Auf dem Radarschirm flimmern winzige Kästchen mit grünen Nummern. Mit seiner Computermouse klickt Christian Czapka einzelne Punkte an. Datenkolonnen tauchen auf dem Bildschirm auf. Das Kästchen entpuppt sich als Linienflugzeug. Czapka ist Fluglotse. Mit sekundenschnellen Funkbefehlen an die Piloten, in der Fachsprache "Clearings" genannt, muss er dafür sorgen, dass die Kästchen auf dem Radarschirm nicht zusammenstoßen. Das wäre der GAU: eine Flugzeugkollision in 10000 Metern Höhe.

Czapka - lässig in hellbraunem Polohemd, Jeans und Sportschuhen - sitzt im "Upper Area Control Centre" in Maastricht, nahe der deutsch-niederländischen Grenze. Mehr als 4000 Flüge werden täglich von Eurocontrol im Luftraum von Luxemburg, Belgien, den Niederlanden und Norddeutschland kontrolliert. Das Gebäude gleicht einem Hochsicherheitstrakt: schwere Stahltüren und Schleusen, die sich nur mit Magnetkarten und Zahlencodes öffnen lassen.

In einem fensterlosen Saal, dem "ops-room" (Operationsraum), reihen sich Dutzende messinggrauer Schreibtischkonsolen aneinander, in die jeweils zwei Radarschirme eingelassen sind. Auf einem sieht Czapka die Flugbewegungen in seinem Sektor. Der andere Schirm zeigt ihm die Maschinen, die in den nächsten zwanzig Minuten in seinen Luftbereich kommen sollen. Für jeden Sektor sind in Maastricht sechs Teams mit jeweils 15 Lotsen zuständig. In einer Sieben-Stunden-Schicht arbeiten etwa sechzig Luftkontrolleure.

Die Arbeitszeit von Czapka vergeht wie im Flug. "Zweieinhalb Stunden fühlen sich wie eine halbe Stunde an", sagt der 27-Jährige. Tagsüber darf er nicht mehr als zweieinhalb Stunden am Stück am Radarschirm sitzen. Nachts, wenn wenig Flugverkehr herrscht, ist eine Arbeitseinheit vier Stunden lang. Danach muss Czapka mindestens eine halbe Stunde Pause machen. Fluglotsen müssen immer konzentriert sein. Denn Entscheidungen, die sie binnen Sekunden zu treffen haben, können Entscheidungen über Leben und Tod sein. 

In der Hauptverkehrszeit lotst Czapka gleichzeitig bis zu 18 Flugzeuge durch die Luft, etwa fünfzig Maschinen pro Stunde. Damit die Maschinen nicht kollidieren, müssen sie einen Sicherheitsabstand vertikal von 1000 Fuß (300 Metern) und horizontal von fünf nautischen Meilen (neun Kilometern) einhalten. Werden diese Abstände unterschritten, greift Czapka ein. Häufig sind es kleinere Kurskorrekturen, Drehungen um zehn bis zwanzig Grad nach rechts oder links, um gefährliche Situationen in der Luft frühzeitig zu entschärfen. 

Aber es gibt Unwägbarkeiten: Gewitter, Turbulenzen, Maschinenschäden. "Du musst immer einen Plan B und C im Kopf haben", sagt Czapka, "es darf nie so weit kommen, dass du nur noch nach Reaktion oder dem Radarbild lotst." Innerhalb von fünf Sekunden erkenne er auf dem Schirm, wenn er eine falsche Order ans Cockpit gegeben habe. Das sei noch keine Katastrophe. "Dann muss ich den Flieger erneut drehen, sinken oder steigen lassen", sagt Czapka, "aber das ist natürlich ein schlechter Service und Piloten merken so was." Falls das Cockpit über Funk für die Flugüberwachung nicht ansprechbar ist, werden die Abfangjäger im norddeutschen Wittmund oder in Neuburg an der Donau alarmiert.

Früher hat man dem Cockpit auch mal eine halbe Stunde gegeben sich zurückzumelden. In Zeiten globaler Terrorgefahr steigen die Abfangjäger bereits nach wenigen Minuten auf. Im Jahr 2005 geschah dies bis Ende August 20-mal. Die Situation entspannt sich, wenn die Funkverbindung wieder steht.

