In den Regalen des Hofladens stehen Vollkornkekse, eingelegte Gurken, Mehl, Brotaufstriche, etwas Käse, Kartoffeln und ein bisschen Gemüse, dazwischen: viel Leere. An der Tür hängt ein Schild: Ab dem 5. Februar wird hier nichts mehr verkauft. „Wir haben den Laden geschlossen“, sagt Bauer Jakob Stümpfl. Weil das Geschäft schlecht geht? „Nein, weil es so gut läuft.“

Der 22-Jährige ist Demeter-Bauer in Mittelstetten, südlich von Augsburg. Seit drei Jahren bewirtschaftet er den Hof, den zuvor schon, von 1954 an, sein Großvater und sein Vater betrieben haben, ebenfalls im Landwirtschaftsverband Demeter. Dessen Bauern verzichten auf chemische Hilfen und gentechnisch veränderte Pflanzen, sie pflegen die Wechselfruchtfolge, um den Boden zu schonen, und stellen Futtermittel für ihr Vieh überwiegend selbst her.

Jakob Stümpfl baut Gemüse an: Karotten, Salat, Spinat, Kohlrabi, Radieschen, Kraut, Mangold, Tomaten, Paprika, sogar Artischocken. Außerdem Weizen, Dinkel und Roggen. Das Getreide liefert er an Demeter zur Weiterverarbeitung. Das Gemüse füllt er zusammen mit seinen Mitarbeitern wöchentlich in rund 1300 Kisten, die sie an ihre Kunden ausfahren. Die kleinste Kiste, für eine Person und Woche, kostet 9,95 Euro. Die Gemüse-Abonnements sind so beliebt, dass sie sich noch mehr lohnen als der Verkauf im Hof-laden. „Auch weil die Nachbarn hier nicht oft eingekauft haben“, sagt Jakob Stümpfl. „Es war ihnen zu teuer oder sie halten einfach nichts von Bio.“

Viele andere dagegen schon: In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Umsatz mit Biolebensmitteln in Deutschland mehr als verdoppelt, im vergangenen Jahr stieg er um 16 Prozent, auf viereinhalb Milliarden Euro. Anteilig am europäischen Biolebensmittel-Markt sind das dreißig Prozent. Deutschland belegt in Europa unter den Verbrauchern Platz eins, unter den Herstellern dagegen nur Platz zehn. Die Zahl der deutschen Ökolandwirte stieg 2006 gerade mal um 0,4 Prozent auf 9645. „Auch hier im Kreis Augsburg ist in den letzten Jahren kein neuer Biobauer dazugekommen“, sagt Jakob Stümpfl. Sein jüngerer Bruder Toni hat zwar wie er selbst Gemüselandbauer gelernt, will sich aber lieber mit einem Motorradladen selbstständig machen. Auch der Sohn der Nachbarn, die ebenfalls einen Demeter-Hof haben, wurde nicht Ökolandwirt, sondern Schreiner.

Jakob Stümpfl kann wie seine Kollegen – auch wenn die Nachfrage steigt – die Produktion nicht wesentlich erhöhen, ohne die Kriterien des ökologischen Landbaus zu verletzen. Sind die Lager ausverkauft, bestellen Händler und Supermärkte die fehlenden Lebensmittel daher im Ausland. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz schätzt, dass bis zu einem Drittel der hier verkauften Bio-lebensmittel nicht in Deutschland angebaut wurde. Mit negativen Folgen: Wenn für den Transport von Öko-Äpfeln mit Lkw oder Flugzeug nach Deutschland Kraftstoff verbraucht und Schadstoffe ausgestoßen werden, sind die Äpfel kaum als umweltverträglich zu bezeichnen. Und: Deutsche Biolandwirte profitieren nicht von der steigenden Nachfrage nach Ökolebensmitteln.

