Wenn im Reise-Teil des „Guardian“ steht, dass ein Viertel „wieder en vogue“ ist oder „seinen Groove zurückbekommt“, ist es zu spät. Dann steht das Viertel vermutlich schon als „Geheimtipp“ im „Lonely Planet“, beschrieben mit Adjektiven wie: jung, bunt, vielfältig, urban. Dieses Schicksal hat die Nachbarschaft „Juárez“ in Mexiko-Stadt (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen „gefährlichsten Stadt der Welt“, in der Mexikos Drogenkartelle regieren) vor zwei Jahren ereilt.
Für die Gegend nahe der historischen Altstadt kam alles, wie es kommen musste: Ausländische Investoren kauften alte Häuser, rissen sie ab, bauten neue. Die Mietpreise stiegen. In Juárez haben sie sich in den vergangenen zwei Jahren mehr als verdoppelt. Und der beste Indikator für die zunehmende Hipness des Viertels: erste Craft-Beer-Bars eröffnen.
Gegen all das soll eine neue Heilige helfen: Santa Mari La Juaricua heißt sie und blickt durch eine dicke Holzbrille auf die zum Gebet gefalteten Hände. Ein Hut verdeckt, man kann ihn nur ahnen, den Dutt. Zu ihren in Birkenstock-ähnlichen Sandalen steckenden Füßen kauert ein kleiner Hund. Eine Patronin gegen Zwangsräumungen, die aussieht wie jemand, der gern als Sündenbock der Gentrifizierung herhalten muss: ziemlich hip.
Geschaffen hat die absichtlich ironische Anti-Hipster-Heilige das Künstlerduo Jorge Baca und Sandra Valenzuela in einer besonders hoffnungslosen Situation. Stadt und Investoren wollten in Juárez ein Einkaufszentrum bauen. Demonstrationen der Anwohner blieben ohne Erfolg. Da hilft nur noch eins, dachten sie: Beten.
Baca und Valenzuela platzierten die Heilige zunächst im Fenster ihres Ateliers. Ein Exponat. Doch einige gläubige Mexikaner und Mexikanerinnen, mehr als 80 Prozent im Land sind katholisch, bekreuzigten sich im Vorbeigehen reflexartig, fragten schließlich, was das für eine Heilige sei, und waren dann begeistert.
Zwei Prozessionen haben nun schon zu Ehren der Schutzheiligen gegen Gentrifizierung stattgefunden. Die Bewohner von Juárez sangen und tanzten in traditionellen Gewändern für die heilige Mari, trugen sie durch die Viertel, beweihräucherten sie mit Harz. Berichten zufolge nahmen über 1.000 Menschen an den Prozessionen teil. Die Heilige hat – natürlich – auch ein eigenes Gebet. Das geht auszugsweise etwa so:
Gesegnete Mutter, Heilige und Tochter,
Schütze mich vor Zwangsräumung, vor steigenden Mieten und Grundsteuer.
Schütze mich vor habgierigen Eigentümern und korrupten Bauträgern.
Schütze mich vor der Gentrifizierung.
Die katholische Kirche toleriert die künstlerische Aktion stillschweigend. Sie ist übrigens nicht die einzige „inoffizielle“ Patronin. Immer mehr Menschen huldigen zum Beispiel einem weiblichen Skelett namens „Santa Muerte“, die „Heilige Frau Tod“, die der Kirche schon eher ein Dorn im Auge ist. Früher galt sie als Schutzpatronin von Kleinkriminellen und Prostituierten. Heute verehren sie auch Polizisten, Soldaten und Taxifahrer – alles eher gefährliche Berufe in Mexiko.
Titelbild: Jorge Baca und Sandra Valenzuela