Kultur

Suchen Newsletter ABO Mediathek

„Wir alle sprechen kapitalistisch“

Welche Wirkung hat es, wenn wir sagen, dass Preise „steigen“ oder Märkte sich „beruhigen“? Der Ökonom Daniel Stähr und der Literaturwissenschaftler Simon Sahner haben ein Buch darüber geschrieben, wie Sprache und Wirtschaft zusammenhängen

Kapitalismus

fluter.de: Ihr habt ein Buch über die „Sprache des Kapitalismus“ geschrieben. Was soll diese Sprache sein?

Daniel Stähr: Wir alle sprechen und denken kapitalistisch. Das heißt, dass es in unserer Sprache Muster und Spuren gibt, die der Kapitalismus hervorgebracht hat. Zum Beispiel, wie wir über Preise sprechen. Häufig sagt man, dass Preise „steigen“. Das klingt wie die Flut, die steigt. Es hört sich an wie: Da können wir nichts gegen machen und müssen uns schützen. Genauer wäre es, zu sagen, dass Preise „erhöht“ werden. Das mag ein bisschen albern klingen, aber diese Unterscheidung macht deutlich, dass tatsächlich aktiv Entscheidungen getroffen werden und die Preise nicht steigen wie Pegelstände: Firmen entscheiden sich aktiv dafür, Preise zu erhöhen.

Simon Sahner: Wir sehen das auch, wenn wir über Finanzkrisen sprechen, die wie ein „Sturm“, ein „Tsunami“ oder „Hurrikan“ auf uns zukommen. Gerade Naturkatastrophen-Metaphern tragen einen großen Teil dazu bei, dass der Eindruck entsteht, der Kapitalismus funktioniere nach physikalischen Naturgesetzen und habe unvermeidbare Folgen. Das stimmt aber einfach nicht.

Wir leben aber eben im Kapitalismus. Wieso ist es dann problematisch, wenn wir auch kapitalistisch sprechen?

Simon: Wenn wir diese kapitalistische Sprache nicht reflektieren, dann vergessen wir, wie uns der Kapitalismus beeinflusst und welche negativen Folgen er hat. Wir wollen mit diesem Buch den Kapitalismus nicht abschaffen. Das ist utopisch und naiv und von heute auf morgen gefährlich. Es geht uns darum, ein Bewusstsein zu schaffen. Denn Sprache ist immer auch eine Stütze von Systemen. Und wenn man sich nicht über diese Systeme und ihre Sprache im Klaren ist, dann nimmt man etwas als einfach gegeben hin und setzt sich damit nicht weiter auseinander.

Im Buch heißt es, dass der „Markt“ eines der machtvollsten Bilder sei, die der Kapitalismus hervorgebracht habe. Inwiefern?

Daniel: Der Markt ist ein Konzept, das beschreibt, wie Preise gebildet werden: Man hat eine Gruppe, die etwas nachfragt, eine zweite bietet etwas an, und eine dritte sorgt dafür, dass sich alle an die Regeln halten. Das ist an sich eine sinnvolle Vereinfachung. Das große Problem an der Marktmetapher ist aber, dass Politiker*innen und Interessenvertretungen über den Markt sprechen, als hätte er ein Eigenleben: Wir seien dem Markt „ausgeliefert“, wir müssten die Märkte „beruhigen“. Dabei funktioniert der Markt nach von uns als Gesellschaft festgelegten Regeln. Wenn wir sprachlich so tun, als würde der Markt außerhalb des Staates existieren, ist das gefährlich, weil wir als Gesellschaft unsere Handlungsmöglichkeiten beschneiden. Denn wir könnten jederzeit unsere marktwirtschaftliche Grundordnung ändern, wenn es dafür die demokratischen Mehrheiten gäbe. Indem man sich das bewusst macht, erhält man als Gesellschaft ganz viel Verantwortung zurück.

diesprachedeskapitalismus.jpg

Die Sprache des Kapitalismus

„Die Sprache des Kapitalismus“ von Simon Sahner und Daniel Stähr erscheint am 13. März im Verlag S. Fischer

Die alltägliche Phrase „Geld verdienen“ haltet ihr auch für problematisch. Inwiefern?

Simon: Die Aussage beinhaltet, dass ich genau die Leistung erbringe, die dieses Gehalt rechtfertigt. Und es ist ein kapitalistischer Gedanke, dass Leistung immer auch gleich ein bestimmtes und gerechtfertigtes Gehalt liefert. Wenn man sprachlich penibel sein will, sollte es heißen, dass wir einen Lohn erhalten. Denn ob ein Profifußballer oder eine Pflegekraft ihr Gehalt „verdient“, ob es sich also um einen gerechten Lohn für ihre Tätigkeit handelt, ist ein ganz anderes Thema.

