Etwas stimmt nicht mit Container 5861402, der auf einem Frachtschiff aus Tema, einem Hafen im westafrikanischen Ghana, in Hamburg ankommt. Als Absender steht eine dubiose Firma namens „Olympa Farms“ in den Papieren, über die im Internet und in Registern nichts zu finden ist, der Empfänger soll angeblich eine Modeboutique in 64295 Darmstadt sein. Inhalt: 18,2 Tonnen Ananas. „Früchte für eine Boutique? Wir ließen die Kiste sofort in die Prüfanlage bringen“, sagt Jan Albers, 42, ein Fahnder mit glattrasiertem Schädel auf kantigem Körper, und schiebt eine Röntgenaufnahme über seinen Schreibtisch. Die Aufnahme zeigt Kisten im vorderen Teil des Anhängers, die rötlich schimmern und so gestapelt sind, dass sie andere Kisten im hinteren Bereich verdecken: ein Hinweis, dass etwas versteckt werden soll. Die Zollfahnder brechen den Container auf. „Wir mussten mehrere Stunden lang einen Gang durch Ananasberge graben“, erklärt Albers. Was sie schließlich am kalten Morgen des 5. Dezember 2008 entdecken, ist der größte Drogenfund des Zollfahndungsamtes Hamburg in den vergangenen 15 Jahren: 5.500 Kilo Marihuana und 18 Kilo Haschischöl, Drogen im Marktwert von knapp 28 Millionen Euro. Damit beginnt die Jagd nach der Rauschgiftbande.

Jan Albers ist ein falscher Name, eine genaue Beschreibung des Zolloberinspektors soll es in dieser Geschichte nicht geben, und Fotos, auf denen er zu erkennen wäre, sind nicht erlaubt. Albers, ein Drogenfahnder, arbeitet gegen die organisierte Kriminalität, gegen international verzweigte Kartelle, das kann gefährlich sein. Fast immer trägt er eine Waffe, hat eine Sonderausbildung in Selbstverteidigung durchlaufen. „Die Gegenseite hat ihre eigene Aufklärung“, berichtet er. Mancher Einsatz gerät zu einer Art Spiel von Räuber und Gendarm, Verfolgungsjagden nicht ausgeschlossen. Offenbar hatten die Schmuggler von Container 5861402 darauf vertraut, dass ihre Lieferung in der Masse von rund 20.000 Containern, die jeden Tag im Hamburger Hafen umgeschlagen werden, nicht weiter auffällt. Das Zollfahndungsamt Hamburg, das alle deutschen Hochseehäfen überwacht, überprüft systematisch die Ladungen der Schiffe, sieht sich Absender, Adressat und Warenart genau an und ist besonders aufmerksam bei Sendungen aus verdächtigen Ländern: Aus südamerikanischen Häfen geht, man ahnt es, häufig Kokain auf die Reise, aus Jamaika kommt Haschisch, und in Westafrika existieren diverse „Orte ohne Fahndungsdruck“, wie es die Ermittler nennen. Das heißt: In diesen Häfen arbeiten die Kriminellen partnerschaftlich mit den örtlichen Behörden zusammen.

1.383 Kilogramm Amphetamin und Methamphetamin wurden 2009 konfisziert

Die „Ermittlungsgruppe Hafen Hamburg“, eine Spezialeinheit des Zolls, hat in den vergangenen zehn Jahren nur in Hamburg mehr als 61 Tonnen Rauschgift aufgespürt, insgesamt 2,1 Milliarden Zigaretten und mehr als 350 Container mit gefälschten Sportschuhen. Auch in den Seehäfen von Bremerhaven, Kiel, Lübeck und Rostock arbeiten Ermittlungsgruppen. Kokain und Amphetamine, die aus dem Baltikum eingeschmuggelt werden, wurden zuletzt besonders häufig sichergestellt. Als Folge der Weltwirtschaftskrise kamen 2008 und insbesondere 2009 deutlich weniger Container in Hamburg an als in den Jahren zuvor – die Statistik der Fahnder des Zolls ist also nur bedingt aussagekräftig.

