Prinzipien, die im Wirtschaftsleben zu Erfolg führen, müssen deshalb noch lange nicht überall funktionieren. Der Autor
Dirk Kurbjuweit ist dafür, auch einfach mal nichts zu tun.
Herr Kurbjuweit, welche Marktprinzipien leiten unser Alltagsleben?
Wir sollen zunehmend effizient sein, alles mit dem geringstmöglichen Aufwand erreichen. Das ist die wichtigste Regel des Marktes.
Warum schenken wir diesem Prinzip der Effizienz so großes Vertrauen?
Der Manager ist das führende Rollenmodell unserer Zeit. Er ist effizient und kann scheinbar alle Probleme lösen, vor allem die finanziellen. Also will und soll heute jeder ein Manager sein.
Und das führt zu Problemen?
Während meiner Recherchen zur Unternehmensberatung McKinsey war ich entsetzt, wie tief deren Prinzipien schon vorgedrungen sind, dass sich auch schon Verlage, die Kirche, Theaterhäuser auf Effizienz trimmen lassen. Wirtschaftlichkeit als oberstes Prinzip führt im Kulturbereich zu Eintönigkeit, Kreativität und Kritik gehen verloren. Die medizinische Versorgung und die Kirche gehen weniger auf die Bedürfnisse des Menschen ein.
Früher war also alles besser?
Die Klage über die Verschlechterung der Verhältnisse gab es immer. Auch Schiller, Goethe oder Kleist haben sich beschwert, dass alles dem Nutzengedanken unterworfen wird. Aber wenn ich mich nur auf meine eigene Lebenswelt konzentriere, dann habe ich im Laufe der Jahre sehr wohl eine Veränderung wahrgenommen.
Welche?
Wir verlieren Eigenschaften, die in Unternehmen scheinbar nicht der Rendite nützen: Gründlichkeit, Intensität, Kreativität. Ich bin mir sicher, dass im Gegenteil ein bisschen Müßiggang wichtig ist.
Aber junge Leute haben keine Zeit zu verschwenden! Jeder verlangt von uns, dass wir neben dem Studium Praktika machen oder ein paar Auslandssemester.
Ja, das sehe ich bei unseren Praktikanten. Die waren an wunderbaren Universitäten, haben beim Senator gearbeitet, 15 Praktika gemacht, können drei, vier Fremdsprachen. Das nötigt mir zwar Bewunderung ab, aber diese einheitlichen und auf Karriere getrimmten Lebensläufe führen nicht zu besseren Texten. Im Gegenteil: Ich stelle eine gewisse Erstarrung in den Texten fest. Weil die Autoren sich nicht mit Dingen beschäftigen, die außerhalb ihres Karrierekosmos liegen. Ihnen fehlt Persönlichkeit. Je mehr sich jemand in diese Karrierewelt hineinbegibt, desto mehr verliert er auch an Fantasie oder die Fähigkeit, über seinen Horizont hinauszudenken. Denken Sie zum Beispiel mal an „Second Life“.
Was hat ein Onlinespiel damit zu tun?
Da bauen sich junge Menschen online eine neue Welt – und dann geht es dort wie in der realen Welt nur ums Kaufen und Verkaufen. Der gleiche Druck in einer Welt, die sich die User selbst erschaffen können, das hat mich wahnsinnig überrascht und auch ein bisschen schockiert. Für meinen Geschmack passen sich junge Leute zu schnell an, schauen sich die Dinge von den Alten ab. Man muss sich einen gewissen Grad an Auflehnung bewahren. Das heißt nicht, dass man der große Rebell ist. Eher, dass man andere und sich selbst jeden Tag aufs Neue überprüft.
Sie meinen, wir sollten das Ideal überprüfen, dem wir nacheifern?
Ich weiß, das ist schwierig. Weil dieser scheinbar ideale Mensch erfolgreich ist, Anerkennung bekommt, sehr viel Geld verdient und auch eine gewisse Coolness ausstrahlt. Diese idealtypische Figur wurde im Wirtschaftsleben erschaffen, von Unternehmensberatungen wie McKinsey. Wären wir alle so wie dieses Ideal, würde unser Leben veröden. Alles, was sich immer mehr angleicht, wird irgendwann öde und langweilig.
Also sollte ich lieber meinen Unique Selling Preposition, meine individuelle Macke betonen, um mich aus der Masse hervorzuheben?
Nicht unbedingt. Es kann auch jemanden glücklich machen, dass er sich anpasst. Man muss sich bewusst machen, was man will. Die Welt sieht immer nur so aus, wie wir sie machen. Allerdings haben nur wohlhabende Menschen diese Wahlfreiheit.
Und die sozial Schwächeren haben keine andere Wahl, als sich anzupassen?
Für alle gilt: Ist die Arbeitslosigkeit hoch, ist der Effizienzdruck am höchsten. Wirtschaftliches Wachstum dagegen birgt die Chance für Individualität. Erst mit einem gewissen Wohlstand entstehen Spielräume dafür, seine eigenen Lebensvorstellungen auch umsetzen zu können.
Gibt es denn noch Bereiche, die sich dem Effizienzprinzip entziehen?
Ich will hoffen, dass es die Liebe kann, sei es Liebe zwischen Mann und Frau oder zu Kindern oder Freunden.
Aber was ist mit Phänomenen wie „SpeedDating“: in möglichst kurzer Zeit möglichst viele potenzielle Partner kennenzulernen.
Da spielt tatsächlich auch schon das Kosten-Nutzen-Denken eine Rolle. Der Bereich, auf den das ökonomische Denken keinen Zugriff hat, schrumpft unerbittlich.
Alles wird immer schlimmer?
Es wird zumindest nicht besser. Unsere Gesellschaft wird sich nicht mehr von der Effizienz als Leitprinzip lösen können. Aber in einzelnen Nischen geht das natürlich schon. Es ist ja nicht so, dass eine unerbittliche Teufelsmacht über uns kommt und uns zwingt, unser Leben dem Effizienzgedanken unterzuordnen. Das ist immer noch unsere eigene Entscheidung.
Dirk Kurbjuweit, 44, ist Schriftsteller und seit 2002 stellvertretender Leiter des Berliner Büros des Spiegel. Er hat Volkswirtschaft studiert und wurde für seine Reportagen schon zweimal mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet.Von ihm erschien 2003: Unser effizientes Leben.