Die blaue Zahl rauscht in die Höhe. Eben stand sie noch bei „180 W“, jetzt zeigt die Anzeige „2.700 W“ an. Und alles nur, weil sich Tobi einen Tee machen will. Jacob Bilabel errechnet eigentlich CO2-Fußabdrücke für die Produkte großer Unternehmen. Heute aber berät er im fluter-Auftrag eine Studenten-WG in Berlin-Wedding. Dafür hat er „Wattson“ an seiner Seite, ein Elektrogerät aus England, das an die Hauptstromleitung angeschlossen wird und gnadenlos den Stromverbrauch in Echtzeit ermittelt. Und wenn Wattson recht hat, verbraucht der Wasserkocher gerade eine ganze Menge Strom. Die Altbauwohnung, in der Tobi, Clara, Florian und Hanna, wohnen, sieht auf den ersten Blick nach einer typischen WG aus. Nämlich so, als würden sich ihre Bewohner lieber um andere Dinge des Lebens kümmern, als um den Abwasch oder das Aufräumen. Was gleich auffällt: Die vier Studenten haben eine Menge Platz, was in Berlin nicht unüblich ist: 130 Quadratmeter verteilen sich auf vier Zimmer, Küche und ein Bad.
Apropos Bad. Unser CO2-Berater Jacob Bilabel ist noch vor dem ersten Kaffee unter der Dusche verschwunden – nicht etwa, um sich zu waschen, sondern um den Duschkopf zu kontrollieren, der eher älterer Bauart ist. Ein Sparduschkopf, so gibt er zu bedenken, benötigt nur die Hälfte des Wassers für das gleiche prickelnde Gefühl auf der Haut. Hanna schaut etwas skeptisch, wahrscheinlich hat sie Angst, dass sie sich die Haare demnächst mit Wasser aus einem tröpfelndem Schlauch waschen muss. Doch Jacob will ja gerade nicht zu einem Leben in Askese aufrufen, weil er weiß, dass das eh nichts bringt. „Es geht nicht darum, mit dem Taschenrechner durchs Leben zu gehen und jedes einzelne Gramm CO2 abzumessen“, sagt er, „ein schlechtes Gewissen ist der falsche Ansatz. Es kann keine Lösung sein, dass wir auf alles verzichten, was uns gut gefällt. Niemand soll wie ein Mönch leben. Das Ziel ist ein bewusster Umgang mit dem eigenen Verbrauch.“
Auf diesem Weg sind die vier WG-Bewohner sogar schon ziemlich weit: Sie trennen Müll, fahren kein Auto, Florian ist sogar Vegetarier. Und Clara sagt, dass sie ein schlechtes Gewissen bekomme, „wenn ich mit dem Flugzeug nach Spanien fliege“. Zwei der vier wissen auch, dass jeder Deutsche im Durchschnitt zehn Tonnen CO2 im Jahr ausstößt – zu viel, um das Klima effektiv zu schützen. Soll die Erdtemperatur bis 2050 nur um maximal zwei Grad steigen, damit die Folgen der Erderwärmung nicht existenzbedrohend werden, muss sich der Ausstoß auf etwa zwei Tonnen im Jahr verringern. „Aktuell erzeugen nur die Einwohner Bangladeschs und Äthiopiens so wenig “, erklärt Jacob. Bedeutet das etwa, dass sich unser Lebensstandard dem der Entwicklungsländer anpassen muss? Werden wir in Zukunft WGs in Lehmhütten gründen müssen, in denen wir bei Kerzenlicht Abend essen? Eben nicht, meint Jacob: „Aber 40 Prozent der durchschnittlichen CO2-Emissionen sind bedingt durch Essen und Konsum. An diesem Punkt müssen wir ansetzen.“
Also machen wir das: Wie sieht es z.B. im Kühlschrank der WG aus? In der Wohnung kaufen alle getrennt ein, gegessen wird dann oft gemeinsam. Viele Bio-Produkte, kaum Fleisch, Gemüse und Bananen sind in dem Gerät, das die WG geschenkt bekommen hat. „Gutes Essen!