Medien für Regierungstreue: Ungarn (steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ auf Platz 71 von 180 Ländern)
Schon auffällig, wer in Ungarn zuletzt alles so Medienunternehmer wurde: Andy Vajna, Regierungskommissar für die ungarische Filmwirtschaft, kaufte den Fernsehsender TV2. Mária Schmidt, der früheren Beraterin von Regierungschef Viktor Orbán, gehört seit Kurzem die Wochenzeitung „Figyelő“. Und Lőrinc Mészáros, Bürgermeister von Orbáns Heimatdorf Felcsút, sammelte Ende 2016 gleich zwölf Regionalzeitungen plus die linksliberale „Népszabadság“ ein, zeitweise Ungarns auflagenstärkste überregionale Tageszeitung, deren Einstellung er forcierte – vermutet man. Die Mitarbeiter wussten nichts vom Verkauf, ihnen wurde von einem Tag auf den anderen der Zugang zu ihren Büros verwehrt. Sie sprechen von einem „Putsch“ und sehen sich nun auf einem Arbeitsmarkt wieder, auf dem regierungskritische Meinungen nicht direkt ein Einstellungsvorteil sind. Márton Gergely, der bei der „Népszabadság“ stellvertretender Chefredakteur war, beschreibt das ungarische Prinzip in einem Beitrag in der „Tageszeitung“ folgendermaßen: Regierungsnahe Unternehmer gewinnen staatliche Ausschreibungen, sie erhalten mehr Geld als eigentlich nötig, dafür kaufen sie Medien und bringen sie auf Staatslinie. Wie eben Lőrinc Mészáros. Der war mal Gasinstallateur, dann nahezu pleite, und seit der Wahl Orbáns zum Regierungschef 2010 wurde er zum millionenschweren Geschäftsmann.
Schläge und Kugeln: Russland (Platz 148)
Das letzte Opfer war Nikolai Andruschtschenko. Ein Lokaljournalist aus Sankt Petersburg, Gründer der „Nowy Petersburg“. Der 73-Jährige war von mehreren Männern verprügelt worden, nach rund sechs Wochen im künstlichen Koma starb er am 19. April 2017. Andruschtschenko galt als Kritiker der Regierung von Wladimir Putin. Seit dessen erstem Amtsantritt als Präsident 2000 sind Dutzende Journalistinnen und Journalisten in Russland ums Leben gekommen, zahlreiche von ihnen wurden erschossen, besonders in der Kaukasusrepublik Tschetschenien und dem benachbarten Dagestan leben Journalisten gefährlich. Die wohl prominenteste Tote, die 2006 in ihrem Wohnhaus erschossene Anna Politkowskaja, war denn auch eine der schärfsten öffentlichen Kritikerinnen von Putins Krieg in Tschetschenien. Ein Bezug zwischen staatlichen Stellen und den auffällig vielen Todesfällen ist dabei nicht herzustellen, jedenfalls nicht vonseiten der russischen Justiz. Mit der Pressefreiheit sieht es ansonsten finster aus in Russland, immer mehr Medien geraten unter staatliche Kontrolle, oder es läuft wie beim Fernsehsender Doschd, der seit 2014 nicht mehr landesweit zu empfangen ist. Immerhin: Mit der „Nowaja Gaseta“, für die auch Anna Politkowskaja schrieb, gibt es bis heute eine unabhängige, mehrfach in der Woche erscheinende Zeitung.
