Herr Doshi, im Juli ist in New York eine Dampfleitung explodiert, ein paar Tage später fiel in Barcelona für mehrere Tage der Strom aus. Zufälle?
Nein. Beispiele für ein großes Problem. Die großen Städte überaltern, ihre Infrastruktur bricht zusammen. Straßen, Stromversorgung oder Wasserleitungen wurden meist in den Dreißiger-, Vierzigerjahren erneuert. Damals schätzte man das künftige Wachstum viel zu niedrig ein. In Kairo leben heute knapp 16 Millionen Menschen, die Stadt ist aber maxi-mal für zehn Millionen Menschen ausgelegt. Die Infrastruktur der meisten Metropolen muss unbedingt erneuert werden.
In New York soll es noch Bambus-Wasserleitungen geben. Wie kann das sein?
Politiker geben ungern Geld für Projekte aus, die ihnen keinen kurz- oder mittelfristigen Nutzen bringen. Sie investieren lieber in die Olympischen Spiele oder in eine neue Brücke. Das sind Dinge, die man sehen kann. Und da unsichtbare Investitionen keine großen Wahlerfolge versprechen, reparieren die meisten Städte nur das, was unbedingt nötig ist.
Haben alle Metropolen diese Probleme?
Städte, die über Jahre gewachsen sind, leiden unabhängig von ihrem Entwicklungsgrad unter ähnlichen Infrastrukturproblemen. Entscheidend ist jedoch die Geschichte eines Landes. Deutschland kann sich glücklich schätzen, dass es eine so dezentralisierte Bevölkerung hat. Dadurch verteilen sich viele größere Städte über das Land, es gibt aber keine riesige Metropole, ganz anders als in Asien, Südamerika oder den USA.
Wie groß ist das Problem wirklich?
Wir haben berechnet, dass über die nächsten 25 Jahre weltweit mindestens 40 Billionen Dollar notwendig sein werden, um die Wasser-, Strom- und Verkehrssysteme zu erneuern und zu erweitern. Das ist eine eher konservative Schätzung, weil sich Preise und Technologien weiterentwickeln. Wird aber dieser Preis nicht gezahlt, kommt es weiterhin zu Ausfällen wie in New York und Barcelona. Und es wird immer schwieriger werden, die Schäden zu reparieren.
Megacitys wachsen weiter, so oder so.
Manche Städte reagieren, indem sie „neue Städte“ bauen: Da gibt es ein zweites Mumbai außerhalb von Mumbai, genauso ist es mit Tokio oder Delhi. Das Problem jedoch bleibt. In den neuen Städten mag die Infrastruktur moderner sein – in der „alten Stadt“ bleibt alles beim Alten.
Infrastrukturprobleme spielen in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle, im Gegensatz zu Terrorgefahr und Katastrophenschutz. Was ist nun wichtiger?
Wie abhängig wir von der Infrastruktur sind, merken wir erst, wenn es plötzlich kein Wasser mehr gibt oder der Strom ausfällt. Die Qualität der Infrastruktur bestimmt, wie gut eine Stadt auf eine Krise, etwa auf eine Pandemie oder einen Anschlag, reagieren kann. Daher sollte die Infrastruktur ganz oben auf der Prioritätenliste stehen.
Was muss also getan werden?
Am einfachsten und effektivsten ist es, wenn die Infrastruktur nach größeren Einschnitten erneuert werden kann. So wie in Deutschland nach dem Krieg. Auch Olympische Spiele sind ein Anreiz, in die Infrastruktur einer Stadt zu investieren.
Olympische Spiele sind alle vier Jahre in einer Stadt. Was sollen die anderen Städte tun?
Mit privaten Unternehmen kooperieren. Der Staat sollte dabei die Kontrolle behalten.
Die Wirtschaft will vor allem Profit.
Das sollte man ihr zugestehen, wenn sie dafür investiert. Gleichzeitig müssen die Unternehmen verpflichtet werden, die Infrastruktur regelmäßig zu erneuern und instand zu halten. Die Wasser- und Energiezufuhr muss garantiert sein. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und privaten Unternehmen ist kompliziert – und für jeden Bereich, in jedem Land unterschiedlich.
Es gibt also kein Patentrezept?
Wir arbeiten an einer Lösung, die das Konzept „public private partnership“ beinhaltet. Wichtig ist es, eine Lösung für die hohen Kosten zu finden, die für Infrastruktur ausgegeben werden müssen. Bislang gibt es Wasser billig aus dem Hahn, die Benutzung von Straßen kostet nichts oder wenig. Hebt man die Preise an, erhöht man gleichzeitig auch das Interesse der Privatwirtschaft an Infrastrukturprojekten.
Wie mit einer City-Maut?
Genau. In London funktioniert das gut. Man könnte auch die Gebühren für Leitungswasser anheben. Dann würden sich mehr Unternehmen dafür interessieren, Leitungen zu reparieren und auszubauen.
Leben in Städten mit guter Infrastruktur wird dann zum Privileg der Reichen?
Das würde ich weder empfehlen noch mir wünschen.
Sollte das Wachstum von Städten begrenzt werden?
Wahrscheinlich schon. Je größer eine Stadt wird, desto schwieriger ist es, ihre Infrastruktur instand zu halten.
Viren Doshi, 52, ist Vizepräsident der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton und Coautor der Studie Lights! Water! Motion!, die sich mit städtischer Infrastruktur beschäftigt. Doshi lebt mit Frau und Tochter in London.
Grundgerüst
Die 40-Billionen-Dollar-Frage: Die Infrastruktur der Städte hält mit ihrem Wachstum nicht Schritt. Das könnte eine Katastrophe sein.
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