fluter: Zehntausende Menschen haben in deiner Heimat Kongo gegen den Präsidenten Joseph Kabila demonstriert – mindestens 20 wurden von Sicherheitskräften getötet. Was steht auf dem Spiel, für das es sich lohnt, sein Leben zu riskieren?

Fred Bauma: Die Amtszeit des Präsidenten ist abgelaufen, also hat die Bevölkerung das Recht, einen Neuen zu wählen. Da geht es nicht in erster Linie um Kabila als Person, sondern um die Prinzipien unserer Verfassung. Werden uns unsere Rechte genommen, sind wir quasi in der Pflicht uns dagegen aufzulehnen, friedlich versteht sich. Gerade die Jugend ist für mich der Wächter der Demokratie. 

Warum die Jugend? 

Meine Generation ist mit dem Krieg aufgewachsen; wir haben erlebt, zu welchen Gräueln Menschen fähig sind. Der Krieg endete 2003, weil sich die Kriegsparteien zunächst auf eine Übergangs- und dann auf die 2006 in Kraft getretene heutige Verfassung einigten. Die geben wir nicht einfach wieder auf. Wer jetzt die Demokratie aushebeln will, muss erst die Jugend brechen. Jede Generation hat ihren Kampf, und für uns ist es die Verteidigung der Demokratie. Wir wählen dafür einen neuen Weg, den der Gewaltlosigkeit. 

„Gewaltlosigkeit ist dabei eine Form der Aktion, wie bei Gandhi“

Der Präsident klebt am Stuhl

2016 hätte in der Demokratischen Republik Kongo ein neuer Präsident gewählt werden sollen. Doch der amtierende Staatschef Joseph Kabila möchte im Amt bleiben – und so hat seine Regierung schlicht keine Wahlen organisiert. Offiziell hieß es, der Wahlgang sei aus logistischen Gründen nicht vor 2018 möglich, doch Beobachter zweifeln an den Verlautbarungen. Kabila hat bereits zwei Amtszeiten absolviert und dürfte laut Verfassung nicht erneut kandidieren. Nachdem seine Versuche, die Verfassung zu ändern, am Widerstand der Opposition scheiterten, waren die Wahlen zunächst auf 2018 verschoben worden. Nach immer wieder aufflammenden Massenprotesten im ganzen Land, bei denen Dutzende Demonstranten durch Kugeln der Polizei starben, vermittelte die katholische Kirche kurz vor Jahresende einen Kompromiss: Noch 2017 soll gewählt werden, Kabila dann aus dem Amt scheiden. Regierungslager und Opposition haben dem Abkommen bereits zugestimmt, die Unterschriften des Präsidenten und des wichtigsten Oppositionsführers fehlen aber noch.

Die Verfassung, die Kabila ändern wollte, hatte er selbst einst unterschrieben. Zwischen 1996 und 2003 haben im Kongo brutale Kriege gewütet, die – und deren Folgen – geschätzt mehrere Millionen Menschen das Leben kosteten. Der Zweite Kongo-Krieg endete nach einem langwierigen Friedensprozess formal mit der Einsetzung einer Übergangsregierung und mit der Verabschiedung einer neuen, demokratischen Verfassung. Bei den ersten freien Wahlen 2006 wurde Kabila, Sohn des berüchtigten Kriegsherrn und Präsidenten Laurent-Désiré Kabila, zum Präsidenten gewählt; 2011 in weniger freien Wahlen im Amt bestätigt. Seither werden Oppositionsgruppen und Journalisten zunehmend drangsaliert. 

Die DR Kongo exportiert riesige Mengen wertvoller Rohstoffe, und dennoch zählt die Bevölkerung zu den ärmsten der Welt. Der Staat ist geprägt von Korruption und Vernachlässigung, die meisten Kongolesen haben weder Strom und Wasser noch freien Zugang zu Schulbildung. In mehreren Provinzen im Osten und Süden des Landes kämpfen zudem weiterhin bewaffnete Milizen. Die Perspektivlosigkeit trifft vor allem junge Menschen: Zwei Drittel der Kongolesen sind jünger als 25.