Was die Lieferung der „heißen Ananas“ betrifft, entschließen sich die Ermittler, ers t gar nicht die Kollegen im ghanaischen Tema um Amtshilfe zu bitten. Sie beschlagnahmen den Großteil der Drogen. Ihr Plan: den Hintermännern eine Falle zu stellen. Der Container wird freigegeben, als sei damit alles in Ordnung. Eine Observationseinheit, die darin geschult ist, Personen oder Gegenstände zu verfolgen, bezieht Posten. Die Fahnder hören fortan das Telefon von Satbir K. ab, an den der Container adressiert war. Satbir, 49, der aus Indien stammende Betreiber der Phantom-Boutique, wählt mehrfach eine Nummer, die, wie sich später herausstellen soll, Quamar Z. gehört, einem 45-jährigen Pakistani im mittelenglischen Bradford. Quamar Z. wird seit Langem verdächtigt, Teil einer internationalen Drogenbande zu sein.

96.634 Anzahl der 2009 sichergestellten Cannabispflanzen

 Container 5861402 verlässt am Vormittag des 15. Dezember 2008 den Freihafen, verfolgt von einer Observationseinheit des Zolls in unauffälligen Autos. Die Fahrt geht nach Westen, Richtung Bremen auf der Autobahn 1. In diesen Stunden werden die Nerven der Fahnder besonders strapaziert: Sie dürfen nicht auffallen, den Lastwagen andererseits nicht aus den Augen verlieren, was sich besonders in Ballungsgebieten wie dem Ruhrgebiet, in dem es nie weit ist bis zur nächsten Abfahrt, schwierig gestaltet. „Fünf Minuten genügen, und ein Laster ist verschwunden“, berichtet Albers. Die Verfolger müssen sich auch darauf einstellen, von den Kriminellen beobachtet und sogar abgedrängt zu werden. Sobald eine Landesgrenze naht, kommt es auf jede Minute an, die Kollegen im Ausland um Verstärkung zu bitten, denn hier endet auch in der Europäischen Union die Kompetenz des Zollfahndungsamtes Hamburg. Für Ermittler ist die Situation schwierig: Die bürokratischen Schwellen sind hoch, und wer es im Nachbarland, das den Fall übernehmen soll, mit einer unterbesetzten oder lustlosen Abteilung zu tun bekommt, hat es schwer. Weshalb Drogenbanden ihre Wege oft so planen, dass die Container verschiedene Grenzen in kurzer Zeit passieren.

Die Fahnder, die hinter Container 5861402 her sind, wundern sich, denn es ist keine Route zu erkennen; anscheinend kennt auch der Fahrer der Spedition den Weg nicht so genau, denn man beobachtet mehrfach, wie er mobil telefoniert und Straßenkarten studiert. Am Abend stellt er den Container in einem Gewerbegebiet von Duisburg ab. „Nun galt es für uns, rasch eine Ablösung zu organisieren, die das Objekt weiter beobachtet“, sagt Albers. In Autos verbringen Fahnder die Nacht. Nichts Verdächtiges passiert. Am nächsten Morgen fährt der Laster weiter, in westlicher Richtung aus dem Ruhrgebiet hinaus in die Niederlande. Einheiten des niederländischen Zolls übernehmen die Beobachtung. Der Laster rollt in den Hafen von Rotterdam und auf eine Fähre. Zielhafen: Hull, Nordengland. Im „Turm“, wie die Hamburger Einsatzleitung im Fahnderjargon heißt, ruft man die englischen Kollegen der Serious and Organised Crime Agency (Soca) zur Unterstützung. Als die Fähre nach einer Nacht auf der Nordsee um 10 Uhr in England festmacht, übernehmen Soca-Einheiten die Verfolgung des Lasters. Sie beobachten, wie der Fahrer nahe Bradford anhält. Ein Sportwagen fährt heran, ein weißer Mercedes, am Steuer ein Mann mit Kaschmirmantel und buntem Schal, der offenkundig Wert auf eine gut geföhnte Frisur legt. Man kann den Mann später als Quamar Z. identifizieren. Nach dem kurzen Treffen, in dem der Fahrer Instruktionen erhält, braust der Sportwagen davon. Der Truck wird von einem Ford Transit in ein Gewerbegebiet von Bradford gelotst.