Den Boom lösten die Lebensmitteldiscounter aus, die 2005 begannen, Produkte mit EU-Bio-Siegel anzubieten. Schon 2006 verkauften sie doppelt so viele Biolebensmittel wie im Vorjahr. Dass die Verbraucher zu Bioprodukten greifen, liegt vor allem an dem allgemeinen Wellness-Trend: Viele Menschen, die jetzt Bio kaufen, wollen zuerst sich selbst etwas Gutes tun und nicht der Umwelt.

Trotzdem trauen sich nur wenige Bauern, ihren konventionellen Acker auf biologisch-dynamischen Anbau umzustellen. Die Position des Deutschen Bauernverbands war jahrelang: Die Zukunft liegt im konventionellen Landbau. Erst fünf Prozent der Flächen in Deutschland sind ökologisch bewirtschaftet, so der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Doch selbst wenn sie umstellen wollen, dauert der Wechsel zwei Jahre. In dieser Zeit bleiben die Einnahmen gleich – denn das Gemüse darf noch nicht als „Bio“ deklariert werden –, während die Ausgaben steigen: Anstatt Vernichtungsmittel zu sprühen, muss das Unkraut mit der Maschine gezogen oder per Hand gezupft werden. Das ist aufwendig und damit teuer. Außerdem soll sich der Boden in diesen zwei Jahren erholen, in Zukunft muss er ohne Dünger alle Nährstoffe für die Pflanzen bieten. Seit 2004 zahlten immer weniger Bundesländer Geld für den Wechsel. Nach einer Umfrage der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft erwog jeder fünfte Ökobauer, die Umstellung wieder rückgängig zu machen, wenn die Unterstützung ausbleiben sollte. Agrarstaatssekretär Gert Lindemann sagte noch im Januar der Frankfurter Allge-meinen Zeitung: „Ich sehe keinen Sinn darin, wenn der Staat in einen boomenden Markt noch zusätzlich hineinfördert.“ Der Boom des Biomarktes scheint allerdings zu einem Umdenken zu führen: In diesem Jahr planen nach Informationen des Biolabels Bioland alle Bundesländer bis auf das Saarland, die Förderung wieder aufzunehmen.

Der Staat beschränkt sich darauf, die Kriterien für „Bio“ festzulegen. Das EU-Bio-Siegel garantiert, dass keine Gentechnik, Bestrahlung, Pflanzenschutzmittel oder Dünger eingesetzt, dass die Tiere artgerecht gehalten und keine Antibiotika verfüttert werden. In Einklang mit diesen Regeln können aber auch Ökokartoffeln aus der israelischen Negev-Wüste als „Bio“ verkauft werden, obwohl der Boden für deren Anbau intensiv bewässert werden muss. Das EU-Bio-Siegel definiert nur den Mindeststandard. Verbände wie Demeter oder Bioland achten auch auf Naturschutz, Lagerung und den Handel mit zugekaufter Ware. Sie wollen ein Bewusstsein für die gesamte Nahrungskette fördern.
Für Jakob Stümpfl sind diese Anbaumethoden wichtig, er ist mit dem ganzheitlichen Denken aufgewachsen. Den Großvater fragten die Nachbarn noch skeptisch: „Wächst da überhaupt was ohne Dünger?“, und sahen kopfschüttelnd zu, wie der sein Gemüse mit dem Schlepper nach Augsburg zu seinen Kunden brachte. Schon mit zehn Jahren fuhr der kleine Jakob mit über die Felder und wollte unbedingt Bauer werden. „Meine Tanten wollten, dass ich Bäcker lerne, weil es dann immer Kuchen bei uns gibt. Aber ich kann mir keinen besseren Beruf vorstellen als meinen“, sagt Jakob Stümpfl.

Gleich nachdem er die 15 Hektar des Vaters übernommen hatte, pachtete er weitere 110 Hektar dazu, letztes Jahr baute er ein Gewächshaus. Ob seine Kinder einmal diese großen Flächen übernehmen, überlässt er ihnen: „Sie müssen nicht Bauer werden. Das Land ist ja nur gepachtet. Nur wenn jemand nach mir den Boden wieder konventionell bewirtschaften würde – da wäre ich wirklich traurig.“