Du bist der wohl bekannteste Aktivist der Jugendbewegung Lucha. Der kongolesische Regierungssprecher bezeichnete euch als Terroristen; Oppositionspolitiker loben euren Idealismus, nennen ihn aber auch naiv – schließlich will Lucha nicht parteipolitisch aktiv werden. Was ist das Selbstverständnis von Lucha?

Lucha folgt drei Prinzipien: Wir sind eine Bürgerbewegung, wir sind gewaltlos und wir sind unabhängig. Bürgerbewegung, weil wir – ganz im ursprünglichen Sinne einer Zivilgesellschaft – einfach selbst aktiv werden und Bürger mobilisieren. Gewaltlosigkeit ist dabei eine Form der Aktion, wie bei Gandhi. Wir sind unabhängig von Parteien oder Organisationen, weil wir eine Vision für die Zukunft der Gesellschaft aufbauen wollen, eben nicht, um selbst an die Macht zu gelangen. Als Lucha 2012 im Osten des Kongos gegründet wurde, war es nur eine Handvoll junger Leute. Inzwischen gibt es Dutzende Zellen im ganzen Land. Es ist, als hätten wir einen Samen gepflanzt, aus dem vieles wächst. Lucha hat keine Hierarchie und keine Anführer, es ist vielmehr eine Art zu denken: Wir wollen die Bürger sein, die wir uns für einen zukünftigen, einen besseren Kongo wünschen. 

Sind für die vielen Probleme im Kongo nicht eher korrupte Eliten verantwortlich? 

Die Bevölkerung, die nichts einfordert, ist Teil des Systems. Es reicht nicht, einen Politiker abzusetzen und neu zu wählen, wenn die Bevölkerung garnicht gebildet genug ist, um ihre eigenen Rechte zu kennen. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel und um den zu erreichen, müssen wir möglichst viele Menschen mobilisieren. Wir sind die Akteure unseres eigenen Wandels. Diesen Gedanken teilen wir übrigens mit der Jugend in vielen Ländern Afrikas. In Burkina Faso und Senegal haben Jugendbewegungen bereits Autokraten gestürzt. 

Du selbst wurdest festgenommen, als du im März 2015 mit Aktivisten aus Burkina Faso und Senegal aufgetreten bist. Wie lautete die Anklage? 

Die gleiche Frage stellte mein Anwalt bei Gericht, als man mich und den Mitangeklagten Yves Makwambala nach fast zwei Monaten ohne Kontakt zu Familie oder Bekannten endlich einem Richter vorführte. Der Ankläger musste dann erst mal fünf Minuten in seinen Papieren wühlen, er wusste gar nicht Bescheid. Dann kam raus: Wir hatten das ganze Paket! Auf der Liste stand neben Störung der öffentlichen Ordnung und einigem mehr auch ‚die geplante Tötung des Staatschefs‘. Darauf steht die Todesstrafe. Dass der Ankläger nicht Bescheid wusste, obwohl es hier angeblich um einen Anschlag auf den Präsidenten ging, zeigt schon, wie haarsträubend das ganze Verfahren ist. 

Du hast schließlich knapp 18 Monate in Makala eingesessen, das als eines der berüchtigtsten Gefängnisse Afrikas gilt. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Auf eine Art habe ich im Gefängnis mein Land verstehen gelernt. Makala ist wie eine Miniatur des Kongos, ebenso durchdrungen von Korruption und Ungerechtigkeit. Das Gefängnis wurde 1958, noch in der Kolonialzeit, für 1.500 Gefangene gebaut, doch heute sitzen dort mehr als 8.000 Menschen ein.

