Statt Selbstverwirklichung und Glück beschert die Arbeit vielen Menschen nur ein Gefühl der Angst und inneren Leere. Sagt zumindest der Philosoph und Essayist Robert Menasse. Er ist davon überzeugt, dass wir vieles längst Maschinen überlassen könnten, um uns sinnvolleren Tätigkeiten zuzuwenden.
fluter: Hallo Herr Menasse, ist das eigentlich Arbeit, was wir hier gerade machen?
Robert Menasse: Sie meinen, ein Interview zu führen? Das kommt ganz darauf an. Ich habe schon Interviews erlebt, die Schwerstarbeit waren und bei denen ich mich am Ende nicht mehr wiedererkannt habe. Es gab aber auch sehr anregende Gespräche, bei denen ich am Ende ein glücklicher Mensch war.
Wenn es schwer ist, ist es also Arbeit?
Das scheint die logische Antwort zu sein. Man muss zwischen arbeiten und tätig sein unterscheiden. Wenn die Arbeit dazu führt, dass man sich dabei selbst erfährt und seinem Leben einen Ausdruck gibt, dann ist sie nicht entfremdet und eine vernünftige Tätigkeit. Wenn die Tätigkeit dagegen trostlos und entfremdet ist, ist es auf jeden Fall Arbeit.
Soll das heißen, dass Arbeit nicht der Selbstverwirklichung dienen oder Spaß machen kann?
Ich habe nie verstanden, warum sich Menschen so süchtig über Arbeit definieren wollen und ihr Dasein als sinnhaftes Mitglied der Gesellschaft nur über ihre Arbeit definieren.
Vielleicht, weil es in der Arbeitswelt am einfachsten ist, sich in vorgegebene Muster zu fügen und klar abgemachte Ansprüche zu erfüllen.
Aber es ist doch allzu deutlich, dass der gesamte Arbeitsmarkt von Menschen wimmelt, die entweder eine nicht sinnvolle, nicht befriedigende oder gar eine selbstzerstörerische Arbeit machen. Menschen, die ihre Arbeit mit Angst und nicht mit Befreiung verbinden: Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Angst vor Sanktionen, Angst, die Arbeit nicht zu schaffen. Ich habe die Wollust nie verstanden, die von der Arbeit ausgehen soll.
Ihre Arbeit sieht aber ganz wollüstig aus. Den halben Tag sitzen Sie hier im Kaffeehaus und lesen Zeitungen.
Schon Walter Benjamin hat gesagt, dass der Künstler die Möglichkeit hat, seinen Müßiggang als Teil seiner Arbeit auszustellen. Und da ist was dran. Was da im Café an Weltvernetzung stattfindet im Gegensatz zu denen, die von neun bis fünf in ein und demselben Büro sitzen. Ich hingegen kann fünf internationale Zeitungen lesen, auch wenn es darüber elf wird. Anschließend treffe ich Menschen, die ebenfalls an den Weltläufen interessiert sind, und dann diskutiert man. Das ist ja alles die notwendige Unterfütterung, um sich dann wieder als Solipsist an den Schreibtisch zu setzen und sich etwas Vernünftiges abzuringen.
Wir können aber nicht alle Philosophen werden.
Es geht darum, Dinge zu tun, die man gern tut, und nicht aufzuhören dazuzulernen und nicht immer dieselben Handgriffe zu machen. Die Menschen sollen keine schlechte Maschine innerhalb einer gut geölten Maschinerie sein. Das bedeutet nicht, dass man von einem weltabgewandten Leben träumt. Denn in der Regel wird sich das, was einem Freude bereitet, mit sozialer Verantwortung und Bedeutung aufladen.
Es ist viel von der Zunahme entfremdeter Arbeit die Rede. Was bedeutet Entfremdung in Hinsicht auf Arbeit?
