Sandra B. wollte nur ein Lied aus den Charts herunterladen, einen Song, den sie gerade besonders mochte. Doch plötzlich war sie eine Internetkriminelle, jemand, der das geistige Eigentum von Künstlern klaut – der Musik ohne Einwilligung der Urheber und Rechteinhaber benutzt. Plötzlich stand sogar die Polizei vor der Tür. „Sie haben mir den Durchsuchungsbeschluss gezeigt, und dann ging es ratzfatz“, erinnert sie sich. Die Beamten nahmen ihren Computer mit und ihre CDs. Sandra hatte nicht gewusst, dass sie mit ihrem Downloadprogramm auch Musikstücke im Internet zum Tausch anbot. „Ich wollte nur dieses eine Lied – und jetzt kostet es womöglich 3.800 Euro“, sagt Sandra. Noch läuft das Verfahren – ob sie die wirklich zahlen muss, wird nun ein Gericht entscheiden. Aus Sicht der Musikindustrie gehört Sandra B. zu den Internetnutzern, die illegal handeln und der Branche jährlich einen Schaden in dreistelliger Millionenhöhe zufügen: In Deutschland werden etwa zehnmal mehr Lieder illegal aus dem Internet heruntergeladen als legal über Downloadshops verkauft. Die bekanntesten Tauschbörsen heißen eDonkey, eMule, BearShare und BitTorrent, und es gibt viele weitere Tauschplätze im Internet, über die jährlich rund 300 Millionen Songs heruntergeladen werden.
Die wenigsten wissen, wo die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität verlaufen (siehe Seite 15). Und so tappen monatlich Zigtausende in die Abmahnfalle. Und manche trifft es noch viel härter als Sandra: Rund 300.000 Euro Schadenersatz sollte ein Elternpaar neulich zahlen, weil sein Sohn Musikdateien heruntergeladen hatte, erzählt Lina Ehrig vom Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (vzbv). Sie kennt das Entsetzen der Eltern und die Klagen der Betroffenen. Wer im Internet einen Song herunterlädt, dem ist selten klar, dass er mit jedem Mausklick gleich ein ganzes Bündel von Rechten an geistigem Eigentum verletzen kann. Wer im Internet Tauschbörsen aufsucht und Filesharing- Programme benutzt, wird rechtlich gesehen nicht nur zum Dieb, sondern auch zum Hehler.
Noch hat das deutsche Urheberrecht mit der digitalen Welt große Schwierigkeiten. Die Neuformulierung von Gesetzen hält mit den technischen Möglichkeiten kaum Schritt. Bisher kannte das Copyright nur physische Medien wie Schallplatten, Bücher und Filmrollen. Nun wird das Recht auf die digitale Welt angewandt, mit teils bizarren Ergebnissen: Das Urheberrecht behandelt Tauschbörsennutzer, als ob sie ganze Lastwagen voller CDs entwenden und mit dem Raubgut weltweit umherfahren würden, um damit zu handeln. In den Anwaltsschreiben ist deshalb oft von besonders schweren Vergehen die Rede – und das soll auch ein besonders hartes Vorgehen gegen die Internetpiraten rechtfertigen. Laut einer Erhebung der Netzaktivisten der „Abmahnwahn-Dreipage“ und von „gulli.com“ war das Jahr 2010 ein voller Erfolg für die Anwälte. Nach der Schätzung sind im vergangenen Jahr rund 576.000 Abmahnungen versandt worden. Insgesamt ging es um Forderungen von über 400 Millionen Euro.
Kommen so die armen Künstler zu ihrem Recht, die sonst nie Geld sähen für ihre Einfälle, für ihr kreatives Schaffen? So einfach ist es leider nicht. Es gebe viele missbräuchliche Abmahnungen, sagt Lina Ehrig. Viele Internetnutzer bekämen völlig überzogene Rechtsanwaltsgebühren berechnet, spezialisierte Kanzleien hätten im Abmahngeschäft eine lukrative Einnahmequelle entdeckt und konstruierten aus jedem banalen Verstoß einen schweren Fall von Internetkriminalität. Oft lägen allein die Anwaltsgebühren bei 2.000 bis 5.000 Euro. „Es ist zu einem Massengeschäft von Anwälten geworden“, sagt die Expertin, zu einer massenhaften Kriminalisierung von Bürgern. „Und oft zahlen die Leute aus Angst vor noch höheren Kosten.“ Es geht ja auch um ein lukratives Geschäft – nicht nur für die Anwälte: Die Anwaltskanzleien sind auf die Zuarbeit von spezialisierten Firmen angewiesen, die die Computerdaten der Nutzer ermitteln. Mit diesen IP-Adressen beantragen die Anwälte mithilfe von Gerichten bei den Providern wie etwa der Telekom die Herausgabe der Adressen der Nutzer – das Abmahnen kann beginnen. 2,4 Millionen Adressen müsse allein die Telekom jährlich herausgeben, so eine Telekom- Sprecherin.
Bei den zuständigen Gerichten führt die Klagewelle bereits zur Überlastung: Allein das Kölner Landgericht bearbeitet pro Monat rund 1.000 Verfahren und hat daher zusätzliche Richter angestellt. „Es geht um Hunderttausende Betroffene pro Monat“, erklärt Dirk Eßer, Sprecher des Gerichts. Nach Ansicht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, ist die heimliche Erhebung der IP-Adressen von Tauschbörsenteilnehmern klärungsbedürftig. Die massenhafte Erhebung der Daten sei nicht verhältnismäßig. Man habe mittlerweile deutliche Zweifel an der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Praxis, sagte eine Sprecherin Schaars.
