Warum gibt es überhaupt immer mehr Essen in der Schule?
Schuld ist wieder mal PISA. Regelmäßig erzielten die Länder mit Ganztagsschulen bei der OECD-Studie die besten Ergebnisse. Das deutsche, in Europa exotische, Modell – lernen in der Schule, essen zu Hause – wirkt da irgendwie altmodisch. Auch weil die Zeiten, in denen Mama um halb zwei dampfende Spaghetti auf den Tisch stellte, vorbei sind. Der Bund startete 2003 ein Investitionsprogramm von vier Milliarden Euro. Schnell bauten vor allem die Grundschulen ihr Ganztagsangebot aus. Zeitgleich verkürzte sich die Gymnasialzeit auf acht Jahre. Weil der Lernstoff dabei nicht weniger wurde, kamen zwangsläufig Überstunden am Nachmittag hinzu. In Nordrhein-Westfalen boten 2005 nur etwa 20 Prozent der Gymnasien eine Über-Mittag-Betreuung an, im kommenden Schuljahr werden es nahezu alle sein. In anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus.
Wovon hängt es ab, was ich in der Schule zu essen bekomme?
Für die Schulen sind Länder und Kommunen zuständig. Und die lassen die Schulen oft allein mit der Entscheidung, welches Essen sie anbieten. Zwar hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) 2007 Qualitätsstandards für die Schulverpflegung festgelegt, doch sind die nicht bindend. Und so kommt es, dass jede Schule ihr eigenes Süppchen kocht. Die einen beziehen Tiefkühlkost von einer großen Catering-Kette, andere warm gehaltenes Essen auf Rädern. Mal liefert den Lunch der Metzger im Ort, mal stellen sich Eltern ehrenamtlich in die Küche. Und manchmal bietet der Hausmeister in seinem Kiosk Frikadellen und Pommes an, um sein Gehalt ein wenig aufzubessern. Es ist derzeit also reine Glückssache, was man in der Schule als Mittagessen bekommt.
Wie gut schmeckt das Essen?
Mehrere regionale Studien alarmieren: Das Essen schmecke nicht, komme kalt oder zerkocht bei den Kindern an, enthalte kaum Vitamine, dafür umso mehr Konservierungsstoffe. Tatsächlich sind die wenigsten Großküchen auf den Geschmack von Kindern eingestellt und die meisten Schulen mit der Organisation überfordert. Dabei ist das Ziel so klar wie bürokratisch formuliert! In einer Broschüre der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) heißt es: »Die Schulverpflegung ist generell so zu gestalten, dass eine gesundheitsfördernde Lebensmittelauswahl realisiert werden kann. Dieses Prinzip gilt sowohl für die Mittags- als auch für die Zwischenverpflegung. Salz sollte möglichst sparsam verwendet werden, generell sind Produkte ohne Geschmacksverstärker zu bevorzugen. Es sollen möglichst täglich gemischte, abwechslungsreiche Salate angeboten werden und Desserts vorzugsweise auf Milchbasis oder als Obst. Die Hauptbestandteile einer Mahlzeit sollten Gemüse (roh und gegart) sowie Stärkebeilagen sein. Es wird empfohlen, Eiweißkomponenten wie Fleisch und Fisch nur einmal, maximal zweimal pro Woche zu verzehren. Mindestens zweimal, besser dreimal sollten vegetarische Speisen auf den Plan kommen. Zudem sollten Stärkebeilagen wie Nudeln oder Reis öfter als Vollkornvariante angeboten werden. Garverfahren mit wenig Fett sind zu bevorzugen.« An alles scheint gedacht zu sein. Und noch an mehr: Aus religiösen Gründen soll es immer eine Alternative zu Schweinefleisch geben, auch für Allergiker muss das Angebot taugen. Zu trinken: am besten Wasser oder Fruchtsäfte und bloß keine »künstlichen« Limonaden oder gar Energy-Drinks. Ob die Vision vitaler Schulspeisung fruchten wird? Noch hat sie für jeden, der in der Schule isst, einen absolut utopischen Sound.
Wie wichtig ist denn gutes Essen in der Schule?
