fluter.de: Wie sieht ein typischer rechtsradikaler Influencer*innen-Account auf Instagram aus?
Sören Musyal: Fast wie alle anderen – und das ist auch gewollt: Er soll nicht auf den ersten Blick besonders politisch erscheinen. Viele rechtsradikale Influencer*innen, also solche, die eigentlich eine rassistische, menschen- und demokratiefeindliche Ideologie vertreten, lassen sich das nicht direkt anmerken, weil ihre Inhalte sonst schnell gemeldet und gelöscht würden. Sie spielen also zunächst das ganz normale Instagram-Game und posten persönliche Bilder und Storys aus dem Alltag. Dabei bedienen sie oft eine gewisse Ästhetik: Fotos vom Waldspaziergang, Naturbilder, Symbole einer Heimatverbundenheit wie blonde Frauen mit geflochtenen Zöpfen oder historische Orte. Beliebt sind auch Heldenbilder – sei es von NS-Wehrmachtssoldaten oder Gemälde von Schlachten. Manchmal tragen die Account-Namen auch Bestandteile wie „Patriot“, „Widerstand“, „deutsch“ oder „national“.
„Sie präsentieren sich lächelnd als ganz normale junge Menschen, um dem früheren Image – Glatze und Springerstiefel – zu widersprechen“
Das alles ist aber ja nicht verboten und demokratiefeindlich, sondern durch die Meinungsfreiheit gedeckt.
Verboten ist vieles davon nicht, demokratiefeindlich aber trotzdem oft. Was so harmlos aussieht, ist nicht immer harmlos, sondern häufig ein „weicher Einstieg“ zu radikaleren Inhalten. YouTube ist dafür ein gutes Beispiel: Der Algorithmus funktioniert wie eine Radikalisierungsmaschine, weil er den Nutzer*innen als nächstes Video immer eine Steigerung empfiehlt, egal zu welchem Thema. Rechtsaußen-YouTuber*innen benutzen die Plattform gerne für diesen „weichen Einstieg“. Weil viele Menschen dort etwas lernen wollen, bietet ein rechter YouTuber zum Beispiel ein Koch-Tutorial an …
… und schon bin ich auf einem politischen Kanal gelandet, obwohl ich mir eigentlich nur ein Schnitzel braten wollte.
Genau. Weil Facebook – und damit auch Instagram – mittlerweile konsequenter gegen Hate Speech vorgehen, ist YouTube noch wichtiger für rechtsradikale Influencer*innen geworden. Nicht zu unterschätzen ist der Telegram-Messenger. Dort können sie nach wie vor relativ offen kommunizieren. Unter den Posts verlinken sie oft die eigenen Telegram-Gruppen, in denen extremere Positionen ausgetauscht werden. Viele adaptieren außerdem Symbole und Codes, die wir aus Imageboards wie 4chan und 8chan kennen. In diesen Foren geht es sehr viel um Gewaltdarstellungen und expliziten Rassismus, Frauenhass und vor allem Antisemitismus. Ausschnitte des Videos vom Christchurch-Attentat kursieren dort als Memes.
In meine Feeds verirren sich keine rechtsradikalen Influencer*innen. Gibt es wirklich so viele von ihnen?
Einer der größten rechtsradikalen Influencer in Deutschland hat auf YouTube 120.000 Abos – das ist einerseits ziemlich viel, andererseits ist es wenig, wenn man ihn mit anderen Influencern vergleicht. Wir müssen den Erfolg der „Neuen Rechten“ im Netz also immer relativ betrachten. Extrem rechte Inhalte sind in den sozialen Medien erfolgreich, weil sie zur allgemeinen Funktionsweise der Plattformen passen. Wir wissen aus Studien, dass auf Facebook vor allem Inhalte gut laufen, die mit Emotionen spielen, und zwar am besten mit negativen wie Trauer oder Wut. Und das passt wiederum gut zu dem typisch faschistischen Narrativ: „Wir sind bedroht, wir sind nah am Untergang und müssen uns wehren!“
Gibt es eigentlich erfolgreiche Influencer*innen aus anderen politischen Ecken?
