„An deinem Geburtstag werde ich sagen, dass ich den Revolutionär in dir liebte, der mich immer inspirierte. Aber ich mag den Heiligenschein nicht. Ich bete dich nicht an.“
Dies war der erste Tweet, den Hamsa Kaschgari am 4. Februar 2012 auf seinem populären Twitter-Account veröffentlichte. Am selben Tag folgten zwei weitere Tweets, in denen der damals 23-jährige Blogger und Kolumnist der saudi-arabischen Tageszeitung „Al-Bilad“ den Propheten Mohammed direkt ansprach und so seine kritischen Gedanken gegenüber dem Islam zum Ausdruck brachte. Mit fatalen Folgen. In den nächsten Tagen wurde Kaschgari zum Opfer eines Shitstorms. Zehntausende Glaubensfanatiker forderten die Bestrafung, viele davon sogar den Tod des jungen Mannes für die angebliche „Beleidigung des Propheten“.
Aus Angst floh Kaschgari nach Malaysia. Mittlerweile hatte der saudi-arabische König Abdullah ibn Abd al-Aziz die Verhaftung Kaschgaris angeordnet. Denn in der ölreichen Monarchie, deren Bevölkerung zu 90 Prozent aus Sunniten besteht und die für ihre ultrakonservative Auslegung des Islam bekannt ist, werden kritische Äußerungen gegen den Islam und dessen Würdenträger wie auch die „Verunglimpfung“ des Korans oder des Propheten mit drakonischen Strafen geahndet. Das in Saudi-Arabien befolgte Recht orientiert sich grundsätzlich an den Normen der hanbalitischen Rechtsschule und den Anweisungen der Scharia als Gesamtheit des islamischen Gesetzes. Die Scharia regelt auch die sogenannten Grenzverbrechen, also die „Verbrechen gegen das Recht Gottes“ (arabisch: hadd), zu denen die Apostasie (Entsagung des Glaubens) gehört.
Die malaysischen Behörden nahmen Kaschgari schließlich fest und übergaben ihn der saudi-arabischen Polizei. 20 Monate musste der junge Blogger in einem Gefängnis verbringen, ohne dass ihm der Prozess gemacht wurde. Weniger Glück hatte der Blogger Raif Badawi, der in seinem Blog „Liberal Saudi Network“ die saudi-arabische Religionspolizei kritisierte und Meinungs- und Pressefreiheit einforderte. Er wurde im Mai 2014 wegen „Beleidigung des Islam“ verurteilt. Die Strafe: zehn Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von rund 240.000 Euro. Zudem: 1.000 Peitschenhiebe. Anfang des Jahres wurden ihm bereits 50 Hiebe verabreicht. Badawi wurde dabei so schwer verletzt, dass die weitere Vollstreckung der Strafe bis heute ausgesetzt wurde. Gerade in Ländern, in denen der radikale Islam die Grundlage des Rechtssystems bildet, wird der Vorwurf der „Beleidigung des Islam“ häufig dazu benutzt, Kritiker, Journalisten und Medien mit harten Strafen zu bekämpfen und auszuschalten.
Das US-amerikanische Pew Research Center listete für das Jahr 2012 insgesamt 20 Länder auf, in denen die Apostasie mit Bestrafungen bis hin zur Todesstrafe geahndet werden kann.
Repressionen unter dem Deckmantel der Religion
Neben Saudi-Arabien ist dies unter anderem im Iran, in Pakistan, in Afghanistan oder im Sudan der Fall. Die Studie „Blasphemy. Information sacrificed on altar of religion“, die im Dezember 2013 von der Organisation Reporter ohne Grenzen veröffentlicht wurde und die sich mit Repressionen gegen Journalisten und Medien unter dem Deckmantel der Religion beschäftigt, kommt zu dem Schluss: „Tatsächlich wird das System der religiösen Zensur nur selten genutzt, um tatsächliche Blasphemie oder die Verletzung eines Dogmas zu bestrafen.“ Und weiter: „In Theokratien ist die Anschuldigung der Blasphemie eine legale Waffe, um die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten.“
In solchen Ländern sind Gesetze und Regeln, die angeblich Religion, Tradition und Tugend schützen sollen, im Wortlaut so schwammig gehalten, dass sie vor allem dem Zweck der religiösen und auch der weltlichen Machthaber dienen, unliebsame Kritiker mundtot zu machen und die eigene Macht zu erhalten und zu schützen.
