Rund 25.000 US-Dollar am Tag, 3.125 US-Dollar pro Stunde: So viel soll der ehemalige Verwaltungsratspräsident des Schweizer Pharmaunternehmens Novartis, Daniel Vasella, für seine neue Tätigkeit als Berater erhalten. Damit entspricht Vasellas Stundenlohn einer Monatsmiete für eine Dreizimmerwohnung in bester Lage in Zürich. Oder dem Monatslohn einer ungelernten Haushaltshilfe. Oder einer Nacht in einer Superior Suite des „Dolder Grand“ am Zürichberg. Ziemlich viel Stutz, wie die Schweizer sagen würden.

Selbst in einem Land, in dem so viele Millionäre wie kaum irgendwo sonst wohnen, sorgte die Höhe des Honorars landesweit für Naserümpfen. Dabei ist Vasellas Vertrag nicht der einzige Fall, der für den rasanten Anstieg der Managergehälter steht. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat ausgerechnet, dass sich die Zahl der Personen, die eine Million Franken (rund 800.000 Euro) und mehr pro Jahr verdienen, von 1997 bis 2008 mehr als verfünffacht hat.

„Es war eine Mischung aus Empörung und Unzufriedenheit“, erinnert sich Marco Kistler an den Moment, in dem sein Kampfgeist erwachte. Der schlaksige Ostschweizer ist der Gemeinderat im Kanton Glarus. Den Glarner Dialekt des 29-Jährigen erkennt man gleich. Er sagt „Partii“ statt „Partei“, „ufbuue“ statt „aufbauen“. 2008, als die Bankenkrise die Welt erschütterte und die gigantischen Gehälter der Verantwortlichen bekannt wurden, war er 24 und hatte einen Posten in der Geschäftsleitung bei den Jusos, der Jungpartei der Sozialdemokraten. Und eine Idee: Was wäre, wenn der höchste Lohn in einem Unternehmen das Zwölffache des geringsten Lohnes nicht übersteigen dürfte? Wenn beim Zwölffachen einfach mal Schluss wäre?

1. Der Anfang

„Es war einfach mal eine Idee unter vielen“, sagt Marco Kistler heute. Auf seinem T-Shirt prangt eine imposante Berglandschaft. Darüber steht in grauen Zahlen: „1:12“. Das ist das Kampagnenlogo. Wie genau er auf die Volksinitiative gekommen war, weiß Marco nicht mehr, aber natürlich hatte das weltweite Entsetzen über die risikoreichen Geschäfte der Banker damit zu tun. „Es gab aber damals noch keine öffentliche Diskussion darüber, ob man in diesem Bereich überhaupt demokratisch mitreden könnte.“

Mit einer Volksinitiative kann jeder in der Schweiz eine Verfassungsänderung anregen. Hat man genügend Unterschriften von Stimmberechtigten gesammelt – bei einer landesweiten Initiative sind davon 100.000 in 18 Monaten nötig –, kommt es zur Abstimmung. Allerdings oft erfolglos: Im Gegensatz zu Vorschlägen, die von der Regierung ausgehen, werden Initiativen aus dem Volk in den meisten Fällen abgelehnt. So sagten die Schweizer erst vor ein paar Monaten Nein zu einer Gewerkschaftsinitiative, die mehr Ferien gefordert hatte. Die Mehrheit hatte sich von der Gegenkampagne der Wirtschaftsverbände überzeugen lassen, die vor wirtschaftlichen Einbußen gewarnt hatten.

Trifft eine Initiative allerdings den Nerv der Zeit, hat sie bessere Chancen. So haben die Schweizer – wohl aus Angst vor Überfremdung – mehrheitlich die sogenannte Minarett-Initiative angenommen: Minarette dürfen in der Schweiz nun nicht mehr gebaut werden. Die vier, die es schon gibt, können immerhin stehen bleiben. Das Ergebnis galt Kritikern der Volksabstimmungen als Beleg dafür, dass Plebiszite auch demokratiefeindlich sein können, wenn als Ergebnis die Rechte von Minderheiten eingeschränkt werden. In Deutschland war man auch verwundert, als eine weitere Abstimmung dazu führte, dass in Zürcher Kindergärten kein Hochdeutsch, sondern Schwyzerdütsch gesprochen werden muss.

