In Bert Wollersheims Bordellen arbeiten etwa fünfzig Frauen. Seine eigene Tochter möchte er dort allerdings auf keinen Fall sehen. Ein Gespräch über Sex und Moral.

fluter.de: Herr Wollersheim, Sie haben in einem Interview gesagt, Sie seien mit Ehrlichkeit durch die Unterwelt gekommen. Kann sich ein Bordellbesitzer Moral leisten?

Bert Wollersheim: Ich habe mich den Gesetzen des Rotlichtmilieus widersetzt: Ich habe mich nie an Menschenhandel beteiligt, ich habe niemals eine Frau zum Sex gezwungen, ich war nicht so brutal wie andere. Das war nicht einfach, aber ich fühle mich dadurch eher stark als schwach. 

Was war schwierig daran? 

Wenn es ein Problem gibt, ist es in der Branche üblich, dass man sich an die Männer wendet. 

Mit "Männern" meinen Sie Zuhälter. 

Ja, und die habe ich irgendwann außen vor gelassen. Wenn die Männer am Ende der Woche das Geld für die Frauen abholen wollten, habe ich gesagt: "Ich arbeite mit der Frau und nicht mit dir." 

Das hat immer funktioniert? 

Manche Männer sind weggeblieben. Da ist mir ein Geschäft durch die Lappen gegangen. Aber das ist nicht so schlimm. Ich lebe gut von meinem Beruf. 

Sie waren einmal im Gefängnis, wegen erpresserischen Menschenraubs. 

Im Knast hatte ich viel Zeit zum Nachdenken, für mich war das eine Zeit der Läuterung. Ich habe danach keine Mädchen mehr für mich arbeiten lassen, als Zuhälter, wie Sie sagen. 

Zuhälter, Bordellbetreiber – macht das einen Unterschied? 

Zuhälterei findet in normalen Beziehungen statt, das finde ich schlimm. Es gibt brutale Typen und auch solche, die den Frauen vorgaukeln, dass sie sie lieben. Das ist heuchlerisch. Als Bordellbetreiber biete ich nur die Basis dafür, dass die Mädchen arbeiten können, und zwar freiwillig. Die Mädchen geben die Hälfte von dem ab, was sie verdienen. Ich bin ein Geschäftsmann. 

Was ist für Sie Moral? 

Ich muss noch dahinter kommen, was exakt damit gemeint ist. Darf ich mal im Duden nachgucken? Da steht: Sittlichkeit, Sitte, sittliche Haltung, sittliche Betrachtung. Ich glaube, das ist Auslegungssache.

Ist Prostitution unmoralisch? 

Gar nicht. Es gibt in der Sexualität Gesetze, an die sich die Menschen halten müssen: Verletze niemanden, tue niemandem etwas an, das er nicht ertragen kann. Habe Achtung vor dem anderen. Wenn zwei Menschen - ob sie sich nun lieben oder in einem Bordell Sex machen - sich einig sind, können sie tun, was sie wollen. 

Wie gehen Sie mit Leuten um, die Ihre Branche für unmoralisch halten? 

Ich bin offen zu meinen Kritiker/innen. Meine Schwester zum Beispiel gibt mir oft Anregungen, wie ich manches verbessern kann. Es war ihre Idee, einen Tag der offenen Tür im Puff zu machen, damit sich die Ehefrauen unserer Kunden das angucken können. 

Haben Sie einmal mit einem Pfarrer über Ihren Beruf gesprochen? 

Ich hatte mal bei Bärbel Schäfer eine Diskussion mit einem Priester. Es gab auch gegenseitige Besuche: Die Kirche kam in den Puff und wir sind in die Kirche gefahren, fürs Fernsehen. 

Hat der Priester versucht, Sie zu bekehren? 

Gar nicht, ich bekam sogar seinen Segen dafür, wie ich meine Arbeit mache. Für Bärbel Schäfer war es sehr enttäuschend, weil wir uns gar nicht gefetzt haben. 

Die Sängerin Edith Piaf sagte: Moral ist, wenn man so lebt, dass es gar keinen Spaß macht, so zu leben. Hat es einen besonderen Reiz, gegen geltende Moralvorstellungen zu verstoßen? 

Ich erinnere mich an eine seriöse Geschäftsfrau, die mal bei mir in den Club gekommen ist. Die hielt sich eigentlich für eine anständige Frau. Dann hat sie auf dem Tisch getanzt und es hat ihr Spaß gemacht. Ein bisschen unmoralisch zu sein ist manchmal wichtig. 

"Keine Affären mit Angestellten" - das ist eine Ihrer Regeln. Welche Anstandsregeln gibt es noch im Puff? 

Ich versuche, den Frauen die Chance zu geben, dass sie das Intimste nicht hergeben. Sie sollen keinen Sex ohne Schutz haben. Auch von Zungenküssen rate ich ab, schon aus hygienischen Gründen. 

