Das Alte Testament ist nicht unbedingt ein Manifest für Geschlechtergleichheit: Zuerst wird Eva aus Adams Rippe erschaffen, um ihm eine „Hilfe“ zu sein, die „ihm entspricht“. Gott stellt – laut Einheitsübersetzung der Bibel – auch direkt klar: Dann verführt sie auch noch Adam, von den verbotenen Früchten zu naschen, woraufhin beide von Gott aus dem Paradies geworfen werden. Schon mal kein guter Anfang.
In einigen Texten des Neuen Testaments haben Frauen auch nicht viel zu melden: Im ersten Brief an die Korinther heißt es etwa, dass „Frauen in der Versammlung schweigen“ sollen und: „Sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz es fordert.“ Propagiert die Bibel die Überlegenheit des Mannes?
Das ist trotz der zitierten Passagen gar nicht so einfach zu beantworten, denn die Bibel bietet sowohl Argumente für das Patriarchat als auch für die Emanzipation der Frauen. Aber als das „Wort Gottes“ wurde sie eben immer wieder gern von den Mächtigen genutzt, um Privilegien zu sichern – und die Mächtigen waren in der Kirchengeschichte meist Männer.
So sieht das zumindest Claudia Janssen, Studienleiterin am Studienzentrum für Genderfragen der evangelischen Kirche. „Im Neuen Testament werden fast alle Aufbruchsbewegungen anfangs von Frauen und Männern gemeinsam getragen. Im Gegensatz zu denen, die in Politik und Gesellschaft etwas zu sagen hatten. Die waren heteronormativ-männlich, frei und Römer oder gehörten der Oberschicht an“, so Janssen. „Wann immer sich feste Strukturen etablierten, etwa als im vierten Jahrhundert unter Kaiser Konstantin das Christentum Staatsreligion wurde, wurden Frauen an die Seite gedrängt.“
Diese Zurückdrängung wurde mit Zitaten aus der Bibel legitimiert. Zu den zentralen Ungleichheits-Argumenten gehören die zitierten Paulusbriefe an die Korinther. Darin wird auch die Verschleierung der Frau gefordert: „Eine Frau aber entehrt ihr Haupt, wenn sie betet oder prophetisch redet und dabei ihr Haupt nicht verhüllt“. So heißt es in der Einheitsbibel – eine weit verbreitete Übersetzung, die in Deutschland in der römisch-katholischen Kirche genutzt wird. In der evangelischen Kirche ist die Lutherbibel das Standardwerk. Dass Bibel nicht gleich Bibel ist und sich Auslegungen je nach Entstehungs- und Lesezeitraum fundamental unterscheiden, ist wichtig für jeden, der sich mit Geschlechterfragen theologisch auseinandersetzt.
In den letzten Jahren nahm etwa die gleichheitsbetonte Bibelauslegung Fahrt auf. Sie stützt sich zum Beispiel auf das erste Kapitel Genesis, in dem es heißt: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bild männlich und weiblich.“ Im Neuen Testament gibt es eine ähnlich gewichtige Passage: „Es gibt nicht mehr Juden noch Griechen, nicht mehr Sklaven noch Freie, nicht mehr männlich noch weiblich; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.“ Die Forschung entdeckt starke Frauen in der Bibel: Debora, die Richterin aus dem Buch der Richter, Mirjam und Hulda, beide Prophetinnen, die Jüngerin Tabitha. Auch Adams Rippe ist nicht mehr nur eine Rippe: „Die Schöpfung aus der Seite sieht man heute als eine Gleichwertigkeit an“, sagt Agnethe Siquans, katholische Theologin vom Institut für Bibelwissenschaft an der Uni Wien.
Auf solchen Sichtweisen basieren die Übersetzungen der „Bibel in gerechter Sprache“, die Bibelwissenschaftlerinnen und Bibelwissenschaftler im deutschsprachigen Raum vor rund zehn Jahren entwickelt haben. In den Messen der Masse sind diese Lesarten nicht angekommen. „In der Kirche kommen ganz unterschiedliche Menschen zusammen. Es gibt fundamentalistische Evangelikale, die sie ablehnen, und Progressive, die sagen, sie gehen nicht weit genug“, sagt Janssen. Die Bibel spiele zwar an der ein oder anderen Stelle mit Geschlechtsidentitäten, gehe aber nicht nennenswert über Zweigeschlechtlichkeit und eine heterosexuell orientierte Gesellschaft hinaus, sagt auch Siquans. Zudem werden Frauen immer noch an vielen Stellen über ihren Körper definiert, darüber, ob sie Mütter oder aber Jungfrauen sind.
Einerseits werden alte Rollenbilder immer wieder von religiösen Menschen oder in kirchlichen Strukturen hinterfragt – ein Teil der Frauenbewegung in der DDR organisierte sich beispielsweise unter dem Dach der Kirche. Wer heute aber im Netz nach Gender und Kirche sucht, stößt nicht nur auf Studienzentren und Gleichstellungsbeauftragte, sondern auch auf eine Menge Artikel und Bücher auf christlichen Seiten, die vor der „Gender-Ideologie“ warnen.
Darunter sind auch die Soziologin Gabriele Kuby mit „Gender – eine neue Ideologie zerstört die Familie“ sowie Birgit Kelle mit „GenderGaga: Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“. Beide sprechen als Christinnen und haben mit ihren Büchern ein großes -Medienecho erzeugt. Sie publizieren auf christlichen Portalen und vertreten ihre Positionen in Talkshows. Heute wie damals ringen die Gläubigen und Kirchen darum, was Geschlecht für sie bedeutet. Absurd, anzunehmen, dass man ihre Diskussionen – oder die anderer Glaubensgemeinschaften – auf eine einzige Position runterbrechen könnte.
Illustrationen: scorpion dagger