Felix Kolb kommt aus einem gutbürgerlichen Haus. Geld, sagt er, sei einfach immer da gewesen, nichts, worüber er sich Gedanken machen musste. Das änderte sich, als der heute 33-Jährige in der Schulzeit politisch aktiv wurde. "Politische Arbeit kostet Geld,und es war für mich eine neue Erfahrung: dass etwas an Geld scheitern kann", sagt er. Seitdem war er stets auf der Suche nach Geld für die gute Sache – seine Eltern waren eher zurückhaltend darin, ihren Sohn dabei finanziell zu unterstützen. Kolb gehörte zu den Mitgründern von Attac, war ihr Sprecher. Im Umfeld von Attac war es auch, wo sich junge, reiche Erben zusammenfanden, die ihr Geld nicht nur für den eigenen Gewinn, sondern für Reformen arbeiten lassen wollten. Daher gründeten sie die "Bewegungsstiftung". Felix Kolb war einer von ihnen.
Berlin, Karl-Marx-Allee, Ecke Straße der Pariser Kommune. Bei Anne Allex wird heute zwischen 10 und 13 Uhr das Telefon viermal klingeln. Sie sitzt am Informationstelefon eines Aktionsbündnisses, das sich gegen Hartz-IV-bedingte Zwangsumzüge einsetzt. Bei den ersten beiden Anrufen geht es um Mietsteigerungen, beim dritten darum, ob man als Hartz-IV-Empfänger in eine Wohnung ziehen darf, die teurer ist als 360 Euro, warm. Darf man nicht. Eigentlich. Empfänger von Hartz IV, 220 000 leben in Berlin, bekommen monatlich 345 Euro vom Jobcenter ausbezahlt. Darüber hinaus wird ihre Wohnungsmiete übernommen, allerdings nur bis zu einem bestimmten Betrag. Für eine Einzelperson sind das 360 Euro, egal ob in Hamburg-Blankenese oder in Zwiesel. Steigt die Miete, etwa wegen höherer Energie- und damit Nebenkosten, auf zum Beispiel 400 Euro, muss der Hartz-IV-Empänger die Differenz von 40 Euro selbst zahlen, und zwar von den 345 Euro, die er zum Leben hat. Schafft er das nicht, muss er eine billigere Wohnung suchen – ein Zwangsumzug.
In Berlin ist die "Kampagne gegen Zwangsumzüge" auf mindestens acht Fälle gestoßen, in denen ein Hartz-IV-Empfänger umziehen musste, wobei die Frage offen bleibt, wie viel in den Einzelfällen Zwang war und wie viel Perspektivlosigkeit. Das ist eine von vielen rechtlichen Grauzonen. Licht in dieses Grau zu bringen ist schwer. Hartz-IV-Empfänger haben keine Lobby und wenig Geld. Keine gute Basis, um sich mit dem Staat anzulegen. Die Umzüge könnten sich bald häufen – in Berlin sind die Energiekosten gerade erheblich gestiegen. "Viele sind ganz gut informiert, aber sie wissen nicht, wie sie reagieren sollen, wenn ein Brief kommt", sagt Anne Allex. Ein Brief vom Jobcenter, in dem die Behörden beispielsweise regelmäßig wissen wollen, ob alle Regeln eingehalten werden. Was kostet die Wohnung genau? Und warum? Die Betroffenen wissen oft nicht, wie sie reagieren sollen. Müssen sie sofort ausziehen, wenn die Mieten steigen und sie kein Geld haben, die Differenz aufzufangen? Untermieter aufnehmen?
In dieser Situation versuche die "Kampagne gegen Zwangsumzüge" mit Informationen, etwa über Härtefallregelungen, zu helfen. Sie haben einen Werbespot gedreht, der in Berliner Kinos lief, sie haben frühmorgens bei Beamten geklingelt, um zu fragen, ob sie allein wohnen oder Mitbewohner haben oder einen Partner. Normalerweise klingeln die Beamten unangemeldet bei Hartz-IV-Empfängern, um diese Fragen zu klären. Die Kampagne arbeitet ehrenamtlich, deshalb darf es keine echte Beratungsstelle sein. Und deshalb gibt es auch kein echtes Büro, das würde zu viel Geld kosten. Lange Zeit war ein Café in Uni-Nähe der Haupttreffpunkt. Aber dort ist es für die Gruppe auch immer schwieriger geworden,eine Reservierung zu machen. Warum, das weiß bei der Kampagne niemand so genau. Felix Kolb hat da eine Vermutung. "Sie sitzen stundenlang am Tisch und bestellen nichts", sagt er. Sie hätten ja kein Geld. Hier wird die Bewegungsstiftung wichtig. Denn die hat Geld, eine Menge sogar. 62 Geldgeber aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben die Stiftung mit momentan rund zwei Millionen Euro ausgestattet. Einige der Stifter wollen anonym bleiben, denn sie tragen bekannte Namen. Doch gibt es auch andere.
Ein Arbeitsloser aus Bremen zum Beispiel. Er hat zwar keinen Job mehr, aber noch Geld übrig. Als möglicher Hartz-IV-Empfänger darf er es aber nicht haben."Bevor er es verprasst, dachte er sich wohl, gibt er es lieber uns", sagt Kolb. "Wir schauen auch nicht so sehr darauf, woher das Geld kommt. Aber unser Geld soll gute Sachen tun", sagt Kolb. Die Stiftung legt das gestiftete Geld in ökologischen und sozialen Fonds und Aktien an. Von den Zinsen werden gesellschaftskritische und ökologische Projekte gefördert, die Anti-Atomkraftbewegung zum Beispiel, eine Kampagne für Kriegsdienstverweigerer in der Türkei oder eben das Aktionsbündnis in Berlin. Die Kampagne bekommt im laufenden Jahr 5000 Euro. Als Stiftungsziel gibt die Bewegungsstiftung an, durch die Unterstützung sozialer Bewegungen "politischen Wandel aktiv zu gestalten".
Denn die zunehmende Ungleichverteilung finanzieller Mittel in der Gesellschaft stehe in einem wachsenden Spannungsverhältnis zum Prinzip politischer Gleichheit."Wir wollen", sagt Kolb "mit Förderungen darauf aufmerksam machen: Da und dort ist eine Riesenschweinerei passiert." Die Berliner Kampagne erscheint ihnen deshalb auch förderungswürdig. Wer redet schon darüber, wie es Hartz-IV-Empfängern ergeht? Die Mitglieder der Kampagne glauben, sie würden im nächsten Jahr vielleicht kein Geld mehr bekommen von der Stiftung. "So eine Gruppe muss ja bestimmte Auflagen erfüllen und Strukturen schaffen, das können wir als Ehrenamtliche gar nicht", sagt Allex. Die Stiftung sieht das womöglich anders. Zum einen können nicht an jede Gruppe die gleichen Anforderungen gestellt werden, sagt Kolb. Zum anderen soll Öffentlichkeit hergestellt werden, um auf soziale Missstände aufmerksam zu machen. "Wo zu viel Ungleichheit herrscht, da werden wir tätig", so formuliert es Kolb. Da hat das Berliner Aktionsbündnis vielleicht schon mehr bewirkt, als es sich selbst bewusst ist. Der vierte Anruf, den Anne Allex am Tag ihres Telefondienstes erhält, kommt von der ARD.