Kultur

Suchen Newsletter ABO Mediathek

Spiel die Depression

Videospiele wimmeln oft nur so vor Klischees über Menschen mit psychischen Erkrankungen. Wir stellen fünf Games vor, die es anders machen

  • 6 Min.
Sea of Solitude

Psychische Erkrankungen sind weit verbreitet. Fünfzehn Prozent der Deutschen sind beispielsweise von einer Angststörung betroffen, und fast zehn Prozent erkranken irgendwann im Verlauf ihres Lebens an einer Depression. Doch in Videospielen sucht man oft vergeblich nach klischeefreien Darstellungen von psychischen Erkrankungen. Psychiatrische Anstalten sind häufig lediglich der Rahmen für Horrorspiele, Patient*innen werden zum Auslöser für den Horror, zur Gefahr und Bedrohung für den*die Spieler*in gemacht.

Wir stellen fünf Spiele vor, die die Perspektive wechseln und versuchen, psychische Erkrankungen aus der Sicht der Betroffenen darzustellen. Damit haben sie gleich zwei Effekte: Außenstehenden wird ermöglicht, sich in die Situation Betroffener hineinzuversetzen, und Menschen, die unter psychischen Problemen leiden, kann das Gefühl gegeben werden, nicht allein zu sein.

„Celeste“ – Gemeinsam durchatmen

Mit psychischen Erkrankungen zu leben kann sich für die Betroffenen wie Dauerbergsteigen anfühlen. So ähnlich ist das auch in „Celeste“. In diesem „Plattformer“ (also einem Spiel, in dem man sich von einer Plattform zur nächsten bewegt) springst du als die queere Protagonistin Madeline von einem Gebirgsplateau zum nächsten und erklimmst dabei den kanadischen Berg Mount Celeste. Madeline leidet an Depressionen und Panikattacken, und besonders letztere werden in diesem Spiel sehr gut dargestellt: Während einer Gondelfahrt erlebt Madeline eine Panikattacke – in ihrem Fall eine intensive körperliche Stressreaktion, die zu Atemschwierigkeiten führt. Ihr neu gewonnener Freund Theo schlägt gemeinsame Atemübungen vor, um die Situation zu überstehen: Madeline soll sich eine Feder vorstellen, die sie durch Ein- und Ausatmen in der Luft halten muss. Damit startet ein Mini-Game, bei dem du als Spieler*in eine Feder in der Mitte des Bildschirms balancieren sollst. Besonders schön ist dabei zu sehen, wie schnell Theo den Ernst der Lage erkennt und wie es ihm gleichzeitig gelingt, ruhig zu bleiben. In „Celeste“ versetzt man sich also nicht nur in Madelines Lage – ihre Wut, ihre Angst und ihre hohen Selbstansprüche –, sondern sieht auch, wie wichtig ein unterstützendes Umfeld für Menschen mit psychischen Erkrankungen sein kann.

CELESTE von Maddy Thorson/Matt Makes Games (2018, für PC, Mac, Linux, Nintendo Switch, PlayStation 4, Xbox One, 19,99 Euro)

„Just, Bearly“ – Es ist okay, kein starker Bär zu sein

Um erhöhte Ängstlichkeit geht es auch in „Just, Bearly“, nur dass hier der Fokus auf sozialen Ängsten liegt. In dem Spiel begleitest du einen Bären durch eigentlich alltägliche Situationen, die für ihn allerdings ziemlich furchteinflößend sind. Dabei musst du zum Beispiel Kaffee holen gehen, vor Menschen sprechen, flirten und den Blicken der anderen Bahnpassagier*innen standhalten. All diese Tätigkeiten werden bei „Just, Bearly“ zu kleinen Spielen, deren innere Logik du jeweils in so kurzer Zeit verstehen musst, dass es kaum möglich scheint, die Kontrolle über die Situation zu erlangen. So generieren diese Mini-Games Stresssituationen und illustrieren, wie anstrengend sich das Leben für Menschen anfühlen kann, die mit erhöhter Ängstlichkeit und Nervosität zu kämpfen haben.

Just, Bearly von Daniel J. Roberts (2017, für PC, kostenlos)

