Stoppt endlich den Wahnsinn !!!!! Das ist Tierquälerei und unentschuldbar !!!! Das verstößt gegen ALLES !!!! SEHT DIE TIERE ENDLICH WIEDER ALS LEBEWESEN !!!! EUCH SOLLTE MAN SO QUÄLEN, ALLE DIE DAS ZULASSEN, DIE DAS TUN UND DIE, DIE DAS FINANZIEREN UND DIE, DIE DAS FÖRDERN UND DIE, DENEN DAS EGAL IST !!!!!!!!!!!!!“
So wollte Simone Weber via Facebook auf eine Online-Petition gegen Todesfolterungen in Schlachthöfen aufmerksam machen. Die Hausfrau ist Mitte 50, wohnt in Niedersachsen und kämpft täglich für bessere Tierrechte und gegen die Tötung von Tieren. Ihre Waffen: eine Tastatur und eine gehörige Portion Wut. Kommentare wie diese sind zahlreich auf ihrer Timeline. Fleisch isst sie trotzdem – wenn dabei der Tierschutz eingehalten wird.
Tweets und Posts wie die von Weber las Kyrre Lien in den letzten Jahren zu Tausenden. Nicht aus Spaß, sondern quasi aus wissenschaftlichem Interesse. Der 28-jährige norwegische Journalist traf einige der aktivsten Hasskommentatoren und Online-Trolle weltweit. „Bislang kümmerten sich die Medien entweder um die Kommentare an sich, oder sie sprachen mit Wissenschaftlern, die zum Thema Hate-Speech im Internet forschen“, sagt Lien. Er hingegen interessierte sich für die Menschen hinter dem Shitstorm und ihre Gründe, fremdenfeindliche, rassistische und homophobe Statements zu veröffentlichen.
Drei Jahre lang besuchte Lien unter anderem Leute in Norwegen, Großbritannien, Russland, Libanon, den USA und Deutschland. Entstanden ist daraus die Multimediareportage „The Internet Warriors“, ein Videotagebuch mit 21 Porträts, die einen seltenen Einblick gewähren in eine sonst verborgene Welt von Leuten, die im Schutz des Digitalen teils groteske und gewaltverherrlichende Kommentare posten.
Neben Simone Weber besuchte Lien auch Robert Jackson. Anfang 50, Stahlarbeiter aus Haverhill, einer kleinen Gemeinde südöstlich vom englischen Cambridge. „Fuck Islam and dont you ever stand up for that evil cunt religion“, schrieb er auf Facebook. Er hetzt gegen Ausländer, die britische Regierung und deren seiner Meinung nach zu laxe Einwanderungspolitik. All das, während ihm seine thailändische Ehefrau den Kaffee neben die Tastatur stellt. Den amerikanischen Lkw-Fahrer Nick Haynes traf Lien wenige Tage vor der jüngsten US-Präsidentschaftswahl. Der Mittvierziger wäre bereit für einen Bürgerkrieg gewesen, hätte Hillary Clinton die Wahl gewonnen. Mit seiner Meinung hielt Haynes nicht hinter dem Berg und postete im Schnitt 57-mal pro Tag, unter anderem: „Fuck u Obama u worthless motherfucker! And fuck that scumbag lying bitch Hillary! Trump is gonna wipe ur fucking names out of U.S. history!“
In Wales unterhielt sich Lien mit der Psychologiestudentin Ashleigh Jones. In ihrem Zimmer: pinkfarbene Bettdecke, kahle weiße Wände, das Take-away-Essen und der Playstation- Controller auf dem Nachtschrank. 175.000 Tweets hatte sie bis zu Liens Besuch abgesetzt. Nicht alle, aber etliche so krass wie dieser: „That bitch has really fucking pissed me off. FUCK YOU, YOU TIRED ASS SHOWGIRL CUNT GO BACK TO PARTY CITY WHERE YOU BELONG.“ Adressatin war die Musikerin Lady Gaga. Über den damaligen britischen Premierminister David Cameron schrieb sie: „I hope ISIS kill David Cameron.“ Ihre Kommentare seien schon ziemlich hart, gab Jones im Gespräch mit Lien zu. Doch sie seien in ihren Augen schlicht notwendig, um ihre Emotionen ausleben zu können. Für sie sei Twitter beinahe wie ein Tagebuch, in dem sie ehrlich ihre Meinung sage, ohne etwas zu beschönigen. Als Troll sieht sie sich selbst nicht: „Ich hab vielleicht starke Meinungen, aber sie sind einfach das – Meinungen. Für mich ist ein Troll jemand, der die Diskussion ruiniert, und das bin ich nicht.“
„Das Klima, in dem online argumentiert wird, ist oft enorm hasserfüllt und aufgeheizt. Es gibt kaum noch Respekt für Meinungen, die nicht mit der eigenen übereinstimmen“, be-schreibt Lien die Erfahrungen aus seinem Projekt. Überrascht habe ihn jedoch, dass diese Leute zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten hätten: ein soziales, durchaus angenehmes Offline-Ego und eine Online-Version, die vor allem auf Krawall aus ist und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt.