Was ist unanständig an Küssen? 

Die Frauen sollen doch das Gefühl haben, sie machen einen Job und keine Sauerei. Zungenküsse sind gefährlich, weil Empfindungen rüberwachsen können. Es muss klar sein, dass die Hure eine Illusion verkauft, es darf nicht an die Seele gehen. Ich weiß von FKK-Clubs, in denen müssen die Frauen für 15 Euro ohne Schutz arbeiten und Zungenküsse geben, da verschlägt es mir die Sprache. Die sollten lieber putzen gehen, da bleiben sie Mensch. 

Ist Sex mit Minderjährigen unmoralisch? 

Ja. 

Ist es unmoralisch, mehrere Partner zu haben? 

Nicht, wenn man nicht in einer festen Beziehung ist. Das hatte ich auch schon mal. 

Zurzeit leben Sie allein. Wenn Sie eine Partnerschaft hatten, haben Sie einander Treue geschworen? 

Ich bin ein altmodischer Mensch. Ohne Treue brauche ich keine Partnerschaft, geschweige denn eine Ehe. Wofür sonst geht man eine Beziehung ein? 

Welche Moralvorstellungen gaben Ihnen Ihre Eltern mit? 

Meine Mutter hat mich Ehrlichkeit gelehrt, Achtung vor den Menschen und für andere da zu sein. 

Ihr Sohn ist dreieinhalb, Ihre Tochter 23 Jahre alt. Kinder können schrecklich moralisch sein, vor allem in der Pubertät. Hat Ihre Tochter Sie für Ihren Beruf kritisiert? 

Sie hat mich nie verurteilt. 

Wie haben Sie auf den ersten Freund Ihrer Tochter reagiert? 

Er musste sich bei mir vorstellen. Da bin ich ein alter Mafioso, ich will wissen, wo dieser Mensch wohnt. 

Haben Sie Ihrer Tochter gesagt: Hebe dir deine Jungfräulichkeit auf für einen, der dir wirklich wichtig ist? 

Im Gegenteil. Ich habe mal ein Gespräch zwischen ihr und ihrer Freundin mitbekommen. Die beiden fanden die Vorstellung spannend, Sex mit zwei Frauen und einem Mann zu haben. Ich habe ihnen gesagt: "Wir bestellen einen Berufslover, dann ist das nicht so kompliziert." Das wollten sie dann doch nicht. Ich wollte ihnen die Idee nehmen; es hat geklappt. 

Was macht Ihre Tochter beruflich? 

Sie jobbt in der Kinderbetreuung. Sie hat einen Freund und eigentlich möchte sie nur eins: Frau und Mutter sein. 

Hätten Sie etwas dagegen, wenn Ihre Tochter als Prostituierte arbeitet? 

Ich habe ihr von vornherein klar gemacht, dass ich das nicht hinnehmen würde. Ich habe ihr die Chance gegeben, etwas anderes zu machen. Diese Chance hatten viele Frauen, die bei mir landen, nicht. 


Prostitution in Deutschland:

In Deutschland arbeiten etwa 400 000 berufsmäßige Prostituierte, die Schätzungen zufolge einen Jahresumsatz von etwa 14 Milliarden Euro erzielen. Die deutsche Prostituierten-Interessenvertretung Hydra schätzt, dass darunter 100 000 bis 200 000 Ausländerinnen sind. Ihre Dienste werden täglich bis zu 1,5 Millionen Mal in Anspruch genommen. 

Seit dem 1. Januar 2002 ist das "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten" in Kraft, mit dem die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten verbessert werden soll. Das Gesetz ermöglicht Prostituierten die Absicherung in einer Sozialversicherung. Sie können sich in "wirksame Beschäftigungsverhältnisse" mit Bordellbetreibern begeben, das heißt: Arbeitsverträge abschließen. So können sie in gesetzliche Krankenkassen, in die Arbeitslosen- und Rentenversicherung aufgenommen werden. Das Gesetz ermöglicht es Prostituierten, Lohn einzuklagen. Zuvor wurde Prostitution als "sittenwidrige Tätigkeit" angesehen. Das ermöglichte es Freiern, sich vor der Bezahlung zu drücken - ein sittenwidriges Rechtsgeschäft gilt als nichtig. 

Geändert wurde auch Paragraf 180a des Strafgesetzbuches, der jetzt "Ausbeutung von Prostituierten" unter Strafe stellt; zuvor war es "Förderung". Als "Ausbeuter" gilt, wer Frauen "in persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit" bringt - für Hydra eine zu ungenaue Formulierung. Strafbar ist, unter 18-Jährige in einem Bordell arbeiten zu lassen oder jemanden zur Prostitution zu überreden. Verboten ist Prostituierten, Werbung zu betreiben - daher die "Fotomodell"- und "Massage"- Anzeigen in Zeitungen.