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cms-image-000046660.jpg (Illustration: Héctor Jiménez)
(Illustration: Héctor Jiménez)

Am Ende läuft die dickste Ausgabe in der bisherigen Geschichte des Magazins vom Band: 840 Seiten schwer. Davon Anzeigenseiten: 727.

Wie es dazu kam, dokumentiert „The September Issue“. Gedreht 2007 und veröffentlicht 2009, zeigt der Film die Redaktion der amerikanischen „Vogue“ bei der Erstellung der wichtigsten, weil anzeigenreichsten Ausgabe des Jahres. Das September-Heft ist ein wenig so etwas wie der erste Schultag nach den großen Ferien. Die Sommersaison ist vorbei, es ist Zeit, sich auf den Winter einzustellen – mit neuen Trends, neuen Kollektionen und den entsprechenden Anzeigen der Modehäuser. Dafür, dass das Herbstheft mittlerweile nicht nur branchenintern, sondern auch bei den Leserinnen einen besonderen Status hat, ist nicht zuletzt der Film selbst verantwortlich.

Die „Vogue“, 1892 gegründet, gilt heute als das wichtigste Modemagazin der Welt. Sie dokumentiert nicht bloß, sie macht Mode: „Before it’s in fashion, it’s in Vogue!“, heißt es in einer Werbung für das Blatt selbstbewusst. Und wenn die „Vogue“ die Bibel der Mode ist und ihr Redaktionsbüro am New Yorker Times Square die Kirche, dann ist Anna Wintour ihre Päpstin.

Anna Wintour dirigiert eine ganze Branche

Seit 1988 lenkt die heute 65-jährige Britin als Chefredakteurin die Geschicke der „Vogue“ und ist die wichtigste Frau einer dreistelligen Milliarden-Industrie. Für „The September Issue“ legt Wintour ausnahmsweise ihre dunklen Brillengläser ab (dabei wird klar: Niemand kann so schön herablassend schauen wie sie) und konstatiert: „Die Mode hat etwas an sich, das die Leute nervös machen kann.“ Nicht zuletzt ist das: sie selbst. Die dünne Frau mit dem kinnlangen Bob gilt als granithart, ja geradezu kalt.

Es ist Wintour, die Patin für die fiese Chefredakteurin Miranda Priestly im Spielfilm „Der Teufel trägt Prada“ (2006) stand – bis hin zu ihrer Vorliebe für Starbucks-Kaffee und ihrer Art, Gespräche mit einem keinen Widerspruch duldenden „Danke“ zu beenden. Statt Prada trägt Anna Wintour jedoch häufiger das klassischere Chanel. In „The September Issue“ sagt Tom Florio, damals Herausgeber der „Vogue“: „Sie ist sehr beschäftigt. Und sie ist nicht warmherzig oder freundlich. Sie geht ihrem Job nach.“

Dieser Job besteht nicht nur darin, jeden Monat ein Magazin auf den Markt zu bringen. Wintour dirigiert eine ganze Branche: Sie war es, die damit begann, Models auf dem Cover durch Schauspielerinnen zu ersetzen – bis heute Standard bei vielen Modemagazinen. Designer konsultieren sie während ihres Schaffensprozesses, die Chefs der Luxuskaufhäuser wenden sich an sie, wenn die Modemacher nicht rechtzeitig liefern, keine Modenschau fängt an, bevor Anna Wintour nicht auf ihrem Platz in der ersten Reihe sitzt. Sie hat die Macht, Prada zur Verwendung eines leichteren Stoffes zu bewegen, wenn sie der Meinung ist, das wäre eine gute Sache.

Hier wird deutlich, was der Film aus naheliegenden Gründen – Auftraggeber der Dokumentation war der „Vogue“-Verlag Condé Nast selbst – nicht weiter problematisiert: wie untrennbar, ja fast inzestuös eine Branche und ihre wichtigste Publikation miteinander verbunden sind. Von Mode-Berichterstattung im journalistischen Sinne kann in einem Heft, in dem sich die Bilderstrecken nur mit großer Mühe von den Anzeigen unterscheiden lassen, keine Rede sein. Aber die „Vogue“ ist ja auch nicht dazu da, Kritik zu üben. Die „Vogue“ verkauft Träume. Und Anzeigen.

Neben Wintour in tragenden Rollen in „The September Issue“: Sienna Miller als Covergirl der Ausgabe, der Fotograf Mario Testino, der überspannte Moderedakteur André Leon Talley sowie Grace Coddington, die Kreativdirektorin des Magazins. Coddington, ehemaliges Model und ebenfalls Britin, ist so etwas wie Wintours Gegenteil. Wie ein schlaksiger Teenager schlappt sie durch die Räume, ihre langen roten Haare verleihen ihr den Charme eines altgewordenen Hippies.

Sie ist die große Romantikerin, die jede Modestrecke inszeniert wie den Schauplatz eines Märchens. Hilflos muss Coddington zusehen, wie Wintour jede ihrer aufwendig produzierten Geschichten um mehrere Seiten kürzt und schließlich eine komplett fertig fotografierte Modestrecke einfach aus dem Blatt schmeißt. Viel mehr spannungerzeugende Mittel als die stets drohende Präsenz der ultrastrengen Wintour und die Konflikte, die sich aus ihrem Alleinherrschaftsanspruch bei einer auf Kooperation fußenden Tätigkeit wie dem Erstellen eines Magazins ergeben, braucht der Film nicht.

Die Deutungshoheit von Modezeitungen geht zurück

Entstanden ist „The September Issue“ während eines Umbruchs in der Modeindustrie: War ihr Inneres früher eine von der Welt abgeschlossene Geheimgesellschaft, ermöglicht es das Internet heute allen, die über einen Netzzugang verfügen, die Bilder der Modenschauen nahezu in dem Moment zu sehen, in dem die Models in New York, Paris oder Mailand über den Laufsteg geschickt werden. Und die Deutungshoheit über das, was als gute Mode gilt, haben nicht mehr nur die Hochglanzmagazine: Auch Fashion- und Streetstyle-Blogs sind zu bestimmenden Kräften geworden.

„In der Mode geht es nicht darum, zurückzuschauen“, sagt Wintour am Ende des Films, als die Ausgabe, an der sie acht Monate gearbeitet hat, fertig ist. Und dann geht das Ganze von vorne los.

Anne Waak liest statt der „Vogue“ viel lieber „System“, ein Magazin, in dem es um die Industrie hinter der Mode geht.