Eher nicht. Das Business von „normalen“ Influencer*innen besteht in der Regel nicht darin, politische Inhalte zu verkaufen, sondern Schuhe, Kosmetik – oder sich selbst. Mit jeder politischen Äußerung gehen sie darum das Risiko ein, einen bestimmten Teil ihrer Zielgruppe zu verschrecken. Das Business von rechtsradikalen Influencer*innen ist aber nicht, Produkte zu verkaufen, sondern eine politische Ideologie.
„Sie spielen mit dem, was früher mal Leitspruch der Punk-Bewegung war: ,Wir gegen den Mainstream‘“
In deinem Buch „Die rechte Mobilmachung“ beschreibst du mit deinem Co-Autor Patrick Stegemann das System und das Netzwerk, das hinter einigen der Accounts steckt. Wie funktioniert es?
Finanziert werden die Accounts über Spenden. Es gibt zum Beispiel die neurechte NGO „Ein Prozent“, die ganz gezielt rechte YouTuber*innen oder Musiker*innen unterstützt, und die Influencer*innen bitten auch unter ihren Videos fast immer um finanzielle Unterstützung. Die extreme Rechte spricht davon, dass sie sich in einem „Infokrieg“ mit der liberalen Öffentlichkeit befindet – die sie vor allem mit zwei Strategien angreift. Eine davon ist das organisierte Trolling, also Shitstorms gegen einzelne Personen oder das Kapern von Diskussionen. Die andere ist der sogenannte „Emo-Krieg“, der zum Beispiel auf Instagram stattfindet, wo sich Rechtsradikale freundlich lächelnd als ganz normale junge Menschen präsentieren, um dem früheren Image – Glatze und Springerstiefel – zu widersprechen. Sie vermitteln über ihre Auftritte einen starken Sinn von Gemeinschaft, ein traditionelles Bild von Geschlechtern und der Ehe, ein sehr starkes Männlichkeitsbild und ein Gefühl von Widerstand. Sie spielen mit dem, was früher mal Leitspruch der Punk-Bewegung war: „Wir gegen den Mainstream“. Hinter alldem steckt die Strategie der „Metapolitik“.
Was bedeutet das?
Metapolitik ist „Politik im vorpolitischen Feld“. Die Idee stammt eigentlich von einem kommunistischen Theoretiker namens Antonio Gramsci, der gesagt hat: Wenn man eine politische Revolution herbeiführen will, muss man zuvor die Köpfe der Menschen gewinnen, und das gelingt, indem man sich die kulturelle Vormachtstellung erarbeitet. Der neurechte Theoretiker Alain de Benoist hat das aufgegriffen und in ein Programm gegossen. Rechtsradikale Influencer*innen sind Teil dieser Metapolitik – genauso wie Theorie-Zeitschriften, Vortragsveranstaltungen, Winterakademien auf dem Land in Sachsen-Anhalt oder bestimmte Klamotten- und Biermarken.
Was können wir tun, um rechtsradikalen Ansichten in den sozialen Medien entgegenzuwirken?
Man darf ihnen nicht mehr Reichweite geben, als sie ohnehin schon haben. Das geht zum Beispiel, indem man Screenshots statt Retweets postet, wenn man auf etwas verweisen will. Besonders wichtig ist es aber, eine digitale Zivilcourage zu etablieren. Das heißt: Präsenz zeigen, wenn Menschen mit extrem rechten Ansichten versuchen, in einer Debatte die Meinungshoheit zu erringen oder vorzutäuschen, und sich mit Betroffenen von Shitstorms und Hasskampagnen zu solidarisieren.
Collage: Bureau Chateau / Jannis Pätzold