Abscheulicher Trash und weitsichtiges Meisterwerk. Zwischen diesen Extremen bewegt sich die Rezeption des britischen Psychothrillers „Augen der Angst“, der 1960 in die Kinos kam und umgehend eine Welle der Entrüstung auslöste. Kritik und Publikum waren gleichermaßen empört über das, was der unangepasste, aber doch geschätzte Filmemacher Michael Powell hier auf die Leinwand gebracht hatte: die Geschichte des schüchternen Kameraassistenten Mark Lewis, der, getrieben von einem Kindheitstrauma, Frauen ermordet und die Todesangst in ihren Gesichtern zu filmen versucht.

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cms-image-000044287.jpg (Foto: picture-alliance / KPA)
(Foto: picture-alliance / KPA)

Für den Regisseur hatten die Reaktionen verheerende Konsequenzen. Powell konnte beruflich nie wieder richtig Fuß fassen. Und Hauptdarsteller Karlheinz Böhm gelang es mit „Augen der Angst“ zwar wie gewünscht sein romantisches Image aus den „Sissi“-Filmen abzulegen – seine Karriere brauchte aber lange, um sich von seiner Rolle des Serienmörders zu erholen. Erst im Laufe der 70er-Jahre kam es dann zu einer positiven Neubewertung des vermeintlichen Skandalwerks, entscheidend vorangetrieben durch den US-amerikanischen Regisseur Martin Scorsese, der sich für eine Wiederaufführung starkmachte.

Auf der Suche nach den Gründen für die Hysterie, die dem abgründigen Thriller zunächst entgegenschlug, landet man unweigerlich bei seiner doppelt anstößigen Thematik: Ein Film über einen Psychopathen, der darüber hinaus die pornografische Fotografie als florierenden Geschäftszweig darstellt, war eine Zumutung für viele Sittenwächter. Beängstigend war zudem, wie unvorstellbares Grauen auf einmal mitten im Alltag verankert wurde, anstatt es auf übersinnliche Monster zu projizieren – ähnlich wie im zeitgleich entstandenen Film „Psycho“.

Die größte Verstörung rief Powell allerdings mit seinen Brüchen des filmischen Illusionsraumes hervor. Immer wieder macht er den Zuschauer auf seine Position als Betrachter aufmerksam und verhindert so ein Abtauchen in das Filmgeschehen. „Augen der Angst“ spielt zu weiten Teilen im Milieu der Filmindustrie, die als zynisch und oberflächlich gezeichnet wird. Der gestörte Protagonist Mark Lewis ähnelt einem Regisseur, der seine Opfer vor der Kamera zu heftigen Gefühlsausbrüchen treibt. Zugleich nimmt er aber auch die Position eines Zuschauers ein, wenn er die selbst gedrehten Mordfilme in seinem privaten Vorführraum zwanghaft studiert.

Voyeuristische Perspektive

Auch das Publikum drängt Powell wiederholt in die voyeuristische Perspektive von Mark Lewis. Schon gleich zu Anfang blicken wir durch den Sucher von Lewis’ Kamera auf sein baldiges Opfer und werden so zu Komplizen des Täters. Eine Darstellungsform, die im Serienkillerfilm mittlerweile gang und gäbe ist, damals jedoch provokant erschien.

Letztlich fehlt in vielen Szenen die Distanz, die es dem Zuschauer im Horrorkino ansonsten erlaubt, Angst genüsslich zu erleben. Überdeutlich wird dies auch gegen Ende des Films. Hier enthüllt Powell die ganze Grausamkeit von Marks Tötungsapparat und versetzt uns zum ersten Mal in die Perspektive des Opfers. Mit Helen, einer wissbegierigen Nachbarin, erkennen wir, dass der Protagonist die Frauen über einen an der Kamera befestigten Spiegel stets gezwungen hat, ihr angsterfülltes Gesicht zu betrachten.

Warum Publikum und Kritik die selbstreflexiven Qualitäten von „Augen der Angst“ in den Anfangsjahren nicht zu schätzen wussten, lässt sich eigentlich nur auf eine Weise erklären: Mit seiner radikalen Studie über das Kino, die Angstlust des Publikums und die komplexen Möglichkeiten des Kamerablicks war Powell seiner Zeit ganz einfach weit voraus.