Ich hab es nicht immer so mit Frauen. Dabei kann ich mich eigentlich gut mit ihnen unterhalten. Wenn ein Gespräch erst mal läuft, kann ich auch ganz witzig sein, finde ich. Aber dahin zu kommen, fällt mir schwer. Ich weiß gar nicht, wie viele tolle Gelegenheiten ich schon verpasst habe, nette Frauen kennenzulernen. Auf Partys, wo ich angelächelt wurde und bis auf ein schüchternes Gegenlächeln meinen Mund nicht aufbekommen habe. In der U-Bahn, wo ich mich nicht getraut habe, die Frau gegenüber anzusprechen, obwohl sie mein Lieblingsbuch las. Und natürlich dauernd in der Uni, weil mir kein origineller Gesprächsanfang eingefallen ist.
Mein Problem: Wenn ich jemanden ansprechen will, dann tue ich das nicht, sondern spiele es erst in meinen Gedanken durch. Und habe dann direkt tausend Gründe parat, warum ich abgelehnt werden könnte. Und abgelehnt werden will ich nicht.
Andererseits will ich auch keine Angst vor Ablehnung haben. Also nehme ich mir vor, meine Angst abzulegen. Dafür habe ich ein prominentes Vorbild: den amerikanischen Psychologen Albert Ellis. Der war als Jugendlicher extrem schüchtern und setzte alles daran, sein Verhalten zu ändern. Als er 19 war, in den 1930er Jahren in New York, zwang er sich dazu, trotz seiner Angst im Park um die Ecke Frauen anzusprechen. „Wenn ich dabei sterbe, sterbe ich eben“, sagte er. Von 130 Frauen, denen er sich innerhalb eines Monats auf den Parkbänken näherte, liefen 30 gleich weg. Mit den verbleibenden 100 plauderte er über alles, was ihm in den Sinn kam, vor allem über Vögel und Blumen. Parkzeug eben. Das führte aber zu nichts: 99 der 100 lehnten sein Angebot für ein Date ab. Und Nummer 100 erschien nicht zum vereinbarten Treffen.
Auch wenn Ellis’ Quote nicht überragend war, war er erfolgreich: Denn er lernte bei seinem Vorgehen, dass er beim Ansprechen von Frauen nicht stirbt. Oder wie er es selbst ausdrückte: „Nichts ist furchtbar oder schrecklich, es nervt einfach nur.“ Als Psychologe entwickelte Ellis dann später eine Verhaltenstherapie aus seinen Erfahrungen.
Ich will es Ellis also nachmachen und kündige im Freundeskreis an, in den Park zu gehen. „Das ist doch Unsinn“, sagt mein Freund Nuri. „Du musst etwas machen, was du gerne machst. Dann findest du jemanden, der die gleichen Interessen hat wie du.“ Ich könne zum Beispiel Beachvolleyball spielen. „Außerdem macht ihr dann beide Sport, das Adrenalin pumpt in euren Körpern. Und sie findet dich gleich attraktiver.“ „Aber ich gehe gern in Parks“, sage ich.
Letztlich überzeugen mich meine Freunde aber, dass das eine schlechte Idee ist. „Wer spricht heute noch Frauen auf Parkbänken an?“, fragt mein Freund Lars. „Das machen doch nur gruselige Typen.“ Ich muss mir also was anderes überlegen. Wie spricht man Frauen heutzutage denn an?
Ins Kaufhaus der Bekanntschaften
Ich schaue mir auf Youtube an, wie es die Profis machen. Männer, die in kurzen Clips zeigen, wie sie, ohne zu zögern, die heißesten Frauen auf der Straße ansprechen und mit ein paar coolen Sprüchen innerhalb von einer Minute reihenweise Telefonnummern einsammeln. Pick-up-Artists nennen die sich. Ich bin von deren Kunst auch direkt eingeschüchtert und hoffe, dass diese unsympathischen Typen im echten Leben Frauen netter behandeln. So überheblich wie die will ich nicht sein.