Zur kapitalistischen Sprache zählt ihr nicht nur einzelne Formulierungen, sondern auch ganze Erzählungen, zum Beispiel Aufstiegsgeschichten, die in sozialen Medien sehr präsent sind.

Daniel: Diese Geschichten sind, plakativ gesagt, ein Opium für die breite Masse. Sie wird beruhigt mit der Verheißung, dass jeder es irgendwie schaffen kann. Dieses Leistungsprinzip ist das Grundgerüst des Kapitalismus, ohne dieses Versprechen funktioniert es nicht. Dabei wissen wir, dass es nicht stimmt.

Simon: Die Erzählung vom Tellerwäscher zum Millionär ist ein solches und dazu extrem starkes Narrativ. Eines der besten Beispiele ist Elon Musk, der zwar sehr viel Kritik erfährt, aber auch eine riesige Fangemeinde hat. Bei seiner Geschichte wird selten miterzählt, dass viele seiner Erfindungen auf Grundlagenforschung beruhen, die von Universitäten oder der NASA kamen. So entsteht eine kapitalistische Erzählung, die unvollständig ist.

Es wird sehr hitzig über Sprache diskutiert, manche finden, sie sollte gendergerecht und diskriminierungsfrei sein, andere lehnen das ab. Wie passen eure Ideen da hinein?

Daniel: Es wird der Sprachkritik häufig vorgeworfen, dass Sprache kaputt gemacht oder verkompliziert werden soll. Aber uns geht es nur darum, dass man endlich anfängt, genau zu sprechen, und Dinge so benennt, wie sie sind.

Simon: Wichtig ist auch, dass diese Reflexionen nichts mit sprachlicher Kontrolle zu tun haben, sondern einfach mit Bewusstsein. Genauso wenig, wie ich jemanden dazu zwingen kann, inklusiv zu gendern, kann ich jemanden dazu zwingen, nicht mehr zu sagen, dass die Preise steigen.

Ihr werft der kapitalistischen Sprache vor, ideologisch zu sein. Aber ihr unterstützt den Vorschlag der Millionenerbin Marlene Engelhorn und des Vermögensforschers Martin Schürz, von „überreich“ statt von „superreich“ zu sprechen. Ist das nicht auch alles andere als wertfrei?

Daniel: Jede Sprache ist ideologisch. Unsere Kritik ist nicht, dass die kapitalistische Sprache ideologisch ist, sondern dass viele Leute so tun, als wäre sie objektiv und wertfrei. Wir müssen endlich anfangen, das klar zu benennen.

Simon: Das Wort „super“ hat im Deutschen eine positive Konnotation. Wenn man sich aber anschaut, welche Effekte ein solcher Reichtum hat – wir sprechen nicht von zwei oder drei Millionen Euro Vermögen, sondern von Hunderten Millionen oder Milliarden –, dann kann man wissenschaftlich nachweisen, dass von diesen Menschen sehr viele klimaschädigende Verhaltensweisen ausgehen und dass ein solcher Reichtum schlecht für die Gesellschaft ist. Das ist nicht super. Deshalb kann man argumentieren, besser von „überreich“ zu sprechen.

Was würde sich verändern, wenn wir anders über Wirtschaft und Geld sprechen?

Daniel: Gerade wenn wir anders über Finanz- oder Wirtschaftskrisen oder das Bekämpfen der Klimakatastrophe sprechen, wären wir in der Lage, mutigere Entscheidungen zu treffen – etwa Unternehmen oder Banken zu verstaatlichen oder zu zerschlagen, wenn sie zu einer Gefahr für unsere Demokratie werden.

Simon: Außerdem würde sich die Angst verringern, über bestimmte Veränderungen nachzudenken. Der Kapitalismus ist sehr stark darin, es möglichst schwer zu machen, sich Alternativen vorzustellen. Selbst in der Kritik an ihm, die er zulässt. Noch gilt der Kapitalismus als natürlicher Grundzustand der Wirtschaft. Wenn man die Sprache reflektiert und sie anders verwendet, dann könnte man von dieser Angst wegkommen und den Weg frei machen für eine drastische Veränderung des Systems oder mögliche Alternativen.

Daniel: Viele Menschen erkennen die Fehler des Kapitalismus. Aber es gibt keine mehrheitsfähigen Konzepte, was stattdessen kommen soll. Wenn wir unsere Sprache reflektieren, ist es der erste Schritt, um ein besseres System zu gestalten.

Daniel Stähr, geboren 1990, ist Ökonom und Essayist. Er promoviert an der Fernuniversität Hagen.

Simon Sahner, geboren 1989, ist freier Autor, Literatur- und Kulturwissenschaftler und Mitherausgeber des feuilletonistischen Onlinemagazins „54books“.

Titelbild: Heinrich Holtgreve/OSTKREUZ; Portraits: Stefan Gelberg

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.