Das erste eigene Einkommen markiert einen Meilenstein im Leben – auf dem Weg in Richtung Unabhängigkeit. Doch ist es für viele schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr, es überhaupt zu bekommen. Jeder fünfte EU-Bürger unter 25 ist arbeitslos. Unzufriedenheit und Verzweiflung darüber entladen sich immer wieder in Protesten. Vor allem in Spanien und Griechenland ist die Lage vieler junger Menschen prekär: Dort hat fast die Hälfte der unter 25-Jährigen keinen Job. Aber nicht nur in der Europäischen Union ist Jugendarbeitslosigkeit ein großes Problem. Weltweit rechnet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen im Jahr 2016 mit einem Anstieg der globalen Jugendarbeitslosigkeit auf 13,1 Prozent.
Umso größer ist die Freude und Erleichterung bei jenen, die endlich einen Job gefunden haben. Einige haben für ihn ihren Heimatort oder sogar ihr Heimatland verlassen. Viele nehmen eine schlechte Bezahlung, Überstunden und Raubbau an der Freizeit in Kauf. Sie hoffen, dass die Beschäftigung nur eine Durchgangsstation zu einer besseren Zukunft ist. Manchen ist der erste Job allerdings auch zugeflogen. Gabriele Galimberti hat zwölf junge Berufseinsteiger fotografiert und nach ihren Erfahrungen befragt.
Rio de Janeiro, Brasilien – Silberth Ferrera, 26
Silberth ist im Bundesstaat Minas Gerais aufgewachsen, dem zentralen Teil Brasiliens. Mit 15 Jahren zog er nach Rio, um einen Job zu finden. „Ich komme aus einer wirklich armen Familie. Wir haben immer in einer Favela gelebt [Portugiesisch: Slum in südamerikanischen Großstädten] und hier in Rio lebe ich immer noch in einer Favela. Mein Haus ist wirklich sehr klein, aber ich habe eine schöne Aussicht auf Ipanema“, sagte er. Ein paar Wochen nach seiner Ankunft in Rio fing Silberth an, Caipirinha-Cocktails am Strand zu verkaufen. Das macht er nun an jedem Tag seit über zehn Jahren. „Das ist kein legaler Job, aber es ist mein erster und einziger Job“, sagte er. Er arbeitet sieben Tage die Woche von zehn Uhr morgens bis zum Sonnenuntergang. Er verkauft im durchschnitt 25 Caipirinhas am Tag zu einem Preis von 20 brasilianischen Reales oder ungefähr fünf Euro pro Stück
Puerto Viejo, Costa Rica – Maria José Alvarez Blanco, 20
Maria kommt aus Alajuela, wo sie ein Jahr lang Biologie studierte. Länger brauchte sie nicht, um zu realisieren, dass sie lieber mit Tieren arbeiten wollte. Sie zog nach Puerto Viejo und arbeitete dort als Freiwillige in einer Tierklinik. Schnell spezialisierte sie sich auf die Rettung von Papageien und Affen und bekam nach sechs Monaten einen Arbeitsvertrag angeboten. „Ich liebe es, hier zu arbeiten. Es ist ein magischer Ort. Jeden Tag kommen viele Leute hierher und bringen uns verletzte Tiere, die sie auf der Straße gefunden haben. Wir retten sie und wenn sie bereit sind, lassen wir sie im Wald wieder frei.“ Maria arbeitet acht Stunden pro Tag, fünf Tage die Woche. Pro Woche verdient sie umgerechnet ungefähr 130 Euro, bekommt zusätzlich aber viel Trinkgeld von Touristen, die die Tierklinik besichtigen. Darüber hinaus erhält sie freie Mahlzeiten und kann in einem Haus auf dem Klinikgelände leben
Mountain View, Kalifornien (USA) – Lord Osei-Ofori, 24, und Rayman Aryani, 24
Lord ist in Ghana aufgewachsen, Rayman im Jemen. Beide kamen zum Studieren in die USA und hatten zwei Monate nach Ende des Studiums ein Vorstellungsgespräch bei Google. „Das war sehr seltsam. Sie haben nichts über die Arbeit gefragt oder danach, was wir studiert haben. Sie haben Sachen gefragt wie: ‚Erkläre mir ein komplexes Konzept in einfachen Worten’ (...). und andere Dinge in der Richtung.“ Seit fast zwei Jahren arbeiten Lord und Rayman im selben Büro. Sie arbeiten acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Gemäß ihres Vertrags mit Google dürfen sie nicht verraten, wie viel sie verdienen
