Eine wiederkehrende Erzählweise in den Dokumentarfilmen mehrerer Sektionen: Menschen, die ihre eigenen Flucht- und Migrationsgeschichten filmen. In „Les Sauteurs“ (Forum) dokumentiert Abou Bakar Sidibé aus Mali, wie er versucht den Zaun zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla zu überqueren – mit der Kamera, die ihm zwei europäische Dokumentarfilmer gegeben haben. In „Life on the Border“ (Generation 14plus) haben Filmemacher Kinder und Jugendliche angeleitet, ihr Leben in den Flüchtlingslagern von Kobanê und Şingal filmisch festzuhalten. Und in „And-Ek Ghes...“ (Forum) führt der Dokumentarfilmer Philip Scheffner, dessen zweiten Berlinale-Film „Havarie“ wir schon besprochen haben, Co-Regie mit dem Sohn einer Roma-Familie, die von Rumänien nach Deutschland auswandert.

Es ist auffällig, dass diese Perspektive ganz andere Bilder hervorbringt, als wenn ein europäischer Filmemacher wie Gianfranco Rosi in seinem Lampedusa-Film „Fuocoammare“ das Leid einer gefährlichen Mittelmeerüberquerung in Nahaufnahmen filmt. Rosi kommt schließlich mit dem sicheren Boot der Küstenwache an.

„Nimm die Kamera weg! Überall ist jetzt Geheimpolizei.“

Der Syrer Avo Kaprealian dagegen sitzt mittendrin im Krieg. Sein Film „Houses without Doors“ (Forum) ist eine Art Homemovie aus dem syrischen Bürgerkrieg. Er filmte zwischen 2012 und 2015 das Haus und die Straße seiner Eltern in Aleppo – unter großer Gefahr, denn das Assad-Regime verbietet es, Bilder des Bürgerkriegs zu machen. Die verstohlenen Blicke der Kamera unter dem Geländer des Balkons hindurch auf die Straße und auch die Gespräche mit dem Vater verraten das: „Nimm die Kamera weg! Überall ist jetzt Geheimpolizei.“

Zunächst scheint das Leben in Aleppo noch halbwegs normal weiterzugehen. Man heiratet auf der Straße, während in der Ferne Detonationen zu hören sind. Später kommt der Bürgerkrieg unmittelbar in der Nachbarschaft an und zwingt Kaprealians Familie, sich im Libanon in Sicherheit zu bringen. Wie weit der normale Lebensalltag entfernt ist, bringt der Film mit Bildern aus dem eigenen Wohnzimmer auf den Punkt, wenn auf der Tonspur Schüsse zu hören sind, während im syrischen Fernsehen weiter Quiz-Shows laufen.

Die Bilder vom Balkon erinnern dabei stark an die erste Einstellung aus Harun Farockis Film „Videogramme einer Revolution“ (1992), wo eine Kamera aus weiter Ferne einen Demonstrationszug gegen den rumänischen Diktator Ceaușescu filmt und es auf der Tonspur heißt: „Die Kamera ist gefährdet. Um aufnehmen zu können, ist sie oben geblieben. Aber sie geht so nah an das Ereignis heran, wie es das Objektiv erlaubt.“

Für Farocki ist die Position der Kamera enorm bedeutsam – denn an ihr lässt sich auch eine politische Position ablesen. Und bei Farocki wie bei Kaprealian gilt: Das verbotene Filmen ist ein subversiver Akt, die Kamera wird gegen die Machthaber in Stellung gebracht, indem sie dokumentiert, was nicht dokumentiert werden darf. Und wie Farocki kontrastiert auch Kaprealian die „gefährdeten“ Bilder mit der Selbstinszenierung des Machthabers, die er in der Montage zum Teil spöttisch verfremdet: Mit Zeitraffer lässt er Assad rückwärts durchs Spalier seiner Ehrengarde laufen und die Tür seines Palastes hinter sich schließen.

Bedeutsam ist auch die Entscheidung des Regisseurs, auf drastische Bilder der Gewalt zu verzichten. Es komme ihm pervers vor, im Angesicht bedrohter, verletzter oder toter Menschen zur Kamera zu greifen und möglichst intensive Bilder von diesem Elend zu machen, sagt Kaprealian im Zuschauergespräch nach der Vorführung. Die Gewalt ist aber auch so präsent genug in seinem Film: Auf der Tonebene, wo ständig Schüsse und Bombendetonationen zu hören sind, während der Wohnzimmeralltag irgendwie weitergeht; im Zeitvertreib der Kinder des Hauses, die den Bürgerkrieg mit Spielzeugwaffen nachahmen; und in der Rahmung des Films mit einem Prolog und einem Epilog, in dem Szenen aus dem surrealen Jodorowsky-Film „El Topo“ (1970) zu sehen sind.

Die Suche nach symbolischen Bildern des Krieges soll dazu anregen, über die ethische Dimension von Gewaltbildern nachzudenken. Und genau das, ist Kaprealian überzeugt, erfüllt die Drastik der Nachrichtenbilder eben nicht.

„Houses without doors“, Syrien / Libanon 2016, Regie: Avo Kaprealian, 90 Minuten

Weitere Vorführungen:

Mittwoch, 17.2., 13:30 Uhr (Cinemaxx 6),

Samstag, 20.2., 19.30 Uhr (Cinemaxx 4)