Das Leben eines Schweins in der deutschen Landwirtschaft besteht vor allem aus dem Warten auf den Tod. Bis es so weit ist, steht es dicht gedrängt an seine Artgenossen in einem Stall herum und macht eigentlich nichts außer schlafen und essen. Dieses Warten muss aber gleichzeitig ungeheuer effizient sein, damit sein Fleisch möglichst viel Geld einbringen kann. Wie das geht, lernt man schnell beim "Fachforum Schwein". Auf der Messe in der Münsterlandhalle im niedersächsischen Cloppenburg sind zwar keine Tiere zu sehen, aber viele Menschen, die an ihren Ständen hinter Kaffeekannen und Schalen mit Gummibärchen unterschiedliche Möglichkeiten zur Optimierung der Wartezeit anpreisen.

Das geht los beim Eber mit dem seltsamen Namen "db.7711". Die Firma BHZP verspricht mit ihm "Genetik ohne Kompromisse". Jedes Tier dieser Vaterlinie "besticht durch seinen Fleischreichtum, seine Fleischbeschaffenheit und seine extrem hohe Wüchsigkeit". Vor allem aber ist der db.7711 "geruchsarm". An einem anderen Stand zeigt eine Mitarbeiterin des Internetportals "Schlachtdaten Online" auf einen großen Bildschirm. Es sind eine Menge Daten zu sehen, vom "Schinkengewicht" bis zum "FOMSpeckmaß". Anhand dessen soll der Landwirt erkennen können, wie man ein Schwein so mästet, dass es bei der Ablieferung an den Schlachthof genau zu den Anforderungen passt.

In dieser Region im Nordwesten Deutschlands, in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta, leben mehr als zwei Millionen Schweine. Mehr als irgendwo sonst in Deutschland. Romantische Vorstellungen von einem Bauern und seiner Schweineherde hat hier niemand. Das Schwein ist vor allem ein Produkt, mit dem man Geld verdienen kann. Viel Geld. Denn überall auf der Welt wollen die Menschen immer mehr Schweinefleisch essen. In Deutschland isst jeder Bürger rund 39 Kilogramm pro Jahr, in seinem Leben rund 49 Schweine. Das ist fast dreimal so viel wie im Jahr 1950. Im Rest der westlichen Welt sieht es ähnlich aus. Und viele Menschen in anderen Ländern sind jetzt erst so richtig auf den Geschmack gekommen. Bis 2022 wird der Verbrauch pro Person etwa in Russland von 19,7 auf 24,2 Kilogramm steigen, in China von 29,2 auf 34,1 Kilogramm. Diese Zahlen hat die Heinrich Böll Stiftung in ihrem "Fleischatlas 2014" veröffentlicht.

Deutschland ist hinter den USA und China zum drittgrößten Schweinefleischexporteur der Welt geworden. In Deutschland ist die Mehrheit der Menschen trotz des Medienhypes um Bio-Produkte kaum bereit, mehr als einen Euro für ein Kotelett zu bezahlen. Sie haben sich an die niedrigen Preise der Supermärkte gewöhnt. Höhere Margen versprechen da die Schwellen- und Entwicklungsländer. Der Preis, den andere für diese Entwicklung zahlen, ist weit höher. "Zu hoch" sagen Organisationen wie Misereor, BUND oder Brot für die Welt. Bezahlen müssten ihn vor allem die Menschen, die eh nicht so viel haben. Denn der Import von Soja als Futtermittel trage zur Vernichtung des Regenwaldes in Südamerika bei. Und der Export von Schweinefleisch nach Afrika zerstöre dort die Märkte.

Der Hunger ist groß: Manche Gegenden in Brasilien bestehen nur noch aus Feldern für Soja

Soja als Tierfutter? Eigentlich kennt man es ja von der Soße beim Chinarestaurant oder als Milch für Leute, die keine tierischen Produkte mögen oder vertragen. Warum es immer mehr an Tiere verfüttert wird, hat mit der Rinderwahnkrise Anfang des Jahrtausends zu tun. Damit sie möglichst schnell möglichst viel wachsen können, brauchen Tiere viele Proteine. Deshalb wurde ihnen lange das aus Fleischresten gewonnene Tiermehl ins Futter gemischt. Seit Ende 2000 ist das aber verboten. In der europäischen Landwirtschaft gibt es seitdem eine sogenannte Eiweißlücke. Und keine Pflanze eignet sich so gut, diese zu füllen, wie Soja oder genauer das Sojaschrot. Auf dem Weltmarkt ist Soja so billig, dass es zu 40 Prozent niedrigeren Kosten denselben Energiegehalt liefert wie Getreide.