Fihalhohi, Malediven – Umar Hashim, 20
Umar ist auf Ga. Dhandhoo geboren, einer sehr kleinen Insel im Süd-Malé-Atoll. Er hat die ersten 17 Jahre seines Lebens dort verbracht, bevor er nach Filahohi, eine andere kleine Insel, zog, auf der es nur ein Urlaubsresort gibt. Dort hat er seinen ersten Job gefunden, als Reinigungskraft. „Ich mag diesen Job nicht, aber bisher ist es der einzige, den ich gefunden habe. Ich mache immer die gleichen Sachen. Erst muss ich die Kühlschränke checken, um zu sehen, ob die Gäste irgendetwas gegessen oder getrunken haben, dann beziehe ich die Betten neu und am Ende putze ich den Raum. Es ist langweilig!“ Umar träumt davon, sein eigenes Gästehaus zu eröffnen. Aber vorher muss er eine Menge Geld sparen. Er arbeitet an sieben Tagen pro Woche acht und manchmal auch mehr Stunden. Nur drei Tage pro Monat hat er frei. Er verdient 8.000 Rufiyaa im Monat, das sind ungefähr 460 Euro
Las Vegas, Nevada, USA – Berenice Hernandez, 20, und Iris, 9
Berenice ist 20. Als sie drei Jahre alt war, ist sie mit ihrer Familie von Mexiko nach Las Vegas gezogen. Zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Schwester lebt sie immer noch bei den Eltern. Als Berenice 14 Jahre alt war, wurde sie von einem Jungen aus ihrer Klasse geschlagen. Das war der Zeitpunkt, an dem sie beschloss, mit dem Boxen anzufangen. „Ich wollte fähig sein, mich selbst zu verteidigen“, sagt sie. Mit 17 wurde sie Boxchampion der unter 18-jährigen Mädchen in Nevada. Sie studiert noch, aber hat vor vier Monaten ihren ersten Job angenommen. Sie arbeitet als Boxtrainerin für Kinder in einem kleinen Fitnessstudio in der Stadt North Las Vegas – vier Stunden pro Tag, drei Tage in der Woche. Pro Stunde bekommt sie 10 US-Dollar, also umgerechnet etwa 9 Euro
Berlin, Deutschland – Jonas Hartlieb, 25
Vor vier Jahren zog Jonas von Rügen, wo er aufgewachsen ist, nach Berlin, wo er auf Lehramt studierte. Er will Grundschullehrer werden, aber dafür muss er noch fünf Jahre studieren. Er hat sich ein Jahr Auszeit von der Uni genommen und arbeitet im Moment in einem privaten Kindergarten – an jedem Werktag von 8 Uhr bis 17 Uhr. Jeden Tag bringt er die Kinder zum Spielen nach draußen, auch wenn es mal etwas kälter ist. Pro Monat verdient Jonas 1.400 Euro
San-Blas-Inseln, Panama – anonym, 19
Sie verkauft Handarbeiten an Touristen auf einer der San-Blas-Inseln. Dort leben viele Angehörige der indigenen Bevölkerung der Kuna, zu der auch sie gehört. Sie arbeitet etwa zwölf Stunden täglich und bezieht kein festes Gehalt. „Manchmal kriege ich fünf Dollar [etwa 4,50 Euro] pro Tag und ein anderes Mal kriege ich 100 Dollar [etwa 90 Euro]. Das kommt ganz auf die Zahl der Touristen an, die hierherkommen“, sagt sie
Dubai, Vereinigte Arabische Emirate – Al Emran, Mohdmehdi, Shanhin und Kobir
Al Emran, Mohdmehdi, Shanhin und Kobir sind alle 24 Jahre alt und kommen aus Bangladesch. Sie kamen vor vier Jahren nach Dubai, weil sie in Bangladesch arbeitslos waren. „Wir sind hierhergekommen, weil wir einen Job in einer Firma gefunden haben, die einem Iraner gehört. Wir verbringen den ganzen Tag im Parkhaus der Mall of the Emirates, einem der luxuriösesten Shopping Center im Land. Wir reinigen die Autos der Menschen, die zum Shoppen herkommen. Wir nehmen 18 Dirham pro Auto [etwa 4,40 Euro]. All unsere Einnahmen geben wir der Firma und erhalten dafür ein monatliches Gehalt von 1.900 Dirham [ungefähr 460 Euro]. Zusätzlich verdienen wir zwischen 200 und 300 Dirham [etwa 50 bis 70 Euro] an Trinkgeldern im Monat. Wir arbeiten acht Stunden am Tag an sechs Tagen pro Woche. Wir teilen uns alle ein Haus – zusammen mit zwei anderen Freunden. Insgesamt sind wir zu sechst in dem Haus, aber nur so können wir uns die Miete leisten.“