Lars ist ein großer Fan der Pick-up-Artists. Er meint, ich solle auf eine Frau in einer Bar zugehen und sie fragen, ob sie ungefähr das Gewicht von Eisbären wisse. Sie würde das vermutlich nicht wissen, und ich solle dann antworten: „Genug, um das Eis zu brechen. Hallo, ich bin Arne.“Ich bin von seinem Vorschlag nicht so begeistert. Denn sollte eine Frau auf so einen Spruch positiv reagieren, würde ich mich nicht weiter mit ihr unterhalten wollen. Ich will Frauen ansprechen, ich will mich nicht wie ein Idiot aufführen.
Muss also das Internet helfen. Ich lade mir Tinder herunter, eine Dating-App für Smartphones, die gerade en vogue ist. Sie erkennt meinen Aufenthaltsort und zeigt mir dann Profilbilder von Frauen in meiner Umgebung an, die grundsätzlich Interesse haben, sich mit Männern zu treffen. Wenn ich Lust habe, Kontakt mit einer von ihnen aufzunehmen, ziehe ich ihr Foto nach rechts. Wenn ich nicht will, nach links. Kurz hintereinander bekomme ich allerlei Frauen aus meiner Umgebung präsentiert: Seda, 25, ja; Franziska, 19, nein; Julia, 22, nein; Sara, 27, ja. Und so weiter. Das Raffinierte an Tinder: dass ich massenweise von Frauen abgelehnt werde, bekomme ich gar nicht mit. Denn nur wenn ich jemanden kennenlernen möchte und die Person mich auch, benachrichtigt mich die App. Die Absagen sind unsichtbar.
Zunächst überlege ich noch, wem ich zu- und wem absage, klicke auf die Profilbilder und suche nach weiteren Infos. Bald aber klicke ich Frauen nur noch wahllos nach links oder rechts und versuche, die Frauenliste aus meiner Umgebung erschöpfend abzuarbeiten. Eine halbe Stunde bleibt mein Handy still, obwohl ich Dutzenden Frauen ein Herzchen gesendet habe. Als sich dann schließlich doch etwas tut und Melanie, 28, Interesse an mir zeigt, habe ich schon längst die Lust verloren. Im Kaufhaus der Bekanntschaften verliert die einzelne für mich schnell an Wert. Ich antworte Melanie nicht und lege frustriert mein Smartphone weg. Ich fürchte, dass ich meine Angst vor Ablehnung nur dann verlieren kann, wenn ich meine eigenen vier Wände verlasse. Vielleicht ist es ja nötig, abgelehnt zu werden, um sich dann über Zusagen freuen zu können.
Freitagabend, ich bin mit Freunden in einem hippen Club in Berlin-Mitte. Mir fallen sehr viele Ausreden ein, warum ich gerade in diesem Moment keine Frau ansprechen sollte. An der Bar sitzt eine Frau alleine mit einem Drink. Ach, ich kenne schon genug Menschen, sag ich mir. Ich muss mir doch nichts beweisen, denke ich. Aber dann gebe ich mir einen Ruck: Nicht die Angst ist das Problem, sondern die Angst vor der Angst! Ich habe mir für den Abend einen Trick aus der Verhaltenstherapie geborgt. Mein Ziel ist es nicht, die Telefonnummern von Frauen zu erhalten, sondern Absagen. Wenn sie zusagen, gut, wenn sie mir einen Korb geben, umso besser – Ziel erreicht!
Also gehe ich entschlossen die sechs Schritte zur Bar, stelle mich neben die allein dort sitzende Frau, strecke meinen Arm zur Begrüßung aus und sage: „Hallo, ich bin Arne. Willst du dich zu uns setzen?“ „Nein“, sagt sie. Sie warte auf jemanden. Dabei lächelt sie zwar, aber mehr bekomme ich nicht mehr von ihr mit. Schnell verabschiede ich mich und fliehe zurück an den Tisch zu meinen Freunden. Gleich komme ich ins Grübeln: Hätte ich fragen sollen, auf wen sie wartet? War ich zu direkt? Die Fragen spüle ich mit einem Bier hinunter. So schlimm war die Absage eigentlich nicht, aber meinen Elan hat sie mir doch genommen. Ich hab eigentlich gar keine Lust, Körbe einzusammeln, merke ich. Den Rest des Abends spreche ich niemanden mehr an.
