times“ verrissen wurde), zog Salinger das Buch zurück. Seit seinem Tod im Jahr 2010 arbeitet sein Sohn Matt Salinger daran, den umfangreichen Nachlass, darunter etliche fertiggestellte Romane, posthum zu veröffentlichen. Das dürfte zu einer Neubetrachtung Salingers führen, dessen Hauptwerk noch immer die Blaupause vieler Coming-of-Age-Bücher ist und zu den erfolgreichsten Romanen aller Zeiten zählt.

Ideal für …

Salinger-Fans – könnte man meinen. Wer J.D. aus der pubertären Lektüre aber in guter Erinnerung hat (wie der Autor dieser Zeilen), sei vorgewarnt.

„My Salinger Year“ (Berlinale Special Gala, Kanada/Irland 2020) feierte am 20.2. auf der Berlinale Weltpremiere. Mehr Infos gibt es hier.

Titelbild: micro_scope

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.