“, freut sich Jacob und die WG-Bewohner grinsen stolz. Fleisch ist der mit Abstand größte CO2-Verursacher unter den Lebensmitteln. Dabei hat Rind die schlechteste CO2-Bilanz der Fleischsorten, Schweinefleisch ist deutlich klimaverträglicher, Hühner können die beste Ökobilanz vorweisen. Interessiert hört die WG zu. Manche Aspekte von Jacobs Vortrag sind den vieren bekannt, sie fragen sich aber auch, ob die Vorschläge überhaupt umzusetzen sind. Kann ein leidenschaftlicher Fleischesser von einem auf den anderen Tag seine Ernährung umstellen? „Es kommt nicht darauf an, komplett auf Fleisch zu verzichten“, antwortet Jacob. Ein bewusster Umgang mit Fleisch sei wichtig. Nicht der Sonntagsbraten allein schlage schwer auf die CO2-Bilanz, sondern vor allem der alltägliche Fleischverzehr in Dönerform oder auch die Frühstückswurst. Hanna nickt, nimmt sich Milch für ihren Kaffee und bekommt prompt von Jacob ihr Fett ab. „Milchprodukte haben eine schlechte Klimabilanz. Die sind nicht wirklich nötig“, sagt Jacob. „Sie sind weder gesundheitsfördernd noch alternativlos.“ Ins Frühstücksmüsli könne auch die klimafreundliche Sojamilch gekippt werden.
Dass die vier Bewohner oft Leitungswasser trinken, lobt der CO2-Experte. „Wasser in Flaschen zu trinken ist absoluter Blödsinn.“ Das Leitungswasser in Deutschland ist nämlich nicht ungesünder als das Wasser, das im Supermarkt mit französischem Namen angeboten wird. Um Rückstände aus alten Rohren zu vermeiden, sollte man sich aber ein Filtergerät kaufen, das man an den Hahn anschließen kann. „Das Schlimmste für die Klimabilanz“, meint Jacob, „ist aber das Wegschmeißen von Essen.“ Wenn ein Produkt nicht benutzt wird, sind die durch die Herstellung entstandenen CO2-Emissionen sinnlos gewesen. So gesehen leben Studenten, bei denen das Geld oft viel zu knapp ist, als dass sie Essen wegschmeißen würden, eh schon ganz klimaverträglich.
Dennoch steht seit Jacobs Auftauchen in der WG eine große Frage im Raum: Bringen diese Tipps denn überhaupt etwas? Schließlich sind manche großen CO2-Quellen, wie sie in der Produktion von Kohle, Beton, Aluminium und Stahl anfallen, nicht einfach vom einzelnen Konsumenten beeinflussbar. „Ich denke, dass jeder Einzelne eine Verantwortung für seine Umwelt hat“, sagt Hanna. „Es wäre zu einfach, sich nur auf andere zu verlassen.“ „Wenn sich etwas ändern soll, muss jeder Einzelne etwas dazu beitragen“, fügt Clara hinzu. „Trotzdem muss natürlich auch die Politik dafür sorgen, dass sich etwas ändert.“
„Am liebsten würde ich gar kein elektrisches Gerät mehr benutzen.“
Nun ist Jacob richtig in seinem Element und spricht die großen Dinge an: „Ihr solltet unbedingt euren Stromanbieter wechseln“, rät er der WG. „Der Wechsel zu einem Ökostromanbieter ist der wichtigste Hebel, an dem der private Verbraucher ansetzen kann!“ Der grüne Strom ist verglichen mit einem normalen Vertrag nicht mal unbedingt teurer. Wer zu einem dieser Anbieter wechselt, unterstützt damit auch gleichzeitig Investitionen in erneuerbare Energien. „Der zweite Hebel ist die Stromeffizienz“, sagt Jacob. „Was benutze ich wann wie viel? Der nächste Schritt ist dann die Frage: Brauche ich das?“
Dabei soll Jacobs Assistent „Wattson“ helfen, den er zum Abschied für ein paar Tage dalässt, damit er den Stromverbrauch der vier misst. „Es ist Wahnsinn, zu merken, wie viel man verbraucht“, meint Clara. „Vor allem der Herd und der Wasserboiler, aber auch der Föhn und der Wasserkocher verbrauchen sehr viel Strom.“ Nur Hanna fühlt sich durch die Anwesenheit des Energie-Detektivs zu streng kontrolliert: „Wenn man allein leben würde, würde man sicher nicht so stark darauf achten wie in der WG.“ Am PC können die Studenten die Daten des „Wattson“ auswerten – punktgenau lässt sich feststellen, wann im Haus viel Licht brennt und wann gekocht wird. Die höchsten Verbrauchswerte lassen sich beim Duschen und anschließenden Föhnen am Morgen sowie beim gemeinsamen Abendessen feststellen.
