fluter.de: Taylor Swifts „Eras Tour“ ist mit über einer Milliarde Dollar an Einnahmen die umsatzstärkste Tournee aller Zeiten. Was hat es mit diesem Hype auf sich?
Svenja Reiner: Taylor Swifts Erfolg kommt nicht über Nacht. Ihre beiden Corona-Alben „Folklore“ und „Evermore“ waren große Meilensteine. Sie sind stärker in eine Songwriter-Richtung gegangen, waren nahbar und haben extrem gut in die Pandemie gepasst. Man konnte diese Alben allein zu Hause mit Kopfhörer hören und sich in eine andere Realität träumen. Dann war es plötzlich wieder möglich, auf Tour zu gehen, ein befreiender Moment für ihre Fans. Außerdem steht Taylor Swift sehr für die aktuelle Mädchen-Kultur, für „Girl Culture“.
Girl Culture, was bedeutet das?
Sie steht im Kontrast zu dem, was in unserer gegenwärtigen Optimierungsgesellschaft erstrebenswert ist. Also schnell erwachsen werden, Arbeit am Selbst, Karriere. Girl Culture funktioniert dagegen über spielerische Elemente – über Glitzerfarben, Pastell-Outfits und Referenzen auf eine unbeschwerte Kindheit in den 90er-Jahren. Und durch die Verklärung von Romanzen wie auch bei gerade wieder angesagten „Romance Novels“. Dadurch ermöglicht Taylor Swift eine kurze Auszeit von einer Gegenwart, die sehr deprimierend sein kann.
Trotzdem ist sie ein abgeschotteter Weltstar mit Privatjet und exklusivem Freundeskreis. Wie kreiert sie dennoch Nahbarkeit?
Sie ist ein Weltstar, schafft es aber gleichzeitig, sich als permanenter Underdog zu inszenieren. Auch auf ihrem neuen Album „The Tortured Poets Department“ erzählt sie vom „awkward girl“, das verträumt ist, sich vorstellt, wie es wäre, in einer anderen Zeit zu leben. Eine, die früher nicht zu den coolen Kids gehört hat, nicht so schön war wie jetzt. Das sind Elemente, die ihre „Ihr könnt so sein wie ich“-Erzählung stärken. Die Nahbarkeit entsteht aber auch durch ihre besondere Beziehung zu den Fans.
Wie sieht diese Beziehung aus?
Beyoncé-Konzerte erinnern an Messen. Taylor-Swift-Konzerte sind dagegen eher die Hochzeit der besten Freundin. Ihre Konzerte wirken wie etwas, das zusammen geschaffen wird. Dieser Aspekt der Gemeinschaft wird auch durch die Easter-Egg-Kultur noch mal verstärkt: Taylor Swift versteckt Codes und Anspielungen in Textzeilen, Musikvideos und auf Albumcovern, die die Fans dann zu entschlüsseln versuchen. Zum Beispiel die Zahl 13 – Taylors Lieblingszahl. Fans ergründen penibelst, wo die 13 überall auftaucht. Diese interpretative Arbeit sorgt für Zusammenhalt. Und natürlich gibt es auch die Referenzen auf Ex-Lover und ihre Freundinnen. Deshalb nehmen Fans so intensiv daran teil.
Viele Fans tragen bei Konzerten sogar selbst gebastelte Freundschaftsarmbänder und tauschen sie mit anderen vor der Show.
Die Freundschaftsbänder sind ein gutes Beispiel dafür, dass Fans nicht, wie oft behauptet wird, eine willenlose Masse sind, die nur das macht, was der Star ihr vorgibt. Diese eindimensionale Beeinflussung gibt es nicht – und Taylor-Swift-Fans sind das Gegenteil. In ihrem Song „You’re on your own, Kid“ hat sie in nur einer Zeile auf ein Freundschaftsarmband verwiesen, übrigens auch als Praxis unter „uncoolen“ Teenagern. Daraufhin hat sich dieser Trend unter ihren Fans entwickelt und wurde zum Selbstläufer.
Taylor Swift, bekennende Demokratin, wird nachgesagt, sie könne den Ausgang der Wahlen in den USA beeinflussen. Hältst du das für möglich?
Taylor Swift steht für sexuelle Vielfalt und Selbstbestimmung. Also für Dinge, die man sich in den USA mittlerweile wieder erkämpfen muss. Daher ist es relevant, wenn Taylor Swift sagt, dass sie die Demokraten gewählt hat. Und natürlich stehen die Werte, die Taylor Swift durch ihre Musik vermittelt, den Demokraten näher als den Republikanern.