Der Entfremdungsbegriff ist vielschichtig. Für mich ist der Philosoph Baruch de Spinoza zentral, der zu Beginn der Aufklärung das Postulat aufstellte, nie eine Arbeit zu tun, die direkt oder vermittelt anderen Schaden zufügt. Zu Zeiten der Leibeigenschaft und Sklaverei war so eine Forderung vollkommen logisch. Es war klar, dass die Arbeit mit dem Anbruch einer neuen Zeit eine soziale Dimension erhalten muss und der Knecht seine Fertigkeiten so ausführt, dass er letztlich frei wird. Ist dieser Anspruch heute in Vergessenheit geraten? Heute haben viele Menschen im Konkurrenzkampf um die Arbeitsplätze eine fast hundertprozentige Ignoranz gegenüber diesem Anspruch. Jeder ist bereit, jede Arbeit zu machen – und sei sie noch so schädlich für andere, für die eigene Seele, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt oder den eigenen Körper. In schöner kapitalistischer Selbstverständlichkeit sagt man in Amerika gern dazu: „It’s my job.“ Das hat für mich einen ähnlichen Klang wie das „Ich habe nur meine Arbeit gemacht“ der Vollstrecker in Diktaturen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Arbeit ein Verhängnis sei. Sieht denn aber nicht die Mehrheit der Menschen die Arbeit als Mittel zum Zweck, um danach die Freiheit zu haben, sich Dinge leisten zu können, beispielsweise einen Urlaub oder ein Auto?
Das ist doch lange vorbei – der Glaube, dass man durch Arbeit die Möglichkeit erhält, in einem gewissen Luxus zu leben. Heute geht es doch bei den meisten darum, mit dem Gehalt einigermaßen die Wohnung und die Ernährung zu bezahlen. Oder das Bier in der Stammkneipe, in die man sich ohne einen Arbeitsplatz nicht mehr hineintraut. Es ist doch billiges Blendwerk, zu glauben, dass man sich durch Arbeit Wünsche erfüllen kann und sich statt mit der Freiheit mit einer Art Freizeit-Freiheit als Ersatz zu begnügen.
Was schlagen Sie vor, um die Menschen zu befreien?
Es muss strukturelle Änderungen geben. Schauen wir uns mal die Kohle-Kumpel an. Jeder weiß, dass deren Arbeit mörderisch und sinnlos ist. Sie zerstört die Gesundheit der Arbeiter, die Umwelt, den Planeten. Gleichzeitig ist sie nicht mal profitabel, sondern wird massiv staatlich gefördert. Mit anderen Worten: Die Steuerzahler fördern Arbeitsplätze, die zu Zerstörungen führen, deren Beseitigung wiederum der Steuerzahler zahlen muss. Billiger und verantwortungsvoller wäre es, all diesen Menschen mit den Subventionen ihre Gehälter weiter zu bezahlen – unter der Bedingung, dass sie nicht mehr in die Grube fahren. Das wäre wesentlich billiger, nicht nur unmittelbar, sondern vor allem langfristig hinsichtlich der Verwüstungen, die fossile Brennstoffe anrichten. Es heißt ja nicht, dass diese ehemaligen Kohle-Kumpel nicht tätig werden können. Sie könnten studieren, sich fortbilden, irgendwelche Bürgerinitiativen gründen und sich für soziale Anliegen einsetzen.
Sollte es ein Grundeinkommen für alle Menschen geben? Also auch für die, die nicht arbeiten und keine Arbeit suchen?
Das ist unvermeidlich, denn das Wunder, unendliches Wachstum bei endlichen Ressourcen zu erreichen, wird es nicht geben. Es wird immer offensichtlicher, dass aller technologischer Fortschritt, der mit dem ideologischen Getöse der Arbeitserleichterung daherkommt, letztlich zu Mehrarbeit führt, anstatt uns von der Arbeit zu befreien. Schon früh wurden Maschinen erfunden, um die Handarbeit zu ersetzen. Das hat aber schon damals weniger zur Verringerung der Arbeit geführt, sondern vor allem zur Steigerung der Produktivität. Heute versucht man, auf der Basis technologischer Innovationen und völliger Überproduktion immer wieder Tricks zu finden, um das Wachstum zu steigern. Anstatt zu sagen: Wir nutzen die Technologie, die Maschinen, Computer und Roboter, um uns die Arbeit abnehmen zu lassen und uns sinnvolleren Tätigkeiten zu widmen. Wir lernen auf den Gymnasien viel über die Schönheit der Demokratie und die Freiheit in der griechischen Antike, die aber nur auf der Basis einer Sklavenhaltergesellschaft möglich war. Heute benötigen wir keine Sklaven mehr, um dieses Ideal zu erreichen, sondern nur die Maschinen, die wir eh haben.
