In der Nacht des 28. November 1953 gegen 2.30 Uhr stürzte Dr. Frank Olson, der an geheimen biologischen Kampfstoffen forschte, aus dem Zimmer 1018a im 13. Stock des New Yorker Statler-Hotels in den Tod. So viel ist sicher. Viel mehr aber nicht. Die Umstände des Todes des Wissenschaftlers sind ein Rätsel, in dem Lügen, LSD und die CIA eine Hauptrolle spielen. Und das einen langen Schatten bis in die Gegenwart wirft.
20 Jahre später löste Olsons Tod einen Skandal aus. Mitte der 1970er-Jahre drang an die Öffentlichkeit, dass Olson wenige Tage vor seinem Fenstersturz von seinen CIA-Kollegen eine Dosis LSD in den Drink gekippt wurde – ohne dass er davon wusste. Bevor die Hippies mit der Droge an den Pforten der Wahrnehmung rüttelten, törnte die psychogene Substanz nämlich die Fantasie der Geheimdienste mächtig an. Im Kalten Krieg sahen sie darin ein Wahrheitsserum, und das konnte natürlich ungemein praktisch sein für Verhöre feindlicher Agenten. Und Frank Olson zählte zu denjenigen, die ungewollt zu einem Versuchskaninchen des berüchtigten CIA-Forschungsprogramms MKUltra wurden. Präsident Ford entschuldigte sich persönlich im Weißen Haus bei der Familie. Die bekam eine Entschädigung von 750.000 Dollar.
Damit hätte die Sache beendet sein können. War sie aber nicht. Im Gegenteil. Ob es nun ein Unfall war, ein Suizid, wie die CIA behauptet, oder doch Mord, wie die Familie vermutet, das ist bis heute unklar. Man spoilert nicht, wenn man verrät, dass auch die Netflix-Doku-Serie „Wermut“ keine Antwort auf das Rätsel liefert, auch wenn Regisseur Errol Morris durchaus ein Investigativspezialist ist und schon die unrechtmäßige Verhaftung eines zum Tode Verurteilten aufgedeckt hat (im Film „The Thin Blue Line“, 1988).
Hat der CIA bei Frank Olsons Tod nachgeholfen?
Sein virtuoser Sechsteiler ist auch so spannend – und verstörend. Er erzählt von der obsessiven Suche nach der Wahrheit in Zeiten von Fake News, alternativen Fakten und allerorts erblühenden Verschwörungstheorien. Im Zentrum der Serie steht Frank Olsons Sohn Eric, der mit seinen Nachforschungen nicht lockerlässt, während seine Mutter ihren Schmerz im Alkohol ertränkt.
Eric findet Hinweise, die darauf hindeuten, dass sein Vater bei der CIA aussteigen wollte, für die er an biologischen Kampfstoffen forschte. Ihm fällt ein CIA-Handbuch aus dem Jahre 1953 in die Hände, in dem der Fenstersturz als „bevorzugtes Mittel der Ermordung“ beschrieben wird. Und er trifft den zwielichtigen Ex-CIA-Mann Sidney Gottlieb, der Giftmord-Anschläge gegen Patrice Lumumba und Fidel Castro plante. Der erste demokratisch gewählte Präsident des Kongo sollte mit vergifteter Zahnpasta aus dem Verkehr gezogen werden, der Máximo Líder Castro mit einer präparierten Zigarre. Und Gottlieb leitete auch das MKUltra-Programm.
Olsons Zweifel an der Version der CIA gehen irgendwann so weit, dass er die Leiche des Vaters exhumieren und von Forensikern untersuchen lässt. 41 Jahre nach seinem Tod. Dabei tauchen weitere Ungereimtheiten auf. Etwa dass dieser vor dem Fenstersturz einen harten Schlag auf den Kopf bekam.
Die Geschichte einer Vertrauenskrise
Für Olson ist klar: Sein Vater wurde für die CIA zur Gefahr. Er wusste viel und galt als labil. Sein Tod kam dem Geheimdienst so gelegen, dass es schon ein riesiger Zufall sein müsste, wenn er nicht nachgeholfen hätte.
Einer Verschwörungstheorie mangelt es ja selten an Logik. Und Eric Olson, ein Harvard-promovierter Psychologe, erweist sich in „Wermut“ als Meister der kriminalistischen Logik. Doch sie hilft ihm nicht. Die meisten Akten sind illegal vernichtet worden, die damaligen Entscheider gestorben, der Fall juristisch verjährt, die Wahrheit wird wohl nicht mehr ans Licht kommen.
Olsons Zerrissenheit stellt Morris virtuos in seinen mit vielen Kameras gedrehten Interviews dar. Mit Splitscreens und Close-ups porträtiert er in langen Interviewsequenzen einen Mann, der komplett ausgezehrt ist von der Suche nach der Wahrheit dieser New Yorker Novembernacht im Jahr 1953. Dazwischen montiert Morris Film-noir-inspirierte Erzählpassagen, die die Ereignisse bis zum Tod Olsons zeigen – soweit sie denn bekannt sind. Zusammen mit viel dokumentarischem Material ergibt das eine komplexe, beziehungsreiche Collage, die die Paranoia des Kalten Krieges bisweilen ziemlich gegenwärtig aussehen lässt.
Sie zeigt eine Vertrauenskrise in einem Staat, der seine eigenen Angestellten, wenn sie ihm gefährlich werden, notfalls über die Klinge springen lässt. Oder auch nicht. Das weiß man am Ende eben nicht. Sicherlich aber kippte die CIA ihnen schon mal LSD in die Drinks. Beunruhigend genug.
„Wermut“ (Errol Morris) läuft auf Netflix.
Foto: Netflix