Bis zu 20 Prozent des herkömmlichen Tierfutters macht Soja heute deswegen aus. Es in unseren Lagen anzubauen ist aber sehr schwierig. Zum einen benötigt es viel Wärme und kurze Tage. Und andererseits fehlen hier die nötigen Flächen. Deswegen stieg der Import von Sojaschrot nach Deutschland rasant an, allein von 2002 bis 2012 von 1,3 auf 1,7 Millionen Tonnen. Immer häufiger kommt es aus Südamerika, wo klimatisch und flächentechnisch ideale Bedingungen für den Anbau herrschen. In Brasilien etwa sind die Produktionsmengen in den vergangenen 30 Jahren von 18,3 auf etwa 80 Millionen Tonnen gestiegen, was rund 30 Prozent der Weltproduktion entspricht. Neben den USA ist Brasilien heute der wichtigste Sojaproduzent. Der Bundesstaat Mato Grosso im Zentrum Brasiliens besteht fast nur noch aus Sojafeldern und Straßen. Auf rund 8,5 Millionen Hektar werden die Bohnen hier angebaut, das entspricht der Fläche Bayerns und Schleswig- Holsteins. Warum auch nicht, sagen die brasilianische Regierung und europäische Landwirtschaftsverbände. Bäume des kostbaren Regenwaldes müssen dort nicht gefällt werden. Dürfen sie auch gar nicht, denn importiertes Soja muss die Nachhaltigkeitskriterien der EU erfüllen, und ein Kriterium ist, dass für den Anbau kein Wald gerodet wird.

Für Maureen Santos von der Heinrich Böll Stiftung in Rio de Janeiro ist das zu kurz gedacht. Tatsächlich seien die Flächen schon in den 70er-Jahren gerodet worden, hauptsächlich, um Weideflächen für Rinder zu schaffen. "Durch den Sojaanbau hat sich nun eine Verschiebung ergeben", sagt Santos. Weil Soja so lukrativ ist, würde es nun dort angebaut, wo vorher Rinder weideten. Für die Rinder aber würden neue Weideflächen im Regenwald gerodet. Das Ergebnis: Zwar hat sich das Tempo der Entwaldung in Brasilien insgesamt verlangsamt, seitdem es 2004 mit 28.000 Quadratkilometern einen historischen Höhepunkt erreicht hatte. Doch zuletzt hat es wieder angezogen. Zwischen August 2012 und Juli 2013 wurden laut Nationalem Institut für Luftüberwachung mehr als 2.000 Quadratkilometer Amazonaswald abgeholzt – eine Fläche, fünfmal so groß wie das Bundesland Bremen – und ein Anstieg von 35 Prozent zum Vergleichszeitraum im Jahr davor.

Trotzdem weisen Landwirte hierzulande die Schuld von sich. Sie wollen ja nur das Schrot für ihre Tiere, den „Kuchen“ vom Soja, sagen sie, und der sei ja nur ein Abfallprodukt des aus der Pflanze gewonnenen Öls. Tatsächlich aber ist der Erlös aus den Futtermittelverkäufen ausschlaggebend für die steigende Sojaproduktion weltweit.

Das aus Südamerika importierte Soja trägt also seinen Teil zur Effizienz der deutschen Schweinefleischproduktion bei. Und die so erzielten Überschüsse gehen vermehrt auch nach Afrika. Noch im Jahr 2000 waren es 250 Tonnen. Zwölf Jahre später 33.000. Das hat für den Markt dort, vor allem in Westafrika, verheerende Folgen, beklagen zahlreiche deutsche Nichtregierungsorganisationen.