Portland, Oregon (USA) – Vanessa, 24
„Mit 18 habe ich das erste Mal in meinem Leben gearbeitet. Eine Freundin hat mich zu einem Club gebracht, in dem sie als exotische Tänzerin auftrat. Schon an meinem ersten Arbeitstag habe ich in der Nacht auf der Bühne getanzt. Ein paar Minuten nach meinem Auftritt kam ein Mann auf mich zu. Er hat mir vorgeschlagen, dass wir einen Monat zusammen verbringen. Er hat mir eine Menge Geld geboten. Ich akzeptierte. Tatsächlich war er ein netter Mann. Am Ende habe ich mehr als zwei Monate mit ihm verbracht. Er hat mir wirklich gutes Geld gezahlt und mir viele Sachen gekauft, aber seltsamerweise hatten wir niemals Sex. Nach dieser positiven Erfahrung bin ich bei diesem Job geblieben. Seit sechs Jahren arbeite ich als Hostess. Jetzt ist es anders. Mit einigen meiner Klienten verbringe ich eine Stunde, nur für Sex, mit anderen ein ganzes Wochenende oder sogar eine Woche.“ Vanessa hat keine geregelten Arbeitzeiten. Sie verlangt von ihren Kunden 200 US-Dollar für die Stunde [etwa 180 Euro], 1.200 US-Dollar pro Tag [etwa 1100 Euro] oder 2.000 US-Dollar für ein Wochenende [etwa 1800 Euro]
Taipeh, Taiwan – Eva Prasiska, 24
Eva kommt aus Indonesien, aus einer kleinen Stadt im südlichen Teil der Insel Sumatra. Bis zu ihrem 20. Lebensjahr lebte sie dort, dann zog sie auf der Suche nach ihrem ersten Job nach Tawain. „In Indonesien war es für mich unmöglich einen Job zu finden“, sagt sie. In Taiwan arbeitet sie nun als Altenpflegerin. Derzeit kümmert sie sich um eine alte Frau, die seit einem Jahr nicht mehr laufen kann. Eva lebt mit der Frau zusammen und ist 24 Stunden am Tag für sie da. Freie Tage sind nicht vorgesehen. Alle zehn Tage bittet sie um einen freien Tag. Die alte Frau bleibt dann solange bei ihrer jüngeren Schwester. Eva träumt davon, eines Tages nach Indonesien zurückzukehren. Sie verdient 15.000 Taiwan-Dollar im Monat, das sind ungefähr 430 Euro
Neu-Taipeh, Taiwan – Chen Yun Bin, 17
Chen Yun Bin ist in Neu-Taipeh geboren und aufgewachsen. Schon als Kind war es sein Traum, Friseur zu werden. „Hier in Taiwan brauchst du eine Lizenz, um den Job ausüben zu können. Dafür musst du drei Jahre lang eine Friseurschule besuchen“, sagt er. Chen Yun hat gerade sein zweites Jahr an der Schule beendet. Nun steht ein Praxisjahr in einem Friseursalon an. Vor vier Monaten hat er damit angefangen, inzwischen arbeitet er täglich zwischen acht und neun Stunden, auch am Wochenende. Aber er kann einen Tag freikriegen, wenn er erschöpft ist und den Besitzer des Salons darum bittet. Am Ende des Jahres würde er gerne, falls er dazu in der Lage ist, seinen eigenen Friseursalon aufmachen. Sein Gehalt liegt bei 20.000 Taiwan-Dollar im Monat. Das sind etwa 570 Euro
Bogotá, Kolumbien – Juan Carlos Salazan, 19
Juan Carlos ist im Randgebiet von Bogotá geboren und aufgewachsen, wo er auch heute noch lebt. Bis zu seinem 18. Lebensjahr ging er zur Schule, dann fand er, dass es genug war und machte sich auf die Suche nach einem Job. Vor fast einem Jahr hat er eine Anstellung in einer kleinen Apotheke im nördlichen Teil Bogotás gefunden, dem reichsten Viertel der Stadt. Er arbeitet als Lieferjunge und bringt mit dem Fahrrad Medikamente zu den Kunden nach Hause. Er arbeitet zwölf Stunden am Tag und erledigt in der Zeit durchschnittlich 35 Lieferungen. Das macht er an sechs Tagen die Woche und verdient pro Tag 32.000 kolumbianische Pesos, ungefähr 10 Euro. Im Moment gefällt Juan Carlos sein Job, aber er träumt davon, zur Luftwaffe zu gehen
Fotos: Gabriele Galimberti/INSTITUTE
Mitarbeit: Sinah Grotefels