Trotz Anspannung und Stress herrschen im "ops-room" lockere Umgangsformen. Man duzt sich, der Ton ist flapsig. "A beautiful situation", ruft ein Lotsenkollege Czapka beinahe entzückt zu und markiert zwei grüne Kästchen auf seinem Schirm. "Schappi", wie sie den gebürtigen Bayern hier nennen, erkennt die Brisanz auf den ersten Blick. "In etwa 'ner halben Stunde würden sich die beiden Maschinen treffen." Also: Anweisung zur Kurskorrektur ans Cockpit. 

"Fluglotse ist einfach mein Traumberuf", sagt Czapka. Der Sonnyboy verströmt eine ansteckende Begeisterung, wenn er über seine Branche redet - die kaum ein Mensch kennt. "Viele glauben noch immer, Fluglotsen sind die Männer, die die Maschinen auf dem Rollfeld mit ihren beiden Kellen einwinken", sagt Czapka. Er hat seinen Beruf mit 17 Jahren kennen gelernt. Damals war er zur Jobmesse nach München gereist und fasziniert am Stand der Deutschen Flugsicherung (DFS) stehen geblieben. Nach dem Abitur und einem einwöchigen Schnupperkurs bei der DFS bewarb er sich für eine Fluglotsenausbildung. Er nahm an dem aufwändigen Auswahlverfahren teil, in dem sich von hundert Bewerbern nur vier durchsetzen. Czapka schaffte es bis zur letzten Runde, aber nicht zur Lotsenausbildung bei der DFS.

Er ließ sich nicht entmutigen, bewarb sich danach bei Eurocontrol. Diesmal nahm er bei den Tests alle Hürden. Bis der Arzt kam. Der stellte bei Czapkas Augen eine zu starke Hornhautkrümmung fest, damals ein K.-o.-Kriterium für Fluglotsen. So begann Czapka Betriebswirtschaft zu studieren. Nach über zwei Jahren meldete sich Eurocontrol überraschend wieder bei ihm. Seine Hornhautkrümmung sei kein Hindernis mehr, die medizinischen Grenzwerte seien geändert worden, er könne seine Ausbildung zum Fluglotsen beginnen. 

Heute besitzt Czapka eine europaweit geltende Fluglotsenlizenz, die frühestens mit dem 21. Lebensjahr erworben werden kann und spätestens mit dem 55. Lebensjahr ausläuft. Schon Berufsanfänger verdienen monatlich zwischen 6000 und 7000 Euro, erfahrene Fluglotsen bekommen ein Brutto-Jahresgehalt von über 100 000 Euro. Und doch ist es ein Mangelberuf, denn nur wenige Bewerber werden wirklich allen Anforderungen gerecht.

Das Begabungsprofil eines Fluglotsen sei "äußerst selten", sagt der Luftfahrtpsychologe Hinnerk Eißfeldt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Der Job verlange "überdurchschnittliche Präzision, schnelle Auffassungsgabe, ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen" und "einen großen visuellen und akustischen Kurzzeitspeicher". Zudem müssen Fluglotsen eine enorme Selbstdisziplin haben. Alkohol und Drogen sind tabu. Mit mehr als 0,2 Promille ist ein Fluglotse bereits dienstunfähig. "Wenn ich Dienst habe und am Abend vorher ausgehe, kann ich höchstens ein Bier trinken", sagt Czapka. Aber damit kann er leben. Auch mit seinem ungewöhnlichen Arbeitsrhythmus. Auf vier Arbeitstage folgen bei Czapka zwei freie Tage, nur selten sind das Samstag und Sonntag.

Czapka plant gern weit voraus. Bereits Mitte des Jahres habe er den Weihnachtsflug zu seinen Eltern nach Landshut und den nächsten Sommerurlaub gebucht. Sein Beruf erzieht zur Disziplin. Und weckt die Reiselust. Gerade war Czapka in der Karibik und in Kanada, bald möchte er Chile und Ägypten besuchen. "Wenn man tagtäglich die ganzen Flieger sieht, dann packt einen das Reisefieber."