Experiment eines Fernsehsenders: Um herauszufinden, wie sich ein Mittagessen auf die Leistungsfähigkeit von Schülern auswirkt, bekocht ein Bio-Caterer 30 Schüler an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Am ersten Tag bekamen die Jugendlichen Fast Food – Schnitzel, Pommes und Kartoffelkroketten aus der Friteuse. Am zweiten Tag gab es Bio-Essen: Vollkornlasagne, Couscous mit Gemüse, Gemüsesticks und Obstsalat. Nach beiden Mahlzeiten galt es, jeweils einen mit der Universität Ulm ausgearbeiteten Lern- und Gedächtnistest zu absolvieren, mit vergleichbaren Aufgaben. Lagen die Gedächtnisleistungen am Fast-Food-Tag bei 42 Prozent, erreichten die Kinder am Tag der Bio-Kost 61 Prozent. Die Konzentrationsfähigkeit stieg sogar von 33 auf 79 Prozent. Auch wenn da ein Placeboeffekt mitschwingen kann, macht sich allmählich eine neue Vorstellung von Essen und Schule breit: So spekuliert Antje Gahl von der DGE: »Wer als Schüler lernt, was gut für den Körper ist, verliert diese Essgewohnheiten später hoffentlich nicht völlig.« Dazu muss die Schule aber auch für unsere Ernährungsgewohnheiten zum Lernort werden.
Was kostet gutes Schulessen?
Ein Schulmittagessen kostet im Durchschnitt knapp 2,50 Euro. Zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig. Volker Peinelt, Ernährungswissenschaftler an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, erklärt das Dilemma: »Bei diesem Preis kann man nicht genügend qualifizierte Kräfte beschäftigen, kein vernünftiges Hygienekonzept entwickeln oder den notwendigen Schulungsaufwand betreiben. Es wird oft an der falschen Stelle gespart und deshalb machen auch die Caterer Fehler, obwohl sie eigentlich als Profis davor gefeit sein sollten.« Um einen Auftrag zu erhalten, müsse der Caterer ein günstiges Angebot machen, also auf billige Lebensmittel wie fette Wurst zurückgreifen, statt mageres Fleisch zu verwenden, von Bioprodukten ganz zu schweigen. Weil die Teilnahme am Mittagessen freiwillig ist, besteht die Gefahr der Klassengesellschaft in Ganztagsschulen: Ganz oben diejenigen, die ein warmes Mittagessen erhalten, daneben die, die von ihren Eltern eine Lunchbox mitbekommen, und schließlich die Kinder, die den ganzen Schultag ohne Essen bleiben, weil sich die Eltern die Kantine nicht leisten können. Deswegen gibt es in den meisten Kommunen Zuschüsse für das Schulessen, ein einheitliches Konzept aber nicht. Eine grundsätzliche Frage ist, ob alle Eltern den gleichen Zuschuss erhalten sollen, oder ob er nur an bedürftige Kinder ausgezahlt wird (in Bayern gilt das für Kinder von Hartz-IV-Empfängern, von Wohngeld-Beziehern und aus überschuldeten Familien).
Was ist das beste Verpflegungssystem?
Das Frischkostsystem:
An der Gesamtschule Hamburg-Fischbek kochen die Hausmeisterin und eine Mutter für 100 Schüler. Das funktioniert so gut, dass sie beim Schulkantinen-Test, den das »Hamburger Abendblatt« veranstaltete, mit einem »mehr geht nicht« abschnitten. Die Speisen werden vor Ort frisch zubereitet. Nährstoffverlust durch lange Transportwege fällt flach, es kann auf die Wünsche von Schülern, Eltern und Lehrern und die Ansprüche der Schule Rücksicht genommen werden. Doch für das Frischkostsystem braucht man qualifiziertes Personal vor Ort. Außerdem ist eine komplette Schulküche nötig, mit allen Gerätschaften für einen Großküchenbetrieb, Lagerräume und Arbeitsflächen.