„Soziale Medien sind ein kulturelles Phänomen aus den USA. Dort hat die Meinungsfreiheit eine ganz andere Geschichte, Gesetzgebung und Wahrnehmung“, sagt Adriane van der Wilk. Die unabhängige Forscherin aus Frankreich ist auf Genderfragen spezialisiert und veröffentlichte im September eine Untersuchung zum Thema „Cyber-Violence und Online- Hate-Speech gegen Frauen“. Van der Wilks Studie belegt, dass Frauen besonders häufig Ziel von Hasskommentatoren sind. Gerade deshalb war Lien von der Waliserin Jones so überrascht – die es als Frau vor allem auf andere Frauen abgesehen hat.
Lien hat sich bemüht, ein möglichst breites Spektrum an Themen und Personen abzubilden: jung und alt, Männer und Frauen, Arbeiterklasse und gehobene Mittelschicht; politisch links beziehungsweise rechts, pro und kontra Klimawandel. Wochenlang klickte er sich durch Social-Media-Profile, verfolgte einen Shitstorm nach dem anderen. Im Schnitt dauerte es für jeden Protagonisten zwei Wochen, ehe er oder sie gefunden war. „Ich habe in dieser gesamten Zeit definitiv zu viele hasserfüllte Tweets und Kommentare gelesen“, sagt Lien mit einem bitteren Lachen. Überrascht war er, wie oft die Leute auf seine Kontaktanfragen reagierten. Manche schrieben einfach, er solle als liberaler Scheißjournalist zur Hölle fahren, doch etliche waren von Liens Projekt überzeugt. Sie erkannten, dass er sie nicht besuchen wollte, um sie zu verurteilen oder zu bekehren – sondern lediglich, um zuzuhören. Sie fühlten sich ernst genommen. Sobald jemand ein Treffen zugesagt hatte, versuchte Lien, so schnell wie möglich vor Ort zu sein. Meist war er bereits zwei, drei Tage später bei den Protagonisten, um dann einige Stunden mit ihnen für sein Projekt zu verbringen.
Lien ließ die Protagonisten einige ihrer krassesten Tweets vorlesen und zeichnete mit der Kamera ihre Reaktionen auf. „Ich wollte mich bewusst im Hintergrund halten und objektiv bleiben. Der Zuschauer ist clever genug, um daraus zu erkennen, wie diese Leute und ihre Ansichten einzuordnen sind“, erklärt er. Oftmals reagierten die Protagonisten mit Stolz oder Belustigung, wenn sie ihre Kommentare vorlasen. Von aufrichtiger Reue oder einem Unrechtsbewusstsein fehlte aber jede Spur, erinnert sich Lien.
Er versucht nicht zu demonstrieren, wie ideologisch und widersprüchlich seine Gegenüber denken oder handeln. Diesen Part überlässt er geschickt den Protagonisten selbst. Liens Videos leben von den stillen Augenblicken und den Zwischenmomenten. Wenn Ashleigh Jones im Anschluss an ihre Rechtfertigung kurz innehält und dann zum Limonadenglas greift. Wenn der Norweger Steinar Vetterstad verlegen lacht oder der Amerikaner Scott Munson breit in Richtung Lien grinst – mit einem selbstgefälligen Blick, der nach Anerkennung giert.
Doch was tun in einer Welt, in der – insbesondere in den sozialen Medien – mit jeglicher inhaltlichen Differenzierung zugleich Anstand und Respekt auf der Strecke bleiben? „Leider habe ich derzeit auch keine Lösung parat, wie Onlinedebatten zukünftig weniger hasserfüllt werden“, sagt Lien. Es müsse eine Änderung in der Wahrnehmung der Leute her, wie wir miteinander umgehen, meint der Norweger. Doch das brauche viel, viel Zeit.
Etwa 200.000 Euro, schätzt Lien, hat das Projekt gekostet. Die meiste Unter- stützung kam von der Freedom of Ex- pression Foundation Oslo, dem „Guar- dian“ sowie der norwegischen Tages- zeitung „Verdens Gang“. Hier könnt ihr euch die ganze Dokumentation an- schauen: www.theinternetwarriors.com