Großbritannien macht gerade turbulente Zeiten durch. Neben den Folgen des Brexits und mehrfachen Premierminister:innenwechseln müssen die Menschen sich auch noch an ein neues Staatsoberhaupt gewöhnen. Nach 70 Jahren Regentschaft von Königin Elizabeth II. fragen sich viele, wie das öffentliche Leben sich unter ihrem Sohn Charles III. verändern wird. Aber wie nehmen Menschen in Großbritannien eigentlich die Staatsform wahr, in der sie leben? Welche Rolle spielt das Königshaus in ihrem Alltag? Und inwiefern sollte es sich verändern? Vier junge Brit:innen erzählen
„Die Königsfamilie bringt das ganze Land zusammen“
Harry (25), Intelligence-Analyst, Northwich
Ich bin auf jeden Fall ein leidenschaftlicher Royalist. Die Königsfamilie bringt das ganze Land zusammen, auf nationaler und lokaler Ebene, davon bin ich überzeugt.
Ich erinnere mich an Tage, an denen wir draußen Tische aufgestellt und mit der ganzen Nachbarschaft die Thronjubiläen der Queen gefeiert haben. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist etwas sehr Positives. Die königliche Familie gibt außerdem eine Etikette vor, zum Beispiel in Sachen Freundlichkeit, an der sich ältere und jüngere Menschen in diesem Land orientieren. Politisch gesehen übt die Königsfamilie effektiv soft power aus. Wenn unsere Politiker zum Beispiel Fehler machen und sich anderen Ländern gegenüber falsch verhalten, dann kann das Königshaus das auffangen.
Die Monarchie sollte sich natürlich weiterentwickeln, aber das hat sie immer getan. Ich wünsche mir zum Beispiel mehr Transparenz über die Finanzen der Familie. Es fließen weniger Steuergelder an die Royals, als viele denken. König Charles soll schon vor seiner Ernennung in Erwägung gezogen haben, die Anzahl der Familienmitglieder zu reduzieren, die öffentliche Aufgaben übernehmen. Dabei sollte er, meiner Meinung nach, bleiben. So bekäme der erweiterte Familienkreis weniger Geld. Während einer Wirtschaftskrise wie derzeit ist das nötig.
„Das sind nur irgendwelche Leute, die etwas geerbt haben“
Jennifer (25), Promotionsstudentin, London
Warum Menschen in Großbritannien die Monarchie befürworten, kann ich nicht nachvollziehen. Ich bin komplett gegen die Monarchie. Für mich repräsentiert sie Eurozentrismus und weiße Vorherrschaft im Vereinigten Königreich.
Ich komme ursprünglich aus Nigeria und promoviere zu Dekolonialisierung in der britischen Entwicklungshilfe. In Kenia beispielsweise haben die Briten Aufstände gegen die Kolonialherrschaft brutal niedergeschlagen, als Queen Elizabeth II. bereits Staatsoberhaupt war (Anm. d. Redaktion: Kenia erlangte 1963 die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich). Noch heute besucht die royale Familie ehemalige Kolonien und erwartet, königlich empfangen zu werden. Die Menschen dort protestieren immer wieder gegen diese Staatsbesuche.
Für die Queen haben außerdem viele Regeln nicht gegolten, an die sich alle anderen halten müssen. Ihr Ehemann Prinz Philip ist während der Pandemie gestorben, und damals durften eigentlich nur 30 Leute an einer Beerdigung teilnehmen. Elizabeth II. hätte die Option gehabt, mehr Gäste einzuladen, nur weil sie die Königin ist – auch wenn sie sich am Ende dagegen entschieden hat, von diesem Privileg Gebrauch zu machen. Diese Sonderrechte an sich sind schlimm genug, aber dann bekommt die Königsfamilie auch noch unsere Steuergelder. Dabei sind das nur irgendwelche Leute, die etwas geerbt haben.
Im Zusammenhang mit dem Tod der Queen hatte ich auf mehr kritische Diskussionen über die Abschaffung der Monarchie gehofft. Denn die Monarchie muss definitiv abgeschafft werden. Das Staatsoberhaupt sollte eine gewählte Person sein.
„Das war ein bisschen wie Reality-TV, außer dass es im echten Leben stattfindet“
Kerry (22), Ökonomin, London
Ich bin in einem britisch-deutschen Haushalt in Frankreich und Ägypten aufgewachsen. Dadurch habe ich einen anderen Bezug zur Monarchie als viele meiner Freunde hier. Damals aus der Ferne habe ich mich der Monarchie sehr verbunden gefühlt und zum Beispiel die Hochzeiten oder die Queen’s Speeches angeschaut. Das war ein bisschen wie Reality-TV, außer dass es im echten Leben stattfindet.
Heute würde ich sagen, dass ich die Monarchie eher unterstütze. Sie gibt mir ein Gefühl von Kontinuität. Die Welt verändert sich ständig, aber die Menschen können sich in unsicheren Zeiten auf die Monarchie verlassen. Die Königsfamilie ist so bekannt, dass auch der Tourismus davon profitiert. Viele Leute kommen hierher, weil sie den Buckingham-Palast, die Kronjuwelen oder Schloss Windsor sehen wollen.
Der Tod der Queen hat mich traurig gemacht – ich habe mich ein bisschen gefühlt, als sei eine Großmutter gestorben. Trotzdem finde ich es zum Beispiel wichtig, auf die Verbindung der Königsfamilie zum Kolonialismus hinzuweisen. Bisher haben sie nicht genug getan, um den Schaden anzuerkennen, den der Kolonialismus in kolonisierten Ländern angerichtet hat. Ich würde mir wünschen, dass das Königshaus sich entschuldigt und gestohlene Gegenstände zurückgibt.
„Die Königsfamilie transportiert eine sehr englische Idee davon, was es bedeutet, britisch zu sein“
James (20), Student, Cambridge
Ich bin ziemlich ambivalent gegenüber der Monarchie, wirklich etwas dagegen habe ich aber nicht. Das, was mir an der Königsfamilie am meisten missfällt, ist nicht einmal deren Schuld: In den britischen Medien wird einfach viel zu viel über sie berichtet. Außerdem ist die britische Monarchie von allen europäischen Monarchien absolut gesehen die teuerste – es wäre besser, wenn sie sich an kleineren und weniger teuren Königshäusern wie dem belgischen oder den skandinavischen orientieren würde. Über den Tod von Queen Elizabeth war ich trotzdem traurig, weil ich ihren enormen Dienst an der Öffentlichkeit respektiere. So ging es vielen Leuten, die der Institution Monarchie ansonsten wenig abgewinnen können.
Ich komme aus Schottland, und dort gibt es generell weniger von diesen Royalisten, die mit Fahnen wedeln und die Nationalhymne singen. Die Königsfamilie transportiert eine sehr englische Idee davon, was es bedeutet, britisch zu sein. Damit können die Schotten nicht so viel anfangen. Viele denken, dass die allermeisten Schotten republikanisch eingestellt sind, aber ganz so ist es auch nicht. Nicht einmal die SNP, die linke Unabhängigkeitspartei, will derzeit die Monarchie abschaffen.
Ich bin vor kurzem zu dem Schluss gekommen, dass ich die Monarchie in Ordnung finde. Wir brauchen ein Staatsoberhaupt zusätzlich zum gewählten Regierungschef. Diese Person kann nicht politisch und dementsprechend nicht gewählt sein, sondern muss eine Repräsentationsfigur sein. Das ist im Moment der Fall, deshalb denke ich, dass eine konstitutionelle Monarchie die am wenigsten schlechte Alternative ist.
Collagen: Renke Brandt