Blogger in Isohaft: Ägypten (Platz 161)
Ahmed Douma geht es nicht gut. Er leidet unter Schlafmangel, chronischen Kopfschmerzen, Rücken- und Kniebeschwerden, berichtet die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“. Es sind die Folgen der Einzelhaft, in welcher der ägyptische Aktivist und Blogger nach Angaben seiner Familie seit über drei Jahren sitzt, die Bibliothek und die Gebetsräume des Gefängnisses seien Douma dabei verwehrt. Dabei ist Ahmed Douma ein trauriger Hattrick gelungen: Unter jeder der letzten drei Regierungen Ägyptens – Mubarak, Mursi, al-Sisi – wurde der heute 28-Jährige ins Gefängnis gesteckt. Nun aber sitzt er lebenslang, und auch sonst ist seit dem Militärputsch im Jahr 2013, der Abdel al-Fattah al-Sisi zur Macht verhalf, die ohnehin geringe Pressefreiheit in Ägypten noch weiter eingeschränkt worden. „Reporter ohne Grenzen“ zählt mindestens 23 Journalisten in ägyptischen Gefängnissen. Im Mai 2016 wurden zwei Mitarbeiter des TV-Senders Al-Dschasira sowie eine weitere Journalistin wegen Verrats von Staatsgeheimnissen gar zum Tode verurteilt – allerdings in Abwesenheit. Was mit Ahmed Douma passiert, ist derzeit ungewiss.
Keine Kritik an der Nation: Polen (Platz 54)
Von einer „Repolonisierung“ der polnischen Medien träumen die Politiker der rechtskonservativen PiS-Partei von Jarosław Kaczynski. Kaum an der Macht erließen sie Ende 2015 ein neues Mediengesetz, das die Besetzung der Führungsposi tionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen durch die Regierung vorsah. Mit Jacek Kurski wurde ein PiS-Mann Chef beim Fernsehsender TVP, in der Folge verließen auch regierungskritische Nachrichtensprecher, Korrespondenten und Redakteure den Sender mehr oder weniger freiwillig. Probleme haben aber auch die unabhängigen privaten Medien, denn staatlich kontrollierte Unternehmen schalten weniger Anzeigen. Zudem will die Regierung den Einfluss ausländischer Investoren begrenzen. In der Folge ist Polen seit dem Machtwechsel in der Rangliste der Pressefreiheit von Platz 18 auf Platz 54 abgestürzt. Doch immerhin: Als die PiS-Regierung Ende 2016 auch noch den Zugang für Journalisten zum Parlament massiv einschränken wollte, besetzten Oppositionsmitglieder den Plenarsaal, Demonstranten blockierten die Ausgänge des Gebäudes, es gab Demo um Demo. Die Regierung gab schließlich nach. Noch ist Polen nicht komplett verloren.
„Welt“-Korrespondent weggesperrt: Türkei (Platz 155)
#FreeDeniz hat es längst in die 20-Uhr-„Tagesschau“ geschafft. Die Bewegung, die in Deutschland für die Haftentlassung von Deniz Yücel kämpft, dem Türkei-Korrespondenten der „Welt“. Yücel, in Hessen aufgewachsen, deutscher und türkischer Staatsbürger, sitzt seit Februar in Silivri westlich von Istanbul in Untersuchungshaft im Gefängnis. Er soll angeblich Propaganda für eine terroristische Organisation verbreitet und das türkische Volk aufgewiegelt haben. Dabei ist Deniz Yücel längst kein Einzelfall: Laut „Reporter ohne Grenzen“ befanden sich Ende Mai 50 Journalisten in türkischer Haft, so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Dutzende weitere Journalisten, die in Haft sitzen, sind wahrscheinlich. Allerdings lässt sich das nicht nachweisen, denn die türkische Justiz äußert sich oft nicht über die genauen Anschuldigungen. Fast alle von ihnen wurden Opfer der Verhaftungswellen, mit denen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und die regierende Partei AKP seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 ihr Land überziehen. Zudem wurden über 150 Medien geschlossen und über 700 Presseausweise annulliert. So ist die Berichterstattung überwiegend staatstreu – bei der knappen Abstimmung im April 2017 zugunsten des Verfassungsreferendums, das Präsident Erdoğan deutlich mehr Macht verschafft, könnte sie den entscheidenden Ausschlag gegeben haben.