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Electric Indigo beim Fuchsbau-Festival

Electric Indigo beim Fuchsbau-Festival

fluter.de: Gerade sind die Jahrescharts der besten DJs im Onlinemagazin „Resident Advisor“ erschienen. Es ist die wichtigste Liste für Clubmusik. Dieses Jahr ist in den Top 50 genau eine Frau zu finden. Nicht gerade ein Grund zum Jubeln, oder?

Electric Indigo: Nein. Und es ödet mich an, ständig darüber klagen zu müssen. Aber so ist es nun mal, und das Ergebnis ist ja auch kein Wunder. Unter den 100 Top-DJs sind neun Frauen. Das entspricht genau dem Durchschnitt, den wir 2013 bei unserer Untersuchung von „Female Pressure“ ermittelt haben. In den relevanten Clubs und Festivals in Europa sind zehn Prozent der gebuchten Künstler weiblich. Und deshalb wählt das Publikum auch nur zehn Prozent in die Jahrescharts. Wenn nicht mehr Frauen spielen, dann kann sich das Publikum auch nicht für sie begeistern.

Die populärste Frau, Nina Kraviz, auf Platz 20, gibt schon mal Interviews in der Badewanne. Da fühlt man sich an die New Yorker Künstlerinnen Guerilla Girls erinnert, die in den 80er-Jahren fragten: „Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?“

Es gibt auch Beispiele, die zeigen, dass man nicht püppchenhaft sein muss, um in die Charts zu kommen. The Black Madonna etwa, eine Frau aus Chicago, die gerade durchstartet und so gar nicht dem Püppchen-Muster entspricht. Was allerdings auffällt, ist, dass der marktwirtschaftliche Lebenszyklus von Künstlerinnen kürzer als bei Männern ist. Manche Herren bleiben oft lange auf den oberen Rängen, auch wenn sie kaum mehr Platten produzieren und nur noch selten auflegen. Wenn Frauen nicht dauernd präsent sind, sind sie sofort weg.

Ist das der Grund, warum Sie 1998 das Netzwerk „Female Pressure“ gegründet haben?

Eigentlich nein. Ich selbst habe mir nie Gedanken gemacht, ob ich das, was ich tue, als Frau tue. Wenn ich im Supermarkt ein Kilo Orangen kaufe, hinterfrage ich auch nicht, was das mit meinem Geschlecht zu tun hat. So war das auch beim Auflegen. Aber meine Umwelt hat mich ständig auf das Thema angesprochen.

Inwiefern?

Als Frau am DJ-Pult bin ich den Leuten aufgefallen, weil sie das nicht so oft gesehen haben. Mit aller Regelmäßigkeit haben sie – oft auch gut meinend – ignorante Sachen gesagt.

Was denn zum Beispiel?

Etwa: Du kannst ja ganz schön gut mixen – für eine Frau. Oder: Gibt es eigentlich noch andere Frauen, die auflegen? Solche Sachen. Ich hab dann immer angefangen, alle Kolleginnen aufzuzählen. Irgendwann dachte ich mir, jetzt reicht’s. Das muss jetzt strukturiert werden. Dann habe ich angefangen, eine zeit- und ortsunabhängige Wissensressource zur Verfügung stellen.

Bei „Female Pressure“ sind mittlerweile 1.600 Künstlerinnen aus 66 Ländern gelistet, die sich mit elektronischer Musik beschäftigen. Was macht ihr genau?

„Female Pressure“ ist ein schwer zu definierendes Nichtgebilde. Wir haben kein Office, keine Verwaltung. Alles hängt davon ab, was die Frauen, die dabei sind, machen wollen. Seit 2013 hat sich unser Aktivitätsniveau erhöht. Da haben wir zweimal Untersuchungen herausgebracht, wie viele Frauen in den wichtigen Clubs und auf internationalen Festivals gebucht werden. Und zum Frauentag ein Plädoyer für mehr Diversität in der elektronischen Musik und elektronischen Kunst herausgegeben (Link). Mittlerweile gibt es Festivals, Compilations und Radioshows, die „Female Pressure“ im Namen tragen. Und wir organisieren Workshops und Panels, oft in Kooperation mit Musikfirmen.

Sie machen das jetzt seit 20 Jahren. Hat die Zahl der weiblichen DJs und Produzentinnen in dieser Zeit zugenommen?

Ja, sehr stark sogar. Generell wird die Hemmschwelle niedriger. Die elektronische Musik wird zugänglicher, die Produktionsmittel billiger. Das befördert, dass mehr Leute Musik machen, auch Frauen.

Wo ist dann das Nadelöhr? Hängt das damit zusammen, dass die Booker, die das Programm bei Festivals und Clubs auswählen, fast immer Männer sind?

Da bin ich mir nicht sicher. Eine Frau würde vielleicht dieselbe Quote buchen. Als Bookerin bucht man halt auch erst mal die Leute, die am angesagtesten sind. Damit bewegt man sich auf sicherem Boden. Und das ist ja auch eine ökonomische Frage. Die meisten Festivals haben deshalb sehr ähnliche Line-ups. Ich hab das selbst erlebt. In Wien habe ich ein Popfestival kuratiert, und wenn da nicht die populärsten Acts auftreten, dann muss man sich scharfe Fragen stellen lassen – zum Beispiel, ob das Festival relevant ist.

Ab Januar 2016 gilt in Deutschen Unternehmen die Frauenquote. Wäre das in der Clubszene möglich?

Manche machen das. Das „about blank“ in Berlin oder das „Institut für Zukunft“ in Leipzig auch. Das „Harry Klein“ in München hat mal einen Monat lang nur Frauen gebucht. Und da gibt’s bestimmt noch mehr. Viel wichtiger ist eine gesellschaftspolitische Einstellung. Man kann die Verhältnisse nicht ändern, wenn man keinen dezidierten Willen dazu hat. Von selber passiert nichts. Um diesen politischen Willen zu haben, muss man erst mal die Einsicht haben, dass das so nicht optimal läuft. Und die fehlt vielfach.

Werden Sie noch oft als DJane angesprochen?

Ja, immer wieder mal, aber ich hasse das. Ich finde, das klingt abfällig, auch wenn manche Kolleginnen gerne so bezeichnet werden wollen. Dabei ist die Abkürzung DJ ja geschlechterneutral.

Electric Indigo hat den Techno in den letzten 25 Jahren geprägt. Die Wiener Musikerin trat als DJ und Liveact in 38 Ländern auf fünf Kontinenten auf. Nebenbei hat sie das Netzwerk „Female Pressure“ aufgebaut – mit dem Ziel, für mehr Diversität in der Musikszene zu sorgen.