Sie sind faszinierend, die poor little rich girls. Sie hängen auf dem Sofa und in Sesseln herum, schön und jung und wohlhabend und schrecklich gelangweilt. Sie rauchen und seufzen und gähnen. Sie reden die ganze Zeit, ohne etwas zu sagen. Und man schaut ihnen gerne dabei zu, wie sie den Rauch ihrer Zigaretten in die Luft pusten, kokettieren und unbeteiligt tun. Und es natürlich nicht sind.
Das klassische, voremanzipatorische poor little rich girl war Teil von Amerikas Jeunesse dorée der 1920er- bis 1950er-Jahre, der wohlhabenden, hedonistischen Großstadtjugend. Natürlich fand man diesen Typ Mädchen oder Frau auch in der Literatur wieder – von F. Scott Fitzgeralds Daisy Buchanan bis hin zu Truman Capotes Holly Golightly, dem poor little rich girl in überspitzter Form, als mittelloses Mädchen, das sich in die High Society New Yorks einschleicht.
J. D. Salinger, der Autor von „Der Fänger im Roggen“, hatte ebenfalls eine Schwäche für diese Frauenfiguren. Das zeigt sich schon in seinen frühen Kurzgeschichten, von denen drei nun erstmals ins Deutsche übersetzt wurden: In „Die jungen Leute“ werden drei mögliche Varianten der armen, reichen Frau durchexerziert. In der Titelgeschichte ist es Edna, die auf einer Studentenparty viel zu sehr darauf konzentriert ist, zu strahlen, als dass sie echte Ausstrahlung entwickeln könnte. In „Geh zu Eddie“ ist es Helen, das arbeitslose Showgirl mit der „Glamour-Schnauze“, deren Affären ihrem Bruder zuwider sind. Und in „Einmal die Woche bringt dich schon nicht um“ ist es Virginia, deren Mann in den Krieg zieht und die nur widerwillig bereit ist, sich um seine geliebte Tante zu kümmern.
Am Ende gewinnt niemand
Die Frauen sind hochnäsig, kühl, verwöhnt und lassen ihre männlichen Gegenspieler am langen Arm verhungern – scheinbar. Doch da sind diese kleinen Gesten, in die sie sich flüchten und die ihre Unsicherheit zeigen. Edna, die sich imaginäre Asche vom Schoß wischt. Helen, die sich demonstrativ die Nägel feilt. Virginia, die immer wieder unvermittelt gähnt. Diese Art von arroganter Verletzlichkeit verbindet sie. Die Situation der College-Studentin Edna, die der Mutter der Party-Gastgeberin Zigaretten klaut, ist dabei keineswegs belangloser oder weniger existenziell als die der potenziellen Kriegerwitwe Virginia. Das ist Salingers Kunst: Jede seiner Figuren kämpft ihren eigenen Krieg – und am Ende gewinnt niemand.
Ebenfalls gerade im Piper Verlag erschienen ist „Oona & Salinger“, der neue Roman des Franzosen Frédéric Beigbeder, der sich grob an biografischen Fakten orientiert. Mit Oona O’Neill, New Yorker It-Girl aus gutem Hause und Tochter des Dramatikers Eugene O’Neill, führte Salinger im Sommer 1941 eine Beziehung, sie war 16 und er 22. Das Kennenlernen im legendären New Yorker Stork Club unter dem spöttischen Blick Truman Capotes, das keusche und doch leidenschaftliche Beieinanderliegen, die Gespräche über Literatur, das alles hat Beigbeder frei erfunden. Ebenso wie die Briefe, die Salinger als Soldat im Zweiten Weltkrieg an Oona schreibt, als diese längst mit dem sehr viel älteren Charlie Chaplin verheiratet ist (was wiederum stimmt).
Beigbeder sucht mit seinem Buch nach einer Erklärung, wie aus seinem Lieblingsautor der Mensch wurde, der er war: der Verfasser des wohl berühmtesten Coming-of-Age-Romans der Welt und der menschenscheue Mann, der bis zu seinem Lebensende zurückgezogen im Wald lebte. Und er findet sie in der Beziehung zu Oona und im Krieg, in dem Salinger unfassbarer Grausamkeit ausgesetzt war.
Der Autor mischt sich ein
Auf seiner Suche beschränkt Beigbeder sich nicht auf die Erzählung allein, sondern ist als Autor jederzeit präsent. Er sinniert seitenlang über die Liebe, analysiert den D-Day, interpretiert seine historischen Figuren („Das Einzige, was man mit Oona zu tun brauchte, war, sie zu trösten, sich um sie zu kümmern“), verklärt sie („Oona ist keine Frau, sie ist ein Prinzip. Ihre Schönheit ist ultramodern“) und führt ihre Welt und die unsere zusammen, indem er den Leser auffordert, sich ein Casting-Video von Oona auf YouTube anzusehen. Beigbeders Oona muss man dabei in ihrer kühlen, berechnenden und doch zarten Art bewundern und fürchten zugleich. Beigbeders Salinger mit seiner schüchterner Art zu lieben und seiner melancholischer Ruhe hingegen fühlt man sich nah.
Und so geht es einem auch mit den Figuren in „Die jungen Leute“ – den männlichen Gegenspielern ist man immer etwas näher, die Frauen hingegen, die sind furchtbar und faszinierend. Liest man „Oona & Salinger“ und „Die jungen Leute“ parallel, fragt man sich, ob nun Oona O’Neill Salinger zu seinen Frauenfiguren inspiriert hat – oder Salingers Frauenfiguren Beigbeder zu seiner Oona inspiriert haben. Wahrscheinlich stimmt beides.
Am Ende übertreibt Beigbeder es etwas mit der lebenslangen Liebesgeschichte. Da führt er Oona und Salinger im Jahr 1980 zu einem letzten Treffen zusammen, das es nie gegeben hat: in der Oyster Bar in der New Yorker Grand Central Station, dem Bahnhof, in dem auch Holden Caulfield eine Nacht verbrachte. Dort lässt Beigbeder die gealterten Ex-Liebhaber Sätze im Stil einer Hollywood-Romanze austauschen („Wir waren so jung und so dumm …“), Oona nervös an ihrer Perlenkette herumfummeln und endet in einer kitschigen Szene rund um ein gemeinsames Erinnerungsstück. Aber man möge ihm das verzeihen. Denn am Ende ist „Oona & Salinger“ ja nicht nur die Suche nach einer Erklärung, sondern auch: eine Hommage an einen Schriftsteller, geschrieben von einem Schriftsteller, der ihn sehr bewundert.
Nadja Schlüter ist Redakteurin bei jetzt.de