Journalisten, die die Macht der Mullahs im Iran in Frage stellen oder die Korruption des pakistanischen Klerus kritisieren, werden von den Machthabern nicht selten als „neue Häretiker“ gebrandmarkt, die gegen die göttliche Ordnung handeln. In Saudi-Arabien werden Freiwillige sogar dazu ausgebildet, das Internet nach „unmoralischen“ und „antiislamischen“ Inhalten zu durchforsten. Das iranische Regime hat mit dem „Halal-Internet“ ein Netz organisiert, in dem nur die Seiten und Inhalte abrufbar sind, die den Mullahs genehm sind.
Und in Artikel 41 des marokkanischen Pressegesetzes beispielsweise heißt es, dass Journalisten, „die die islamische Religion, das monarchische System oder die territoriale Integrität“ attackieren, zu einer Gefängnisstrafe zwischen drei und fünf Jahren und einer Geldstrafe von 10.000 bis 100.000 Dirham (900 bis 9.000 Euro) verurteilt werden können.
Auch in Pakistan kommt es immer wieder zu Anschuldigungen gegen Journalisten und Medien auf der Basis von Blasphemie-Gesetzen. Der Herausgeber der Zeitschrift „Nia Zamana“, Schoaib Adil, musste 2014 mit seiner Familie aus seiner Heimatstadt fliehen, weil er Angst hatte, vor Gericht gestellt zu werden. In einem Interview für das Committee to Protect Journalists (CPJ) sagte er: „Bei uns will niemand über Blasphemie sprechen. Anwälte halten sich aus diesen Fällen raus. Richter an niederen Gerichten werden durch die Mob-Justiz von religiösen Gruppen kontrolliert und beeinflusst, die sich schnell und effektiv organisieren können. Die sind so mächtig, dass sie sogar Richter zum Schweigen bringen. Denn denen ist klar, dass sie erschossen werden können. Also verurteilen die niederen Richter die Angeklagten häufig zum Tode und überlassen es dann den höheren Gerichten, das letzte Urteil zu sprechen. Häufig werden Angeschuldigte auch ermordet. Und jeder, der angeklagt ist, wird in jedem Fall für Jahre im Gefängnis landen, auch wenn man ihm nichts beweisen kann.“
Nur die Mutigsten lassen sich den Mund nicht verbieten
Für Journalisten wird die Arbeit so zu einer schwierigen Gratwanderung, deren Risiko sie kaum einschätzen können. Die Angst vor Strafen und Repressionen führt oft zur Selbstzensur. Nur die Mutigsten lassen sich den Mund nicht verbieten.
Aber auch in vielen christlich geprägten Ländern ist Gotteslästerung noch strafbar, darunter Griechenland und Italien. Die „Diffamierung von Religion“ wiederum steht in 86 von weltweit 198 Ländern unter Strafe, so auch in fast allen Ländern der EU. Die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ im Jahr 2005 oder der Anschlag gegen das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ am 7. Januar 2015 haben auch in den westlichen Demokratien Diskussionen darüber entfacht, ob die demokratische Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit mehr Rücksicht auf religiöse Gefühle nehmen sollte.
In Deutschland jedenfalls wurde der Blasphemie-Paragraf im Jahr 1969 so umformuliert, dass „Gotteslästerung“ als Straftatbestand darin nicht mehr vorkommt. Doch auf die Beschimpfung von „Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ stehen laut Paragraf 166 StGB immer noch bis zu drei Jahre Haft. Allerdings geht es bei diesem Gesetz nicht um die religiösen Gefühle des Einzelnen, sondern um Meinungsäußerungen, die das Potenzial haben, den öffentlichen Frieden zu stören. Urteile im Sinne des Paragrafen werden allerdings nur sehr selten gesprochen. Es gibt jedoch immer wieder Debatten über eine Abschaffung des Paragrafen. Dies fordern Grüne und FDP, während es aus der Union Stimmen für eine Verschärfung gibt. Die beiden großen Kirchen sind für die Beibehaltung des Status quo.