Francisco Marí von "Brot für die Welt" hat diese Region mehrfach besucht. "Das Schweinefleisch aus der EU und aus Deutschland hat die Länder überschwemmt", sagt Marí. Vor allem Schweinefüße aus Europa – hier eher selten auf den Tellern zu finden und deswegen hauptsächlich Exportware – würden in Westafrika zu Preisen von weniger als der Hälfte der einheimischen Produktion angeboten. Was zu Verhältnissen wie in der Elfenbeinküste führe. "In der Hauptstadt Abidjan gab es früher mehrere Märkte für einheimisches Schweinefleisch. Jetzt gibt es nur noch einen." Auch habe es in dem Land vor Jahren noch eine eigene stattliche Wurstindustrie gegeben. "Die ist aber völlig zusammengebrochen. Dafür gibt’s in den Supermärkten jetzt Wurst aus Deutschland."

Lange Zeit konnten europäische Produzenten ihre Ware in Afrika sogar zu regelrechten Dumpingpreisen anbieten. Die Subventionen für den Schweinefleischexport der EU machten es möglich. 2009 erhielten europäische Exporteure 92 Millionen Euro. Mittlerweile sind die Subventionen größtenteils abgeschafft. Für Marí aber kein Grund zu jubeln. "Mittlerweile sind die Agrar-Ausfuhren der EU einfach so billig, dass sie ohne die Zuschüsse aus Brüssel auskommen." Das liege an der Handelspolitik. Seit dem Jahr 2002 verhandelt die EU Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) mit den sogenannten AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik). Mit zahlreichen afrikanischen Ländern wurden bereits Vorverträge geschlossen. Diese WPA verlangen von den Partnern, ihre Märkte umfassend für europäische Exporte zu öffnen – im Gegenzug für den Zugang zum EU-Markt. Mit der Folge, dass Entwicklungsländer der überlegenen europäischen Konkurrenz in Sachen Schweinefleisch Tor und Tür öffnen. Davon, ihr Fleisch selbst in die EU zu exportieren, sind sie weit entfernt.

Na dann, guten Appetit: Billiges Fleisch, u.a. aus der EU, überschwemmt die Weltmärkte

Sind also die deutschen Schweinezüchter, -mäster und -schlachter schuld am Sterben des Regenwalds und des afrikanischen Marktes? Hubertus Berges widerspricht da auf dem "Fachforum Schwein" vehement. "Wir müssen schließlich auch unser Geld verdienen. Und wenn nun die brasilianische Regierung die Rodung des Regenwaldes nicht in den Griff bekommt, was sollen wir da machen?" Berges, 44, ein großer Mann mit Nickelbrille, ist Vorsitzender des "Kreislandvolkverbands Cloppenburg" – und hält selbst 3.600 Mastschweine auf seinem Hof. Sein Hof sieht so aus, wie man es von früher kennt. Hinein geht es durch ein großes Tor, die Gebäude sind aus Backstein und Fachwerk. Die Chronik der Landwirtfamilie Berges geht bis ins 15. Jahrhundert zurück. "Das kann man doch durchaus nachhaltig nennen", sagt Berges schmunzelnd. Doch die Technik in den Ställen ist hochmodern: Ein Computer wacht darüber, dass die Schweine ihrem jeweiligen Alter gerechtes Futter bekommen, ein weiterer regelt automatisch die Temperatur.

Zwölf bis 15 Schweine stehen meist zusammen in einer Bucht, einem Stallabschnitt. Und sollen vor allem fressen. Berges kauft Ferkel. In nur vier Monaten vervierfachen sie ihr Gewicht, wachsen von knapp 30 auf 110 bis 120 Kilo. Und werden dann zum Schlachter gebracht. 9.000 Schweine gehen bei Berges pro Jahr durch diesen Zyklus, pro Schwein macht er rund zehn Euro Gewinn. Er plant für die Zukunft, gerade baut er einen weiteren Stall an. Einer seiner Söhne soll den Hof übernehmen, "aber meine Tochter hat mir gesagt, wenn die es nicht machen, kann ich auf sie zählen." Was mit dem Fleisch der Tiere passiert, nachdem sie seinen Hof verlassen haben, interessiert ihn weniger. "Obwohl meine Frau und ich uns manchmal beim Essen fragen, ob das Kotelett vielleicht von uns stammt." Im globalen Schweinefleischmarkt eher unwahrscheinlich.