Als sechs Männer damit beginnen, die Packungen mit Ananas auszuladen, schlägt eine Spezialeinheit zu. Die Bande leistet keinen Widerstand. In den Vernehmungen stellt sich heraus, dass es sich um Handlanger handelt und der Trucker keine Ahnung hatte, was er durch Europa kutschierte; alleine der Fahrer des Transit, Michael D., räumt ein, bereits in einem anderen Fall größere Mengen Marihuana für einen Asiaten namens „Si“ entladen und im Norden Englands verteilt zu haben. Ein Gericht wird ihn dafür zu neun Jahren Gefängnis verurteilen. Was die Fahnder alarmiert: Quamar Z., der entkommen konnte, berichtet zwei Tage nach den Festnahmen in einem Telefonat mit Satbir K. in Deutschland, dass sechs weitere Container mit ähnlichem Inhalt unterwegs nach Europa seien. Satbir K., der Darmstädter, macht ihm weis, er könne das beschlagnahmte Marihuana wiederbeschaffen, und kassiert dafür eine Überweisung von 8.200 Euro. Er fingiert für diese Summe einen Transport – und ruft an mit der Entschuldigung, auch diesmal sei die Polizei schneller gewesen. Ende März 2009, als klar scheint, dass keine weiteren Lieferungen unterwegs sind, nimmt die Polizei Satbir K. in Hessen fest. Quamar Z., der zwischendurch nach Pakistan geflogen war, wird kurz darauf bei der Einreise nach England verhaftet. „Er hatte noch immer keine Ahnung, dass wir an ihm dran waren“, berichtet Albers erfreut. Nach mehr als vier Monaten ist eine Operation, an der mehr als 100 Beamte in drei Ländern beteilgt sind, vorerst abgeschlossen. Ein Hamburger Gericht verurteilt Satbir K. zu sechs Jahren und Quamar Z. zu acht Jahren Haft.

1.707 Kilogramm Kokain wurden 2009 beschlagnahmt

Sind Sie zufrieden, Zolloberinspektor Albers? Er nickt vorsichtig, er wirkt etwas zögerlich. Klar scheint, dass in Afrika weitere Täter beteiligt sein müssen, doch die Verurteilten schweigen in den Vernehmungen. „Fünfeinhalb Tonnen Marihuana fallen nicht vom Himmel, die hat jemand gesammelt und durch die halbe Welt geschifft“, meint er. „Wir haben das mittlere Management abgefischt. Mal wieder.“ Es klingt etwas deprimiert, wie er das sagt. Wo aber stecken die Hintermänner, wer organisiert die großen Deals? Albers möchte sich dazu nicht zitieren lassen. Aus Ermittlerkreisen ist zu erfahren, dass sich allzu mutige Aussagen negativ auf die Karriere auswirken können. Man habe es mit Wirtschaftsbossen zu tun, die wegen ihrer guten Kontakte zur Politik nahezu unantastbar seien, ist zu erfahren. In ausländischen Banken, vor allem in der Schweiz, stelle man keine Fragen, woher die hohen Überweisungen kommen. „Wir treten einigen bösen Jungs auf die Füße, das ist Motivation genug“, sagt er. Dann ist das Gespräch beendet. Auf Albers wartet eine Menge Papierkram, Berichte über den letzten Einsatz, und am Wochenende steht eine Observation an. „Größere Sache“, murmelt Albers noch, und dann ist er schon auf dem Flur.

DEA

Der amerikanische Präsident Nixon gründete im Jahr 1973 eine eigene Sondereinheit, die den Kampf gegen Drogen führen sollte. Die Drug Enforcement Administration, oder kurz: DEA, verfügt über 5.235 Spezialagenten und Außenstellen in 63 Ländern. Die weltumspannenden Einsätze gegen das Drogenproblem stoßen aber nicht nur auf Sympathie. Immer wieder kritisieren ausländische Regierungen die DEA wegen ihres aggressiven Vorgehens.