„Wo warst du an dem Tag, als Präsident Kennedy erschossen wurde?“ war in den USA lange Zeit ein beliebtes Aufsatzthema und Anlass, sich an den schicksalhaften Tag zu erinnern. Fragt man ein bisschen herum, stellt man fest, dass sich auch jener Tag, an dem Donald Trump über Hillary Clinton triumphierte, in das Gedächtnis vieler Menschen eingebrannt hat – wenn auch mit ganz unterschiedlichen Gefühlen. Hier erzählen drei junge US-AmerikanerInnen, was sie gemacht haben, als sie von Trumps Wahlsieg hörten, welche Erwartungen, Sorgen oder Erkenntnisse sie überkamen und wie sie heute, nach einem Jahr, über das Ereignis denken.

„Habe ich einen gigantischen Fehler gemacht?“

thomas.jpg

Thomas ist 22 und studiert Politikwissenschaften an einem kleinen College in Upstate New York

Thomas ist 22 und studiert Politikwissenschaften an einem kleinen College in Upstate New York

Ich habe aus zwei Gründen Donald Trump gewählt: Erstens war ich davon überzeugt, dass er als erfolgreicher Manager ein kompetentes Kabinett einstellen würde, das die besten Entscheidungen im Sinne der Vereinigten Staaten treffen würde. Und zweitens repräsentiert Hillary Clinton für mich die Schattenseite der US-amerikanischen Politik. Doch gerade in den TV-Duellen wurde mir klar, dass ich eigentlich von keinem Kandidaten wirklich überzeugt war. Ich stand der Aussicht auf eine Trump-Präsidentschaft einfach etwas optimistischer gegenüber als der einer Clinton-Präsidentschaft. Als Trump in der Wahlnacht zum Sieger erklärt wurde, war ich dann aber schon sehr glücklich. Ich hätte einfach nicht gedacht, dass er überhaupt gewinnen kann. Meine Gefühle änderten sich aber sehr schnell. Schon als Trumps Sprecher am Tag nach der Amtseinführung erklärte, dass diese von der „biggest crowd ever“ besucht worden sei, dämmerte es mir: Habe ich einen gigantischen Fehler gemacht? Auch sein Kabinett widersprach dann allen meinen Hoffnungen. Dann kam sein Einreiseverbot für Menschen aus bestimmten muslimischen Ländern. Dann fing er an, einen Konflikt mit Nordkorea vom Zaun zu brechen. Dann wollte er verbieten, dass Trans-Menschen im Militär dienen. Abstoßend! Vor einem Jahr hatte ich die Wahl zwischen dumm und dümmer. Im Nachhinein betrachtet muss man sagen, dass ich mich für dümmer entschieden habe.

„Als schwarze Frau habe ich mittlerweile etwas mehr Angst, dass ich Opfer eines Angriffs werde“

antonia.jpg

Antonia, 24, arbeitet für eine Non-Profit-Organisation in Detroit, die sich um die Dekonstruktion von verlassenen Häusern kümmert

Antonia, 24, arbeitet für eine Non-Profit-Organisation in Detroit, die sich um die Dekonstruktion von verlassenen Häusern kümmert

Irgendwann in der Wahlnacht war ich zu müde, um die Berichterstattung weiter zu verfolgen. Ich bin im festen Glauben daran ins Bett gegangen, dass Hillary die Wahl gewinnen würde. Es war ein bisschen wie Weihnachten: Ich wusste, morgen früh wache ich auf und wir haben eine Frau im Weißen Haus. Als ich dann realisierte, dass Trump gewonnen hatte, überkam mich ein hohles, surreales Gefühl. Auf der Arbeit war es nicht anders: Keiner meiner Kollegen konnte fassen, was passiert war. Momentan wird unser Job massiv dadurch beeinträchtigt, dass Trump das Budget für die United States Environmental Protection Agency gekürzt hat. Jetzt können wir viele unserer Projekte nicht mehr finanzieren und müssen uns komplett neu aufstellen. Doch für die meisten Menschen in Detroit hat sich kaum etwas geändert: Wenn sie vor der Wahl keinen Job hatten, dann haben sie jetzt auch keinen. Für Trump und seine Politik bleibt ihnen nicht viel Zeit und Interesse. Natürlich hat er viel darüber gesprochen, sterbende Industriezweige wiederzubeleben, aber ich glaube nicht, dass er weiß, was das bedeutet. Mich schockiert es, dass unser Land von einem frauenfeindlichen Rassisten regiert wird – und als schwarze Frau habe ich mittlerweile etwas mehr Angst, dass ich Opfer eines Angriffs werde. Dabei waren Rassismus und Sexismus schon immer latente Phänomene in unserer Gesellschaft; das Einzige, was sich geändert hat, ist, dass rassistische und sexistische Meinungen unter Trump viel offener zum Ausdruck kommen.

„Jetzt sorge ich mich vor allem darum, in welche internationale Katastrophe er uns hineinsteuern wird“

will.jpg

Will ist 24 und arbeitet als Mitarbeiter der Zulassungsstelle für die Harvard Law School. Er stammt aus Saltillo, einem 120-Seelen-Dorf in Texas

Will ist 24 und arbeitet als Mitarbeiter der Zulassungsstelle für die Harvard Law School. Er stammt aus Saltillo, einem 120-Seelen-Dorf in Texas

In der Wahlkampfphase hatte ich Einblick in beide Welten: Alle Menschen, die ich aus meiner Heimatstadt kenne, haben Donald Trump unterstützt, und alle Menschen, die ich von meiner Arbeit oder aus meiner Studienzeit kenne, haben Hillary Clinton unterstützt. Den Wahlabend habe ich dann mit Freunden auf dem Campus meiner alten Universität in North Carolina verbracht. Nach der Wahl hatte ich kurzzeitig die Hoffnung, dass sich Trump nur so demagogisch verhalten hatte, um Stimmen zu fangen, und dass er als Präsident deutlich besser regieren würde, als es sein Wahlkampf vermuten ließ. Diese Hoffnung hat sich jedoch schnell zerschlagen. Jetzt sorge ich mich vor allem darum, in welche internationale Katastrophe er uns hineinsteuern wird. Außerdem sind momentan noch so viele Posten in Washington unbesetzt, dass unser Staat in weiten Teilen nicht funktionieren kann. Ich mache mir Sorgen, welche Langzeitfolgen diese Erosion von politischen Institutionen für unser Land haben wird. Ich persönlich merke, dass ich seit der Wahl politisch apathischer geworden bin. Ich versuche einfach, nicht über Politik zu reden, wenn ich zu meiner Familie nach Texas fahre. Für mich ist die Wahl von Donald Trump ein weiterer Schritt in Richtung der wachsenden Polarisierung in den USA. Es erscheint mir unmöglich, positiven Wandel zu vollziehen, wenn die Meinungen und Wünsche der Menschen in unserer Gesellschaft so weit auseinanderliegen.

Noch eine Meinung gefällig?

 

Titelbild: Timothy Fadek/Redux/laif