Das globale Dorf stinkt. Je näher wir uns kommen, desto mehr riechen wir leider unsere Nachbarn/innen. Davon ging jedenfalls der Erfinder des "Global Village" aus und überlegte, wie diesem Notstand abgeholfen werden könnte. Marshall McLuhan war 1971, als er mit seinem Neffen, dem Chemiker Ross Hall, das Patentamt besuchte, längst ein berühmter Medientheoretiker. Allen Ernstes meldeten die beiden aber ein Patent auf ein chemisches Produkt an, das auf die Entfernung von Uringeruch aus Unterhosen abzielte: "Prothex" ist seitdem eine eingetragene Trademark.
Die Menschheit als unsere eigene Haut
Kein Wunder, dass McLuhan in akademischen Fachkreisen zeitlebens als Freak und Spinner verschrien war und von Kunst- und Popkulturbetrieb ernster genommen wurde als von der universitären Wissenschaft. Dabei hatte der Kanadier seinen Gang aufs Patentamt gut begründet. Das "globale Dorf", so McLuhan, sei das Resultat des elektrischen Zeitalters, in dem das weltweite Netz der Medien die Menschheit so eng zusammengebracht habe, wie dies einst in archaischen Stammeszusammenhängen der Fall gewesen sei.
Die wieder auferstandene Stammesgesellschaft - McLuhan spricht von einer "Retribalisierung" - wird durch die Medien in dauernder Vibration gehalten: Die Medien haben die Funktion der Stammestrommeln übernommen. "Prothex", erklärt McLuhan ironisch, verschaffe Abhilfe von einem Übel, durch das diese unendlich eng zusammengerückte Gesellschaft behelligt werde. Schließlich würden im globalen Dorf auch die alten Stammesgerüche ihr unliebsames Comeback feiern. "Im elektrischen Zeitalter", so McLuhan, "tragen wir die ganze Menschheit als unsere eigene Haut."
Massage statt Message
"The medium is the message" - das Medium ist die Botschaft - ist eine der wichtigsten Thesen McLuhans. Er meint damit, dass es nicht mehr um die Botschaften geht, als deren Träger die Medien einst begriffen wurden, sondern um die Medien selbst; als Ausweitung des Körpers und Verlängerung des menschlichen Aktionsradius. Damit sind schon die simplen Vorformen elektronischer Kommunikationsmedien gemeint: Ein Stuhl ist die Ausweitung des Gesäßes, die Kleidung die Ausweitung der Haut. Aber auch der Vorgang des Zeitungslesens soll nach McLuhan nicht mehr im Sinne einer Übermittlung von Information verstanden werden: "Die Leute lesen nicht wirklich in der Zeitung. Sie steigen jeden Morgen in sie ein wie in ein heißes Bad." Die Medien interessieren McLuhan vor allem wegen ihrer mechanischen Funktionsweise - wegen der Anordnung, in die die Menschen mit ihnen getreten sind.
Da McLuhan also von Sinn und Bedeutung - die Inbegriffe der klassischen Wissenschaft - nichts mehr wissen will, verwundert es nicht, dass er sich auch in seinem eigenen Schreiben einer neuen Technik bedient. Das Buch "The Medium is the Massage" von 1967 ist dafür ein typisches Beispiel. Schon der Titel, aus dem McLuhan die "Message" - in Verballhornung seiner eigenen These - ganz verbannt wissen will, zeigt an, wohin die Reise geht.
Ein Theoretiker der Partizipation
Massage statt Bedeutung? Das heißt in diesem Fall eine sprunghafte Collage, in der Grafikdesign (von Quentin Fiore), Fotos, Comics und Abbildungen aus Zeitschriften mit eigenem Text vermengt sind. McLuhans Texte illustrieren die Bilder und umgekehrt, wobei die Leser/innen sich auf die Wichtigkeit und Bedeutung des Gesehenen und Gelesenen ihren eigenen Reim machen müssen. Den Thron des Autors, der Bedeutungshoheit beansprucht, hat McLuhan jedenfalls freiwillig geräumt. Auch dadurch wirkt die Massage, die er dem Leser mit seinem Buch verpasst, oft wie ein zu heißes Bad.
McLuhan ist ein Theoretiker der Partizipation, weil es ihm wie niemandem zuvor um den scharfen Blick auf die Art und Weise unserer Kommunikation und unsere Befangenheit im Umgang mit den allgegenwärtigen Medien ging. Partizipation meint nach McLuhan den engen Zusammenhang, den der Mensch weltweit mit seiner medialen Umwelt eingegangen ist: In diesem Zustand ist niemand mehr allein. Und daher kann auch kein Buch, kein Gedanke und keine Wahrheit mehr Anspruch auf umfassende Autorität beanspruchen. Das heißt aber nicht, dass hier das Denken und sozial bewusstes Handeln an ihr Ende gekommen sind. Ganz im Gegenteil: "Zu viele Leute wissen zu viel übereinander. Unsere neue Umgebung erzwingt Einsatz und Partizipation. Unumkehrbar sind wir in sie involviert worden und füreinander verantwortlich."
Ronald Düker lebt als freier Autor in Berlin.