Mit einem Laptop kann ich mich ins Café setzen und viele Jobs erledigen. Man kann eine Produktidee realisieren, ohne eine Fabrik zu besitzen. Man kann ein Blog betreiben, ohne Verleger zu sein. Ist durch das Internet nicht ein bisschen mehr Freiheit im Arbeitsprozess erreicht worden?
Im Moment schaut es danach aus. Es gibt ja durchaus Entwicklungen und Möglichkeiten, sein Auskommen zu finden, die lange nicht denkbar waren. Andererseits ist das doch nur ein ideologischer Baldachin über einer realen Zwangssituation. Es gibt immer weniger klassische Arbeitsplätze und immer mehr Konkurrenz darum, und es gibt den enormen Druck, seine eigenen Jobs zu erfinden, ein Selbstständiger oder Kreativer zu sein. Das bedeutet aber nicht, dass das sinnvollere oder nachhaltigere Dinge sind. Der Druck bedeutet vielmehr, dass man sich auf dem Arbeitsmarkt Nischen neuer entfremdeter Arbeit sucht, in denen man kaum Unterstützung erfährt. Ein Manager eines Großkonzerns ist formal ein Angestellter und mithin im Schutz der Gewerkschaften, aber ein neuer Selbstständiger, eine Ich-AG, die von Projekt zu Projekt am Existenzminimum entlangschrammt, gilt formal als Unternehmer und ist nicht durch eine Gewerkschaft geschützt. Das ist grotesk und ein soziales Desaster.
Sie sagen, dass die Arbeit letztlich das zerstört, was sie verspricht: Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit.
Es ist schon sehr destruktiv, dass viele Menschen für Geld jederzeit bereit sind, Jobs mit verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt und die Freiheit anderer Menschen auszuüben. Für mich sind das Mittäter an den sozialen Verwüstungen.
Die meisten benötigen das Geld zum Leben, und manche ziehen vielleicht eine Befriedigung daraus, Anerkennung für ihre Arbeit zu bekommen oder dafür, dass sie ihre Familie ernähren.
Ich bestreite ja nicht, dass man durch Lohnarbeit die Substitute von Freiheit erlangen kann. Dass man etwa im sozialen Umfeld anerkannter ist als ein Arbeitsloser. Und natürlich gibt es den Alleinverdiener, der stolz darauf ist, vom Skikurs der Kinder bis hin zur Kleidung der Frau alles zu bezahlen. Aber das ist ein ideologischer, geliehener Stolz. Denn letztlich sieht sich der Alleinverdiener von Menschen umgeben, die von ihm abhängig sind.
Ist es nicht auch ideologisch, so jemandem seine Selbstverwirklichung abzusprechen?
Ich möchte es ihm ja nicht absprechen, ich bin sogar bereit, das in manchen Fällen zu bewundern. Aber es entspricht dennoch nicht den Freiheitsmöglichkeiten, die in der heutigen Zeit gegeben sind. Man könnte jedem Menschen garantieren, sinnhaft tätig zu werden. Und beim jetzigen Stand der Produktion und der technischen Möglichkeiten das Fortkommen aller Menschen garantieren – ohne Ausbeutung und Zerstörung. Diesen Job müssen wir erledigen.
Robert Menasse, 56, lebt in Wien und studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft. Zuletzt veröffentlichte er im Suhrkamp-Verlag das Buch „Permanente Revolution der Begriffe – Vorträge zur Kritik der Abklärung“.