Das Warmverpflegungssystem:
Weil es den geringsten Aufwand verspricht, setzen die meisten Schulen auf diese Variante. Ein externer Verpfleger bringt warmes Mittagessen an die Schule, dort wird es bei 70 Grad Celsius heiß gehalten und an die Schüler verteilt. Doch die Warmverpflegung hat ihre Tücken. Der Lieferant muss oft knapp kalkulieren und ist gezwungen, viele Schulen mit einer Lieferung anzufahren. Deshalb wird vorgekocht. Ein Essen, das um 12 Uhr ausgegeben wird, wurde unter Umständen schon um 7 Uhr zubereitet. Eine lange Reise für eine warme Mahlzeit. Bis der letzte Teller leer ist, ist das Essen schon fünf bis sieben Stunden alt. Ja, das schmeckt man, und auch hitzeempfindlichen Vitaminen macht der Caterer so komplett den Garaus. Die DGE hält eine Warmhaltezeit von maximal drei Stunden für o.k.
Das Mischküchensystem:
Ein Kompromiss zwischen den beiden vorigen Systemen, der Vorteile, aber auch Nachteile verbindet. Hier werden Hauptspeisen gekühlt oder tiefgekühlt angeliefert und kurz vor der Ausgabe erhitzt. Zu den Hauptkomponenten werden die Beilagen entweder vor Ort frisch zubereitet oder ebenfalls vorgefertigt bezogen. Wie beim Frischkostsystem braucht die Schule eine geeignete Küche und Leute, die sie richtig zu benutzen wissen. Bei den angelieferten Komponenten ist es wieder Glückssache: Ist der Caterer auf Kindernahrung eingestellt – auf Geschmack und Nährstoffe? Wie sieht es mit den Warmhaltezeiten aus? Das kann also gut sein – muss aber nicht.
»Cook and Chill« oder »Cook and Freeze«:
Der große Vorteil dieser Systeme ist, dass die Zeit kaum noch eine Rolle spielt. Bei der Variante »Kochen und Kühlen« werden die Speisen nach exakt definierten Rezepten und einem ausgeklügelten Produktionsplan zunächst herkömmlich gegart und dann sofort in sogenannten Chillern auf 0 bis 3 Grad abgekühlt. So kann das Essen 72 Stunden ohne Qualitätsverlust gelagert werden. Bei der Freeze Variante werden die Speisen direkt nach der Zubereitung luftdicht verpackt und für eine längere Haltbarkeit auf unter minus 30 Grad gefrostet. In den Schulküchen braucht man dann nur wenig Platz und Personal, aber Schockkühler zu 3000 bis 4000 Euro. Für Ernährungswissenschaftler Volker Peinelt liegt im »Cook and Chill«-Modell die Zukunft. Er hat errechnet, dass mit diesem Verfahren das Essen flächendeckend nicht mehr als 4,50 Euro kosten würde. Das sei zwar höher als die 2,50 Euro aktuell. Die spiegelten aber auch nur einen Teil der wahren Kosten wider, die aufgrund mangelnder Kompetenz und Organisation bei einigen Kommunen auch mal 8 Euro betrügen.
Was kann ich tun, um das Essen an meiner Schule besser zu machen?
Viel. Die Diskussion um die Schulkantinen rückt langsam ins öffentliche Bewusstsein. Viele Schulen suchen noch nach dem passenden System. Also einfach mitreden! Unterschriftenaktionen brachten Schulen auch schon zum Catererwechsel. Und wenn Schulen trotz guter Gründe uneinsichtig sind, können Betroffene darauf drängen, das Angebot von unabhängigen Experten prüfen zu lassen. So hat die Hochschule Niederrhein ein Gütesiegel für Schulverpflegung entwickelt, das Produzenten und Schulen anhand von 200 Fragen abklopft (www.ag-schulverpflegung.de). Aus einer privaten Initiative ist die Berliner »Vernetzungsstelle Schulverpflegung« entstanden. Inzwischen wurden dank des nationalen Aktionsplans »In Form« für jedes Bundesland solche Ansprechstellen eingerichtet, die die Schulen bei der Umsetzung der DEG-Qualitätsstandards unterstützen sollen. Informationen über diese und andere Initiativen der Bundesregierung und die Qualitätsstandards zum Herunterladen auf: www.schuleplusessen.de.