Zudem mehren sich die Hinweise, dass viele Internetnutzer zu Unrecht abgemahnt werden. Denn nicht immer arbeitet die Software der IP-Ermittler-Firmen zuverlässig. In einem Beschluss des Landgerichts Köln heißt es, dass in einzelnen Verfahren über die Hälfte der ermittelten IP-Adressen gar nicht zuzuordnen waren, in einem speziellen Fall waren es sogar mehr als neunzig Prozent. Arbeitet die Spezialsoftware ungenau, werden unschuldige User schnell des Gesetzesbruchs bezichtigt. Und die haben es oft schwer, ihre Unschuld zu beweisen. Denn anders als in einem strafrechtlichen Verfahren, in dem die Unschuldsvermutung gilt, muss der Abgemahnte in einem zivilrechtlichen Verfahren selbst seine Unschuld beweisen. Und das ist praktisch unmöglich: Kein Gutachter kann mit hundertprozentiger Sicherheit beweisen, dass die Abmahnanwälte falsch liegen. So kann sich die gebeutelte Musikindustrie weiterhin über ihr neues Geschäftsfeld freuen. In dem sich sogar mit so manchem Flop mehr Geld machen lässt als im Verkauf. Neulich bekam eine Frau aus Bayern, die auf ihrem Computer nicht mal ein Filesharing-Programm installiert hatte, einen Abmahnbrief. Die Beschuldigung: sie habe einen Pornofilm mit dem Titel „Ohne Höschen Vol. 19“ in einer Internet-Tauschbörse illegal verbreitet. Als Abmahngebühr erhob die Kanzlei aus Baden-Württemberg einen Betrag von 650 Euro für einen Streitwert von 30.000 Euro.
Livestream & Downloads: Was ist erlaubt, was ist verboten? Wir haben den Kölner Medienanwalt Christian Solmecke gefragt, der auf Internetrecht spezialisiert ist
Im Internet gibt es Unmengen von Musik, die frei verwendet werden kann. Diese Musik ist allerdings nicht urheberrechtsfrei, sondern liegt unter einer Lizenz, die dem Verwender gestattet, die Musik herunterzuladen und Dritten anzubieten. Die berühmteste freie Li- zenz ist die Creative Commons Lizenz. Aktuelle Musik aus den Charts wird allerdings praktisch nie unter dieser Lizenz angeboten. Generell sind alle Downloads erlaubt, solange das Material nicht offensichtlich rechtswidrig im Internet verbreitet wird. Erlaubt ist etwa das Betrachten von Youtube-Videos und Herunterladen von Musikstücken, die von Bands kostenlos ins Internet gestellt werden. Auch das kostenlose Mitschneiden von Online-Radios mit der Software Radio.fx ist legal. Ebenso erlaubt ist der Austausch von MP3-Files im Freundeskreis. Generell kann als Faustregel gelten, solange man keine Musik zum Upload anderen zur Verfügung stellt, sondern sich nur Musik herunterlädt, ist dies erlaubt. Doch Achtung: Wenn offensichtlich ist, dass Musikstücke illegal angeboten werden, dann dürft ihr euch diese Musik nicht mehr herunterladen. Unter Juristen ist derzeit aber umstritten, wann für den Laien ein Angebot offensichtlich illegal ist. Verboten ist das Verteilen von MP3-Files an viele Personen gleichzeitig, etwa durch Hochladen auf eine Website oder im sozialen Netzwerk Facebook. Auch massenhafte E-Mails mit Musikdateien an andere zu verschicken wäre demnach illegal. Streng verboten ist das Runter- und Hochladen von Musik bei Tauschbörsen oder Plattformen wie Rapidshare.
Auch bei Filmen im Internet ist Vorsicht geboten. Angebote wie www.kino.to, wo fast jeder Film kostenlos bereitgestellt wird, sind aus Sicht von Juristen auf jeden Fall rechtswidrig. Doch weil die Betreiber im Ausland registriert sind, sind die Verantwortlichen nur schwer zu belangen. Damit ist aber noch nicht geklärt, ob sich auch die Konsumenten strafbar machen. Solange Internetnutzer die Filme nur anschauen, ohne eine Kopie auf ihrer Festplatte zu speichern, sind sie eventuell noch im legalen Bereich. Aber sobald gespeichert wird, sieht es anders aus. Es gibt auch Juristen, die bereits die temporäre Speicherung zur Wiedergabe des Films im RAM-Speicher des Benutzers als illegale Kopie werten. Abgemahnt und angeklagt werden könnten Nutzer in jedem Fall, sobald ein Filmproduzent seine Rechte durchsetzen will. Noch heikler wird es bei den Livestreams im Internet, etwa von Bundesligaspielen. Diese Angebote funktionierten wie Tauschbörsen. Sie werden fast immer peer-to-peer übertragen und sind damit in höchstem Maße illegal. Zum Glück der Nutzer verfolgt bislang noch kein Rechte-Inhaber der Bundesliga seine Interessen mit Abmahnungen. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass bald auch damit begonnen wird.