Anschnallen. Jetzt wird es abgefahren. Denn es geht um nichts anderes als die Weltformel. Die Theorie also, die alles in einer handlichen Reihung von Zahlen und Zeichen erklären will: den Ursprung des Lebens, die Bewegung der Galaxien und die Entstehung des Universums. „Hatte Gott eine Wahl, als er die Welt erschuf?“, fragte Albert Einstein. Diese Frage machte der Entdecker der „speziellen Relativitätstheorie“ zur Grundlage seiner Arbeiten an einer „einheitlichen Feldtheorie“, mit der der große Physiker die Wechselwirkungen und mathematischen Strukturen von Elementarteilchen und Gravitation erklären wollte. Bis zu seinem Tod im Jahr 1955 kam er zu keinen brauchbaren Ergebnissen, um Relativitätstheorie (Lehre von der Bewegung von Körpern und Feldern in Raum und Zeit) und Quantenmechanik (Lehre vom Aufbau der Materie bzw. von den kleinsten Bausteinen des Universums) zur sogenannten Quantengravitation vereinigen zu können.
Die alles erklärende Weltformel zu finden ist eine der ältesten Sehnsüchte der Physik. Die Entdeckung des legendären Higgs-Teilchens im Juli 2011 mit Hilfe des gewaltigen Teilchenbeschleunigers am CERN bei Genf hat den Suchenden wieder neue Hoffnung gegeben. Das Higgs-Boson verleiht anderen Teilchen wie Elektronen, Protonen oder Quarks die notwendige Masse, um sie in Bewegung zu setzen. Bereits 1964 hatte Peter Higgs die Idee von der Existenz des „Gottesteilchens“ entwickelt. Mit dem Fund fügten die Wissenschaftler dem sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik den letzten Baustein hinzu. In diesem Modell sind alle Kenntnisse zusammengefasst, die den Aufbau von Materie und die Wechselwirkung der Materieteilchen untereinander beschreiben. So weit, so gut. Allerdings hat dieses Modell ein paar Haken. Es erklärt nicht die Phänomene der dunklen Materie, die das Universum zusammenhält, und der dunklen Energie, die den Kosmos auseinandertreibt. Diese rätselhaften und bis heute nahezu unerklärten Phänomene machen rund 95 Prozent des Universums aus. Der dritte bekannte Haken: Das Standardmodell lässt die Rolle der Gravitation auf die Materieteilchen außer Acht. Wer aber die Weltformel finden will, muss auch deren Gesetzmäßigkeiten berücksichtigen.
Die String-Theorie versucht diesen Makel zu beheben. Allerdings haben sich Mathematiker und Physiker hierfür ein hochkomplexes Modell erdacht, das kaum vorstellbar ist. „Ein String ist quasi eine eindimensionale, vibrierende Saite“, erklärt Thomas Grimm, Forscher am Max-Planck-Institut für Physik in München. „Und die einzelnen Vibrationszustände charakterisieren dann die Teilchen unseres Universums.“ Damit wären nicht Elektronen oder Protonen die kleinsten Bauteile, sondern ebenjene Strings, die durch ihr Schwingen Protonen oder Quarks mit Hilfe von Gravitationswellen aufbauen. Diese Theorie mag eine Herausforderung für besonders heiße Denker und Rechner sein. Allerdings konnten noch keine Experimente ihre Existenz beweisen.
Physiker wie der US-amerikanische Nobelpreisträger Robert B. Laughlin halten die String-Denker deswegen – salopp gesagt – für realitätsferne Spinner. In seinem Buch „Abschied von der Weltformel“ wirft er den String-Theoretikern ideologisches Arbeiten vor, mit dem sie horrende Forschungsgelder verpulvern würden. Er lehnt es ab, physikalische Gesetzmäßigkeiten zu erklären, indem man sie in immer kleinere Bauteile zerlegt. Der Mensch liebe eben absolute Fragestellungen, was aber nicht heiße, dass die Natur dies ohne Widersprüche wiedergebe. Die Physik müsse sich wieder mehr auf Alltagsfragen konzentrieren, so Laughlin. Auch der berühmte Physiker Stephen Hawking hat seinen Glauben an die Existenz einer „Theorie von allem“ mittlerweile aufgegeben. Bei einem Vortrag im Jahr 2003 bekannte er: „Manche Leute werden enttäuscht sein, wenn es keine endgültige Theorie gibt, die mit einer endlichen Zahl von Prinzipien formuliert werden kann. Ich gehörte in dieses Lager, aber ich habe meine Meinung geändert. Jetzt bin ich froh, dass unsere Suche nach Erkenntnis nie enden wird und wir stets die Herausforderung zu neuen Entdeckungen haben.“
Die Bilder
Für die Fotoarbeit „My Beamline“, die auch oben in der Galerie zu sehen ist, hat der Fotograf Kevin Fuchs ein Jahr lang die Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie Berlin (HBZ) bei ihrer physikalischen Grundlagenforschung begleitet. Die Forscher sind auf der Suche nach Struktur und Aufbau der Materie, aus der sich alles zusammensetzt. Stark vereinfacht gesagt werden Elektronen im „Synchroton Booster“ zuerst extrem beschleunigt und dann in einen kreisförmigen Speicherring geleitet. Dort werden sie von starken Magneten auf einer Kreisbahn gehalten und senden dabei Photonen aus. Die „Farben“ des Photons – sie erstrecken sich von sichtbarem Licht bis zum Röntgenbereich – sind für verschiedensten Experimente wertvoll. Deshalb wird dieses Licht durch rund fünfzig angeschlossene Strahlrohre weitergeleitet, an deren Ende Versuchsaufbauten stehen. Und dies ist nur eine von mehreren Experimentierhallen. In den Bildern von Kevin Fuchs wirken die Forschungsplätze wie futuristische Abenteuerspielplätze. Sie sind auch in einem Bildband mit dem Titel „My Beamline – Eine fotografische Auseinandersetzung mit einem Ort der Forschung“ erschienen. www.kevinfuchs.com