Am nächsten Tag schöpfe ich neuen Mut. Auf dem Weg zur Uni nehme ich mir vor, die dritte Frau, die mir entgegenkommt, anzusprechen. Die erste kommt vorbei, die zweite kommt, die dritte ... lasse ich lieber vorbeiziehen. Die sah nicht so freundlich aus, finde ich. Also noch mal: Die erste kommt vorbei, die zweite, die dritte ... Ich versuche, Augenkontakt aufzubauen, und lächle, aber sie bemerkt mich nicht und geht vorbei. Bei der nächsten Frau klappt es aber. Ich lächle sie an, sage „Entschuldigung“ und improvisiere dann: „Ich mache gerade ein Experiment. Würdest du mir deine Handynummer geben, wenn ich dich danach fragen würde?“ „Nee“, sagt sie. „Ich kenne dich doch gar nicht.“ Da hat sie recht, finde ich und gehe weiter. Gut, dass ich sie nicht nach ihrer Handynummer gefragt habe.
Ich hab keine Lust mehr, Frauen anzusprechen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ihnen das unangenehm ist. Schließlich werden viele Frauen dauernd in der U-Bahn, im Fahrstuhl, auf der Straße blöd angemacht. Und ich will keine Frau ansprechen, nur weil sie mich angelächelt hat. Dass ich meine Angst loswerden will, rechtfertigt nicht, dass sich andere unwohl fühlen. Ich brauche eine neue Taktik.
"Ich bin Arne. Sprich mich an!"
Was bisher geschah: Arne will eine Frau kennenlernen, will aber nicht mit blöden Sprüchen nerven. Er hat eine Dating-App probiert, in einer Bar sein Glück versucht – beides vergeblich.
Die ideale Welt für mich: Wenn jede Person mit anderen so sprechen würde, als ob sich alle kennen würden. Ohne Unterschiede zwischen Bekannten und Fremden, unkompliziert, freundlich. Und Ablehnungen sind dann auch nicht mehr so schlimm. Ich ändere also mein Vorgehen: Mein Ziel, Frauen anzusprechen, um eine Zusage oder Ablehnung zu bekommen, ist falsch. Mein Ziel ist es, einfach mit Menschen ins Gespräch zu kommen, des Gesprächs wegen. Gleichzeitig will ich aber niemanden mehr ansprechen.Deswegen bastele ich mir ein Schild, das ich mir umhänge. Darauf steht groß auf Deutsch und Englisch: „Hallo, ich bin Arne. Ich bin freundlich. Sprich mich an!“
Samstagnachmittag, ich stelle mich auf eine belebte Straße in Berlin-Kreuzberg, schaue jede Person aufmerksam an, die mir über den Weg läuft, und hoffe, dass ich angesprochen werde.
Das passiert öfter, als ich gedacht hätte. Allerdings sind es vor allem Touristen, die mich nach dem Weg fragen. Ein Engländer fängt ein Gespräch über Fußball mit mir an, ein Pärchen aus Köln erzählt mir von seinen Erlebnissen in Berliner Techno-Clubs. Und dann ist da noch Mateja. Mateja ist für ein Seminar in Berlin. Sie fragt mich, warum ich das Schild trage, und ich erzähle ihr von meinem Experiment. Mateja fängt an zu lachen. „Das finde ich gut“, sagt sie. Sie sei Psychologin und habe während ihres Studiums einige Techniken gelernt, mit denen man Menschen ansprechen könne. „Kennst du Albert Ellis?“, will sie wissen. „Der ist mein großes Vorbild“, antworte ich und lächle zurück. Und dann frage ich sie: „Wollen wir einen Kaffee trinken gehen?“
Fotos: Jörg Brüggemann/Ostkreuz