Daytrading ist Aktienhandel im Sekundentakt. Unser Autor hat es ausprobiert
Mitte April war mein Aktiendepot schwarz, heute ist das Gegenteil der Fall. Wie beides zusammenhängt, kann ich erklären. Erster Tag. Ich bin nicht reich und bin nicht arm. Ich bin weder geizig noch verschwenderisch, lebe zwar ein bisschen über meine Verhältnisse, aber das ist ja normal. Was ich will, sind ein paar Prozent mehr Zinsen. Oder Rendite. Was ich will, ist: mit Aktien handeln, genauer gesagt: daytraden.
Daytrading bedeutet, Aktien und andere Spekulationsobjekte am gleichen Tag zu kaufen und zu verkaufen. Das kann nach Stunden sein, nach Minuten oder Sekunden. Ich setze 500 Euro, das kann ich verkraften. Ein paar Regeln habe ich mir selbst aufgestellt. Erstens: Keine Spekulation mit Rohstoffen. Das trifft arme Bauern. Zweitens: Kein Handel mit Währungen. Mit Volkswirtschaften spielt man nicht.
Dann suche ich mir eine Online-Plattform und zocke los. Zuerst investiere ich in VW, Siemens, die Großen halt. Das ist so spannend, wie Faultieren beim Kratzen zuzugucken. Aber ich mache Gewinn, ein paar Euro in wenigen Minuten. Dann wage ich mehr, setze mehr. Leider ohne Erfolg.
"Du, ich hab heute 50 Euro verloren", erzähle ich meiner Freundin beim Abendessen. "Warum hörst du dann nicht auf?", fragt sie. Ja. Aufhören. Nee, morgen hole ich es doch wieder rein.
Das, was ich hier kaufe, sind ja sogenannte Hebelprodukte: geringer Einsatz, hoher Gewinn. Oder hoher Verlust. Es geht allein darum, den Kursverlauf richtig vorherzusagen. Steigt eine Aktie in einer Stunde um zwei Prozent, mache ich 40 Prozent Gewinn – wenn ich auf "Steigen" gewettet habe.
Zweiter Tag. In den Börsennachrichten lese ich: Der Goldpreis fällt. Er fällt rapide. Experten warnen: Das geht noch weiter. Ich steige also ein und wette, dass der Goldpreis sinkt. Klingt bombensicher.
Doch in den Minuten, da ich auf die Maus klicke, steigt der Wert gerade. In Sekunden mache ich 20 Euro Verlust. Aussteigen? Ach, da geht noch was. Der Preis ist doch so weit oben, der muss ja wieder runter! Wieder setze ich Geld auf "Fallen".
Dann steigt er. Dann steigt er weiter. Und steigt. 100 Euro Verlust. Okay, ich will hier raus. Aber in der Zwischenzeit, in Sekundenbruchteilen, zieht der Wert so stark hoch, dass der alte Preis schon nicht mehr gilt. 200 Euro sind weg. Und nun?
Ich begehe alle Fehler, vor denen man mich bei der Einführung gewarnt hatte: Ich wage zu viel. Ich werde gierig. Ich verkaufe nicht, wenn ich Verlust gemacht habe. Sekunden können dann entscheiden.
Einige Mausklicks später habe ich die 500 Euro restlos verloren. Nach zwei Tagen. Immer wieder will meine Hand die Maus zum Programm-Icon führen und doppelklicken. Ein bisschen die Verluste reduzieren. Geht doch schnell. Na los.
Ich trinke keinen Alkohol, rauche nicht, nehme sonst keine Drogen. Süchtig bin ich nur nach Schokolade. Aber dieses Gefühl – na los, komm, nur noch ein Mal! – kommt mir bekannt vor: aus der Zeitung. Wenn Uli Hoeneß von seiner Börsensucht erzählt.
Dritter Tag. Ich lösche die Software. Erst nur die Verknüpfung auf dem Desktop, so ist sie aus den Augen. Dann das ganze Programm.