Derzeit ist es nicht das ewige Thema, wie man den eigenen Dialekt erhält, diesmal sind es die Managergehälter, die auf hohes Interesse stoßen. Im März 2013 haben die Eidgenossen die sogenannte „Abzocker- Initiative“ angenommen, mit 68 Prozent der Stimmen. Das bedeutet: Ab 2014 sind Abfindungen und Antrittsprämien in börsennotierten Unternehmen der Schweiz verboten.

2. Die Unterschriftensammlung

Das Wort „Abzocker“ gefiel auch den Jungpolitikern, die 2009 zum Sammeln der Unterschriften für die 1:12-Initiative loszogen. „Abzocker, zieht euch warm an“, schrieben sie auf ein Plakat, das eine Fotomontage mit drei weitgehend nackten Schweizer Topmanagern zeigte, darunter auch ihr Lieblingsfeind, Pharma-Manager Daniel Vasella. Dieser klagte wegen des Plakats – und verlor den Prozess.

Die Unterschriften wurden auf der Straße gesammelt, meist an belebten Plätzen, von 500 freiwilligen Helfern mit Klemmbrettern und Infomaterial im Rucksack. Nach dem Sammeln der Unterschriften müssen diese zur Beglaubigung in die Gemeinden gesendet werden, in denen die Unterstützer wohnen – angesichts von gut 2.400 Gemeinden ein gewaltiger zusätzlicher Aufwand. „Wir haben fast jedes Wochenende zusammen mit etwa zehn oder 20 Freiwilligen Unterschriften sortiert“, erinnert sich Marco Kistler.

3. Die Kampagne

Am 21. März 2011 wurden die Pappkisten mit den Unterschriften bei der Schweizer Regierung eingereicht. Mittlerweile war aus der Idee eine landesweite Bewegung geworden, die Zeitungen veröffentlichten Artikel, die Wirtschaftsverbände rüsteten zu einer millionenschweren Gegenkampagne. Die Bundeskanzlei setzte den Tag der Abstimmung auf den 24. November 2013 fest. In der Zeit bis zur Abstimmung wollen die Jungpolitiker 10.000 Schweizer dazu bewegen, Fahnen mit dem Logo aufzuhängen.

4. Die Gegner

Die 1:12-Initiative sei von Neid, Missgunst und Polemik geprägt – so lauten die Argumente der Gegner. Sie sei sogar ein Angriff auf die Wirtschaftsfreiheit und gefährde den Wohlstand des Landes. Denn zahlreiche Firmen würden ins Ausland übersiedeln, wenn die Schweiz die Gehälter der Manager privater Unternehmen nach oben beschränke. „Weil wir vernünftig sind, stimmen wir im Herbst 2013 mit Nein zur 1:12-Initiative“, heißt es auf einer Website. Die Wirtschaftsverbände, die die Gegenkampagne tragen, haben deutlich mehr Geld, um Stimmung zu machen. Allerdings könnten es eher die Schlagzeilen sein, die die Stimmung beeinflussen. So ging ein Aufschrei durch die Presse, als der Pharma-Manager Daniel Vasella nach seinem Rücktritt eine – später annullierte – Prämie von 72 Millionen Franken (rund 58 Millionen Euro) erhalten sollte, damit er nicht zur Konkurrenz geht. Über die neueste Veröffentlichung von Vasellas Beraterhonorar stöhnte selbst die unternehmerfreundliche „Neue Zürcher Zeitung“: „Bitte nicht schon wieder.“

5. Die Abstimmung

Sicher ist der Ausgang der Volksinitiative noch keineswegs. Manche bemängeln, dass die Begrenzung der Gehälter zu willkürlich ist. Tatsächlich kann selbst Marco Kistler nicht erklären, wieso das Verhältnis der Löhne ausgerechnet 1:12 sein soll. „Wir stellen jetzt einfach mal die Frage, wie es wäre, wenn die Grenze bei 1:12 liegen würde.“ Im November wird sich also zeigen, ob die Schweiz die Managerlöhne in Unternehmen deckelt. Es ist wie ein Test für das ganze Land – wieder mal ein Experiment, das darüber Aufschluss gibt, wie groß der Handlungsspielraum in einer direkten Demokratie ist.