Die ganz große Mehrheit hat nicht einmal ein Gerichtsverfahren bekommen. Wer kein Geld hat, der kann weder richtig essen noch freikommen. Der kongolesische Rechtsstaat existiert nur auf dem Papier. Anfangs war ich überwältigt von der Brutalität des Systems. Aber mit der Zeit habe ich verstanden, wie alles läuft, und bin selbst aktiv geworden. Mein Mitgefangener und ich haben anderen Häftlingen geholfen, ein Verfahren zu bekommen, und IT-Unterricht gegeben. 

„Die Anklage besteht weiter. Also droht uns auch weiter die Todesstrafe“

Ihr wurdet im Sommer völlig überraschend freigelassen. Wie kam es dazu? 

Die Regierung hat uns nicht aus freien Stücken freigelassen, sondern weil sie unter Druck steht. Andere Lucha-Aktivisten haben sich für uns eingesetzt, Oppositionspolitiker, ausländische Diplomaten und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Ein paar Lucha-Aktivisten wurden dafür ebenfalls eingesperrt und sogar gefoltert. Wir wurden auch nur vorläufig freigelassen, die Anklage besteht weiter. Also droht uns auch weiter die Todesstrafe. 

bauma.jpg

Fred Bauma (Foto:  Amnesty International / Ralf Rebmann)

Fred Bauma, 26, ist Aktivist der Bürgerrechtsbewegung „Lucha“ in der Demokratischen Republik Kongo. Lucha steht für „Lutte pour le changement“, Kampf für Veränderung, und ist mit Protesten gegen staatliche Korruption und Vernachlässigung bekannt geworden. Für sein Engagement saß Fred Bauma fast 18 Monate im Gefängnis und wurde zur Symbolfigur der Demokratiebewegung. Amnesty International erklärte ihn zu einem „Botschafter der Hoffnung 2016“.

(Foto: Amnesty International / Ralf Rebmann)

Du bist seit deiner Freilassung viel im Ausland unterwegs gewesen und hast unter anderem vor der Menschenrechtskommission des US-Kongresses und mit Vertretern der EU über die Situation im Kongo gesprochen. Was sollte das Ausland tun?

Es ist zunächst mal an den Kongolesen, für ihre Demokratie aufzustehen. Aber andere Staaten müssen sich auch überlegen, wie sie mit einem Kongo umgehen wollen, der nicht mehr demokratisch ist. Das wichtigste Instrument sind aus unserer Sicht Sanktionen. Ein Beispiel: Die Polizei von Kinshasa war berüchtigt für ihre Brutalität gegen Demonstranten. Kurz vor der ersten gemeinsamen Kundgebung des Oppositionslagers im Juli verhängten die USA deshalb Sanktionen gegen den Polizeichef der Hauptstadt. Und siehe da, die Polizei hielt sich zurück, es fiel kein Schuss. Wir fordern Sanktionen gegen die Personen im engsten Umkreis des Präsidenten. Die sollen sich zweimal überlegen müssen, ob sie sich an Repressionen beteiligen wollen. Wir hatten schon Erfolg: Eine Woche vor dem 19. Dezember verhängten die USA und die EU Sanktionen gegen sieben wichtige Personen, sogar den Geheimdienstchef. Damit es so weitergeht, brauchen wir auch die Unterstützung von jungen Leuten hier: Sie können ihre Politiker mit Protesten dazu anhalten, Sanktionen zu verhängen.  

Musst du nach solchen öffentlichen Auftritten nicht befürchten, dass man dich gleich wieder verhaftet, sobald du in den Kongo zurückkehrst? 

Ich werde sicher zurückkehren. Der Kongo ist mein Zuhause. Nicht unwahrscheinlich, dass man mich verhaftet, sobald ich zurückkehre, vielleicht gleich am Flughafen, vielleicht erst nach ein paar Wochen. In meinem Land ist alles möglich, aber ich habe nur ein Land. Und solange ich frei bin, werde ich frei reden

Titelbild: Jc Wenga/Anadolu Agency/Getty Images