Der Tod tritt nur langsam ein. Die Kreuzigung ist eine der qualvollsten Hinrichtungsarten, und kaum eine wirkt so abschreckend. 6.000 Kreuze säumen an diesem sonnigen Tag die Via Appia, Sterbende neben Toten. Die Handelsstraße zwischen Rom und dem Sklavenhafen Brindisi ist erfüllt von Wehklagen. Die verbliebenen Aufständischen hauchen ihre Leben aus. Spartakus, ihr Anführer, der bekannteste Sklave der Geschichte, muss das schon nicht mehr hören. Über ein Jahr, seit 73 v. Chr., hatte der thrakische Gladiator ein bis zu 70.000 Mann starkes, wütendes Sklavenheer kreuz und quer über die Apenninhalbinsel geführt. Der größte Aufstand in der Geschichte der Sklaverei. Trotzdem vergeblich: Wer nicht – wie Spartakus – in der Schlacht vor Brindisi fällt, wird gekreuzigt. Dass Rom mit derart roher Gewalt auf den Aufstand reagiert, hat seinen Sinn. Gewalt scheidet, nicht nur in Rom, frei von unfrei. Bürger zahlen Geldstrafen, Sklaven erleiden Körperstrafen. Durch Gewalt wird das selbstbestimmte Individuum zur Ware. Brutal wird der Versklavte herausgerissen aus seiner Selbstbestimmung, seiner Identität, Heimat und Familie, wird seiner Kultur, meist auch Religion und Sprachgemeinschaft entfremdet.

All das ist in der klassischen Antike längst Usus. Bis zur Szene entlang der Via Appia hat es unzählige Sklavenhalter- Gesellschaften gegeben. Es unterjochen die Azteken und Tupinamba in Südamerika, die Wikinger und Germanen in Europa, die Koreaner in Asien, die Maori in Polynesien und in Nordamerika die Cherokee. Das kriegerische Sparta, das demokratische Athen. Wege in Sklaverei und Leibeigenschaft existieren viele: Strafsklaven sind eines Unrechts wegen zur Sklaverei verurteilt. Schuldknechte haben sich am Ende ihres wirtschaftlichen Ruins selbst veräußert – oder wurden von der Verwandtschaft verhökert. Kinder von Sklaven sind Sklaven. Und Kriegssklaven die gezielte Beute von brutalen Überfällen auf fremde Völker.

Je nachdem, wie wichtig ein motiviertes Mitarbeiten der Sklaven ist, schaffen Gesellschaften Anreizsysteme, von kleinen Freiräumen über Hierarchien bis zur Freilassung qua Verdienst. Manche Kulturen versklaven lieber Fremde, andere aus ihrer Mitte heraus. Wo jedoch viele Sklaven gebraucht werden – wie auf Plantagen – wird dieser Bedarf durch Jagd und Handel im großen Stil gedeckt. Die Grundlagen für die transatlantische Sklaverei werden schon um das Jahr 1420 geschaffen: Neue nautische Technologien lassen besonders die Portugiesen immer weiter auf den Atlantik hinaus segeln. Die Azoren locken. Dort legen sie ab etwa 1450 mit deutschem und genuesischem Kapital, mit sizilianischen Agrarspezialisten und mit afrikanischen Sklaven sehr erfolgreich Zucker-Plantagen an. Mit ihren überlegenen Segelschiffen zapfen die Portugiesen ab 1475 erstmals den afrikanisch-arabischen Sklavenmarkt vom Südwesten aus an. Sie kaufen Gold in Ghana, Gewürze in Indien und Sklaven in der Bucht von Benin und dem Nigerdelta. 

Nach der Entdeckung »Westindiens« sind die Portugiesen wieder die Ersten beim transatlantischen Sklavenhandel. Es folgen Holland, Frankreich, England. Die Seefahrer Europas profitieren vom Menschenhandel – weil sie selbst zuvor so wenig gehandelt worden waren. Denn im neunten Jahrhundert war Mitteleuropa in keiner anderen Situation als Schwarzafrika: Lieferzone des arabischen Sklavenmarktes. Von Italien und Spanien aus versklaven islamische Emirate Anrainer. Vom Osten fallen die Ungarn ein und aus dem Norden greifen Wikinger Mitteleuropäer an. Mit viel Glück entwickelt in dieser Zeit das große Franken- Reich genau die schützende Stabilität, die Afrika zur selben Zeit abgeht. Dort breitet sich die ständige Sklavenjagd kulturzerfressend aus. 1235 formuliert der »Sachsenspiegel « als erstes Rechtsbuch Unfreiheit als Unrecht. Es dauert – wie die transatlantische Sklaverei zeigt – trotzdem Jahrhunderte, bis sich diese Vorstellungen durchsetzten. Als dann im 19. Jahrhundert Engländer und Franzosen gegen verbliebene Formen von Sklaverei ankämpfen – und beispielsweise über 1200-mal Sklavenschiffe auf dem Atlantik abfangen, sind sie nicht nur vom Geist der Aufklärung gelenkt. Es ist wie im Amerikanischen Bürgerkrieg: die Opposition gegen Sklaverei ist nicht nur durch Mildtätigkeit bestimmt, sondern auch durch den Kampf gegen eigene Standortnachteile.

Heute erlaubt kein Rechtssystem der Erde die Sklaverei noch, sie ist in Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verboten, doch sie gedeiht weiter. Es sind nicht nur die Kindersklaven Indiens, die Kindersoldaten afrikanischer Warlords, mitten in Westeuropa werden Frauen aus Osteuropa und Afrika Opfer von Zwangsprostitution, in China werden Köche angeworben, die in deutschen Asia-Restaurants gefangen gehalten und ausgebeutet werden. Es scheint, als sei der Kampf gegen die Sklaverei noch nicht zu Ende.  

Informationen zum heutigen Sklavenhandel: www.antislavery.org www.amnesty.de