Die Aga-Kröte, das kann man wirklich nicht anders sagen, ist selbst für einen Lurch irrsinnig hässlich. Ihre Haut ist warzig-wulstig, die zusammengekniffenen Augen und das breite, nach unten gezogene Maul geben ihr etwas Verschlagenes. Und dann sind da noch ihre hundsgemeinen Hinterohrdrüsen. Daraus spritzt sie Gift und rückt so manchem tierischen Ureinwohner Australiens auf den Pelz. Sogar Krokodile soll sie zur Strecke gebracht haben. Kurzum: Sie ist das perfekte Feindbild.
Dabei kam die Aga-Kröte eigentlich nach Australien, um zu helfen, wie Fred Pearce in seinem Buch „Die neuen Wilden“ schreibt. In den 1930er-Jahren wurden 60.000 Exemplare des aus Südamerika stammenden Tiers nach Australien verschifft, um einen dort heimischen Käfer zu fressen, der die Zuckerrohrfelder im Bundesland Queensland zerstörte. Allerdings fraß die fremde Kröte bald selbst das Zuckerrohr und vermehrte sich gut 50 Jahre nach ihrer Ankunft in Australien plötzlich so sprunghaft, dass die Regierung die heimische Artenvielfalt bedroht sah. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, gab sie 20 Millionen Dollar aus.
Der Naturschutz kennt keine Willkommenskultur
Global gesehen gibt es so einige Aga-Kröten. Invasive Arten werden die genannt in der Biologie. Schon im Begriff „invasiv“, abgeleitet vom lateinischen Wort für „eindringen“, steckt das ganze Misstrauen, das ihnen entgegengebracht wird. Eindringlinge sind längst nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen, die oft weite Reisen in neue Ökosysteme unternehmen. Ob Riesenknöterich, Wasserhyazinthe oder Schwarzkopfruderente – all diese Arten haben eine komplexe Migrationsgeschichte, bei der meist der Mensch und oft die globale Erwärmung eine Rolle spielt. Fassen sie in der Fremde Fuß, werden schon mal aufwendige Vernichtungsprogramme gestartet – die bisweilen den heimischen Arten ebenso schaden wie den Neuankömmlingen. Der Naturschutz kennt da keine Willkommenskultur.
Die grüne Xenophobie
Ein großer Fehler sei diese „grüne Xenophobie“, findet Fred Pearce. Wenn es so etwas wie einen internationalen Star im Umweltjournalismus gibt, dann ist das der 65-jährige Engländer. Seine Bücher über Landgrabbing oder die globale Wasserknappheit wurden in viele Sprachen übersetzt und mit Preisen ausgezeichnet. In „Die neuen Wilden“ dreht Pearce das gängige Paradigma des Umweltschutzes um: Die sogenannten invasiven Arten seien keine Gefahr für die Umwelt – sondern im Gegenteil: ein Garant für Biodiversität in Zeiten der globalen Erwärmung.
Das klingt alles wahnsinnig nerdig? Ist es aber nicht. Selbst wer sich nicht für Bisamratte, Bärenklau, Waschbär & Co. interessiert, wird „Die neuen Wilden“ mit Spannung lesen. Das Sachbuch liest sich in weiten Teilen wie ein Naturschutzkrimi. Pearce ist kein stoffeliger Biolehrer, sondern ein guter Erzähler. Immer wieder gibt es Reportage-Passagen, die in entlegene Winkel dieser Welt führen. Außerdem lernt man Erstaunliches über die globale Vernetzung. Die Qualle namens Mnemiopsis leidyi etwa, die das Schwarze Meer Ende der 1980er-Jahre in eine glibberige Masse zu verwandeln drohte, kam eigentlich von der amerikanischen Ostküste. Von dort schipperte sie im Ballastwasser eines Frachters über den Atlantik. In diesem Ballastwasser, das die Schiffe tanken, wenn sie nicht voll belanden sind, reisen bis zu 7.000 Arten als blinde Passagiere mit.
„In der Natur gibt es nur noch sehr wenig, was wirklich natürlich ist“
Was ist heimisch? Was ist fremd? Für Fred Pearce sind diese Gegenüberstellungen, nach denen der Naturschutz unterscheidet, zunehmend irrelevant. „In der Natur gibt es nur noch sehr wenig, was wirklich natürlich ist“, schreibt er. Zu schnell werden neue Arten in der Fremde heimisch und entwickeln sich weiter. Gleichzeitig werde der Schaden, den sie angeblich anrichten, auf sehr wackeliger Datenbasis errechnet.
Auch das kann man bei Pearce lernen: wie ein guter Wissenschaftsjournalist arbeitet. Pearce recherchiert so ziemlich jeder Zahl hinterher, die die Bedrohung durch invasive Arten belegen soll. Und es ist durchaus erstaunlich, wer von wem zitiert, ohne die Zahl mal kritisch zu hinterfragen. Selbst die UN übernahmen die Aussage, dass an 40 Prozent des Artensterbens in den letzten 400 Jahren invasive Spezies beteiligt gewesen seien. Dabei muss die wohl eher als Schätzung denn als belastbares Material verstanden werden, die sich zudem lediglich auf Hawaii bezog.
Nach den knapp 330 Seiten sieht man die Natur, den Umweltschutz – und ein bisschen auch die Welt – mit anderen Augen. Die Normalität in der Natur ist die Veränderung, schreibt Pearce. Ökosysteme seien eigentlich nie stabil. Wir sollten uns vor den Neuen also nicht fürchten, sondern sie akzeptieren.
Selbst die hässliche Aga-Kröte hat sich nicht zum dominierenden Lebewesen entwickelt, wie es ein australischer Naturschützer etwas paranoid formulierte, als die ganze Nation den Krötenalarm ausrief. Vögel und Nager sind offenbar mittlerweile immun gegen ihr Gift. Andere Tiere haben gelernt, wie man den Lurch attackiert. So hat die schleimige Kröte natürliche Fressfeinde, was ihre massenhafte Ausbreitung stoppte – und sie hat sogar ein paar neue Freunde: Das Rugby-Team von Queensland hat sich nach dem zähen Zuzügler benannt.
Fred Pearce: „Die neuen Wilden. Wie es fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten“. Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Barbara Steckhan. Oekom-Verlag, München 2016, 330 Seiten, 22,50 Euro
Felix Denk, Kultur-Redakteur bei fluter.de, wünscht der Aga-Kröte eine ähnliche Popularität wie dem Axoltl.
Foto: Fotos: Getty; Corey Arnold