Seit mehr als einem Jahr können der französische Innenminister und die Polizei eigenständig Webseiten sperren, radikale Vereine auflösen, Demonstrationen verbieten, Hausarreste verhängen, Hausdurchsuchungen – auch nachts – anordnen. Letzteres ohne richterlichen Beschluss. Was ursprünglich eine Reaktion auf die Terroranschläge in Paris und begrenzt auf zwölf Tage war, ist inzwischen Alltag.

Der nach den Attentaten im Club Bataclan und an anderen Pariser Orten verhängte Ausnahmezustand wurde bisher fünf Mal verlängert, derzeit bis Juli 2017. Laut Innenminister Bruno Le Roux ist die Terrorgefahr im Land noch „nie so groß gewesen wie heute“.

Im Parlament regt sich denn auch wenig Kritik gegen die derzeitige Politik. Im Gegenteil: Der einzige wahrzunehmende Protest kommt von der republikanischen Opposition und richtet sich gegen ein vermeintlich zu lasches Vorgehen des Präsidenten François Hollande. Ihr geht der Ausnahmezustand nicht weit genug. Der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy etwa sprach im vergangenen Jahr von einem „totalen Krieg“ gegen den Terror. Es gehe darum, endgültig zu entscheiden, wer gewinne: „sie oder wir“.

So bleibt die Sicherheit Staatsziel Nummer eins. Dafür werden auch Einschränkungen der Freiheit hingenommen. Im ersten halben Jahr des Ausnahmezustands etwa führten die Sicherheitsbehörden 3.549 Hausdurchsuchungen durch, auf die hin es 592 Anklagen gab. In zehn Prozent der Fälle kam es zu Haftstrafen – nicht allzu viele, kritisieren Bürgerrechtler. Amnesty International berichtet zudem von zahlreichen Polizeimaßnahmen, bei denen Hausbewohner geschlagen und gedemütigt worden seien. Vor allem Muslime seien von Attacken der Polizei betroffen. Eine Studie der Pariser Hochschule Sciences Po zeigt, dass mehr als die Hälfte der Polizisten und Berufsmilitärs in Frankreich dem fremdenfeindlichen Front National zugeneigt sind.

„Seit Inkrafttreten des Ausnahmezustands am 14. November 2015 in Kontinentalfrankreich und am 19. November in den Übersee-Départements haben die Maßnahmen Wirksamkeit gezeigt; so konnten einige Personen, die in direkter Verbindung zur Dschihad-Bewegung stehen, sowie kriminelle Netzwerke, die den Terrorismus unterstützen, destabilisiert werden“, erklärte die Regierung im Dezember vergangenen Jahres, als der Ausnahmezustand erneut verlängert wurde. Gleichwohl konnten auch die Notgesetze einen Anschlag wie im Juli 2016 in Nizza nicht verhindern. Dort raste ein Attentäter mit einem Lkw in eine Menge und tötete 86 Menschen.

Zuweilen werden die Befugnisse, die der Ausnahmezustand ermöglicht, auch für Maßnahmen genutzt, die sich nicht direkt gegen den Terror richten. Anlässlich des Weltklimagipfels in Paris Ende 2015 verbot die französische Regierung – aus Sicherheitsgründen – sämtliche Großdemonstrationen, zu denen bis zu 300.000 Menschen in der Hauptstadt des Landes erwartet wurden.

Viele der Notstandsbefugnisse sind mittlerweile Teil der Antiterrorgesetze von 2016 geworden und damit in normales Recht übergegangen. So ist nach einer der neuen Regelungen bereits das wiederholte Besuchen von dschihadistischen Webseiten strafbar. Ein Gericht im französischen Département Ardèche verurteilte Ende 2016 einen 32-Jährigen zu zwei Jahren Gefängnis und 30.000 Euro Strafe, weil er Webseiten besucht hatte, die sich für einen Glaubenskrieg aussprachen. Bürgerrechtler kritisierten das zugrunde liegende Gesetz als „ausufernd“, da es die Meinungs- und Informationsfreiheit behindere. Im Februar kassierte das französische Verfassungsgericht das Gesetz, weil es unverhältnismäßig sei.