Um nicht in jeder Woche zum Waschsalon laufen zu müssen, plant die WG nun noch die Anschaffung einer Waschmaschine. „Lohnt es sich, wenn wir ein neues Gerät kaufen?“, fragt Clara, oder solle man nicht das alte so lange benutzen, bis es kaputt sei. „Auf jeden Fall“, meint Jacob. Mit einer effizienten Waschmaschine der Energieeffizienzklasse »A+« oder »A++« spare man innerhalb eines Jahres locker 70 Euro Strom – und bei einem Umzug kann man sie im Gegensatz zu einer alten Waschmaschine vom Trödel wieder verkaufen.
Der Kühlschrank darf hingegen bleiben, wenn er sich ein wenig beschränkt. Denn er ist zu kalt eingestellt und verbraucht dadurch vermutlich zu viel Strom. „Eine Innentemperatur von acht Grad reicht in der Regel, um alle Lebensmittel frisch zu halten“, meint Jacob – die beiden WG-Männer gucken, als sollten sie in Zukunft warmes Bier trinken. Eine einfache Rechnung überzeugt aber auch sie: Ist das Gerät vier Grad kälter eingestellt, verbraucht es schon rund 35 Prozent mehr Strom. Das Gefrierfach sollte alle zwei Monate abgetaut werden, denn ein vereistes Gerät verbraucht deutlich mehr Energie. „Ich weiß, dass ich mich jetzt wie eure Eltern anhöre“, entschuldigt sich Jacob. „Aber es spart wirklich Energie.“
Die WG vertieft sich mit Jacob noch in lange Diskussionen über die Klimapolitik der EU und mögliche Kennzeichnung des CO2-Fußabdrucks auf Lebensmitteln. Am Ende steht die Frage, ob ihnen Jacobs Tipps helfen werden? „Ich nehme einige interessante Ideen mit“, sagt Tobi. „Und bin gespannt, wie viele wir davon konsequent umsetzen werden.“ „Am liebsten würde ich gar kein elektrisches Gerät mehr benutzen“, sagt Clara. „Aber auf einige ist man natürlich angewiesen.“ Da sie sich aber nun durch „Wattson“ bewusst sei, welche Geräte wie viel Strom benötigen, könne sie gezielt sparen. Fazit: Jacob darf gehen, der „Wattson“ zieht als fünfter Mitbewohner ein. Genügend Platz ist ja da.
Unser CO2-Berater Jacob Bilabel hat mit seiner Firma „Thema1“ das Projekt „Product Carbon Footprint“ (www.pcf-project.de) angestoßen, für das sich Unternehmen bereit erklärten, Produkte auf ihren CO2-Ausstoß hin zu untersuchen und Schritte für eine Schadstoffreduzierung zu unternehmen.