„Sea of Solitude“ – Überflutete Gedanken

„Sea of Solitude“ spielt sich wie ein „Walking-Simulator“, also ein Game, in dem es vor allem darum geht, sich durch eine Gegend zu bewegen und sie so zu erkunden. Die „Gegend“ ist in diesem Fall die Psyche der Protagonistin Kay. Du steuerst sie und ihr Boot durch eine überflutete verlassene Stadt. Es regnet, es ist dunkel, düster und unangenehm. Im Wasser begegnen ihr immer wieder Monster, die sie beleidigen, an negative Erlebnisse erinnern und, wenn sie bei ihren gelegentlichen Schwimmausflügen nicht aufpasst, auffressen. Im Laufe des Spiels wird klar, dass die Monster einsame oder verletzende Momente darstellen, die Kay und ihr Umfeld geprägt haben: Erlebnisse aus Kays toxischer Beziehung, die Trennung ihrer Eltern, die Mobbingerfahrungen ihres kleinen Bruders. „Sea of Solitude“ ist nicht immer ganz stimmig: Die Steuerung hakt, die Monster-Metaphern wechseln zu schnell, und die Gegensätze hell/dunkel und gut/böse kommen oft etwas platt daher. Aber das Spiel zeigt eine ästhetisch beeindruckende und düstere Reise durch die Welt der Einsamkeit. Dabei ist es sehr wohltuend, Kay zuzusehen, wie sie letztendlich lernt, ihre dunkleren Seiten zu akzeptieren, Fehler einzugestehen, anderen zuzuhören und vor allem die verletzten Anteile in ihr loszulassen.

Sea of Solitude von Cornelia Geppert/Jo-Mei Games (2019, PC, PlayStation 4, Xbox One, ab März Director’s Cut für Nintendo Switch, 19,99 Euro)

„Depression Quest“ – Die Qual, keine Wahl zu haben

„Depression Quest“ ist ein sogenanntes „Textadventure“ über – wie der Name schon sagt – Depressionen. In kleinen Texteinheiten, in denen du dich durch den Alltag einer erkrankten Person bewegst, stellt das Spiel wichtige Aspekte eines Lebens mit Depressionen dar: Antriebslosigkeit, soziale Ängste, zwanghaftes Grübeln, die oft nur mit therapeutischer Hilfe und Medikation in den Griff zu bekommen sind. Am Ende dieser Texteinheiten stehen unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten. Allerdings sind nicht alle davon tatsächlich auswählbar. Wenn du beispielsweise entscheiden musst, wie du deinen Abend verbringen willst, erscheint neben den Möglichkeiten, dich im Bett zu verkriechen oder fernzusehen, auch die Option, etwas zu essen zu bestellen und etwas Kreatives zu machen. Das Problem: Die letzte Option wird dir in einer roten, durchgestrichenen Schrift präsentiert. So wird deutlich, dass der Hauptfigur zwar bewusst ist, was „gesundes“ oder hilfreiches Verhalten wäre, dass die Umsetzung dessen aber viel schwieriger ist als bei einer gesunden Person, vielleicht sogar unmöglich – weil man die Energie dazu schlicht nicht aufbringen kann. So vermittelt „Depression Quest“ mit sehr einfachen visuellen Mitteln, wie auslaugend ein Leben mit Depressionen sein kann. Dabei wird klar, dass die depressive Person keine Schuld an ihrer Krankheit trägt, auch wenn es sich für sie manchmal so anfühlen mag.

Depressionquest von Zoë Quinn (2013, für Browser, PC, Mac und Linux, kostenlos)

„Night in the Woods“ – Vertraust du mir?

Das Erwachsenwerden hat so seine Aufs und Abs. Auch für Mae, die aufgrund psychischer Probleme ihr Studium abbricht und zu ihren Eltern nach Possum Springs zurückkehrt, einer wirtschaftlich gebeutelten amerikanischen Kleinstadt. Die meiste Zeit des Spiels geht es darum, die ehemalige Kohlestadt, die ökonomischen Verhältnisse und die nicht immer einfache Beziehung zwischen Mae und ihren alten Freund*innen Gregg, Angus und Bea zu erkunden. Jede*r von ihnen trägt psychische Belastungen mit sich herum: eine verstorbene Mutter, eine bipolare Störung oder missbräuchliche Beziehungen. Mae selbst hat mit Aggressionen und Stimmungsschwankungen zu kämpfen und erlebt oft das Gefühl, sich selbst und anderen fremd zu sein. Ihre Eindrücke hält sie in ihrem Tagebuch fest, wie es ihr eine*r der wenigen Ärztinnen und Ärzte der Stadt empfohlen hat. Neben gemeinsamen Pizza-Abenden und Bandproben werden schwierige Gespräche geführt und mysteriöse Abenteuer erlebt. Erst nach und nach öffnen sich die Freund*innen und bauen wieder Vertrauen auf. So zeigt „Night in the Woods“, wie schwierig, aber auch wie wichtig und schön gegenseitiges Anvertrauen sein kann.

Night In The Woods von Infinite Fall (2017, für PC, Mac, Linux, Nintendo Switch, PlayStation 4, Xbox One, 18,99 Euro)

Anmerkung der Redaktion: Wenn es dir über Wochen hinweg psychisch schlecht geht, wende dich an Profis. Die Telefonseelsorge ist eine erste Anlaufstelle (0800 111 01 11). Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung kannst du Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in deiner Nähe finden oder per Telefon (116 117) einen Termin vereinbaren lassen. 

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.