Trotzdem haben Rechte in der Vergangenheit versucht, Taylor Swift für sich zu vereinnahmen.
Sie ist weiß, blond und normschön. Durch diese Körpermerkmale kann sie von Rechten für ihre Ideologie missbraucht werden. Würden diese Rechten aber Swifts Songtexte lesen, würden sie sofort merken, dass sie gar nicht mit einer rechten Ideologie vereinbar ist. Es hat relativ lange gedauert, bis sie sich dagegen auch bewusst ausgesprochen und politisch positioniert hat. Daraufhin wurde sie von Trump beschimpft.
Du schreibst in einem Aufsatz über Taylor Swift, dass ihre Haltung von ihren Erfahrungen als Frau und von Empowerment und Gesellschaftskritik geprägt ist. Wie funktioniert ihr Feminismus?
Sie sagt: Ihr seid Teil einer Gemeinschaft, deren Merkmale ich auch teile, und uns eint die Erfahrung als weiße Frau in einer patriarchalen Gesellschaft. Wir lernen, männlich auftreten zu müssen, um Erfolg zu haben. Wir lernen aber auch, dass Freund*innenschaft wichtig und Dating dramatisch, aber auch schön ist. In erster Linie besteht ihr Feminismus also darin, intime, private und auch schambesetzte Erfahrungen öffentlich zu verhandeln.
Ist ihr Feminismus für die weiße Mittelschicht?
Es kann viel in Taylor Swift reingelesen werden. Hörer*innen verknüpfen ihr eigenes Leben und Weltbild mit den Aspekten, die sie anspricht. Was nicht passt, blenden sie aus. Darum ist sie zum Beispiel auch für eine queere Community relevant. Im Video zu „You Need To Calm Down“ spielen viele bekannte queere und Drag-Performerinnen mit. Das zeigt zumindest auf einer symbolischen Ebene: Auch ihr seid Teil meines Feminismus. Außerdem wurden mit der Zeit immer mehr Menschen of Color für Musikvideos gecastet. Taylor Swifts Feminismus ist also sehr offen und bestärkend.
Als Scooter Braun Chef von dem Label wurde, bei dem Swift bis 2018 unter Vertrag war, nahm sie ihre alten Alben als „Taylor’s Version“ noch mal auf, um ihm nicht die Rechte an ihrer Musik zu überlassen. Braun soll Swift früher gemobbt haben. Ist das auch ein empowernder Akt?
Es war für sie nicht möglich, die Masterversionen der Alben in ihren Besitz zu bringen, also nimmt sie alle neu auf. Einerseits scheint es Taylor Swift ein Bedürfniss zu sein, sich auszudrücken und im Besitz der eigenen Kunst zu sein. Das ist Empowerment. Andererseits werden ihre Alben neu verkauft, das ist wiederum profitorientiert.
Die Taylor-Welt ist eine sehr teure, die Ticketpreise zu ihrer „Eras Tour“ starten bei knapp 100 Euro, es kann aber auch viel mehr kosten. Warum sind Fans bereit, so viel zu bezahlen?
Manche Leute fahren in den Urlaub, manche schrauben an ihren Autos herum, und manche gehen zu Taylor-Swift-Konzerten. Fandom ist eine Art von intensiver emotionaler Beziehung zum Idol. Es geht darum, Werte und Erfahrungen aus der Fanbeziehung zu generieren, die das Leben lebenswert machen. Die Zeit, die man effektiv beim Konzert im Stadion verbringt, ist dann viel geringer als alles, was davor und danach stattfindet: Das Reisen, die Vorfreude, die Vorbereitung der Outfits, das stundenlange Anfertigen von Freundschaftsbändern.
Also ist Taylor Swift ein Hobby?
Ein zeitintensives Hobby. Manche Leute wachsen irgendwann aus Fandoms raus, manche bleiben ihr Leben lang Fan und altern mit ihrem Idol. Bei Taylor Swift geht es mittlerweile in ihren Songs auch um Hochzeit und Kinderkriegen. Ich bin gespannt darauf, was sie lyrisch verhandelt, wenn sie 50 ist.
Svenja Reiner ist Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Literaturvermittlerin. Sie promoviert in Musikwissenschaft über Fans in der Neuen Musik.
Portrait: Sophia Hegewald
Titelbild: Jessica Christian/Polaris/laif – Maggie Shannon/NYT/Redux/laif