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Unsicher und verängstigt

Auch morgen werde die Sonne aufgehen, sagte Obama nach der für die US-Demokraten so desaströsen US-Wahl. Stimmte nur so halb. Das Wetter an der Ostküste war neblig grau, genau wie die Gefühlslage unzähliger Kommentatoren. Endzeitstimmung treibt etwa Paul Mason vom „Guardian“ um, der Trumps Sieg als Aufstand gegen die Globalisierung, den Liberalismus und als Aufwallung des Rassismus und Sexismus deutet. Unheilschwanger startet der Kommentar mit einem Tagebucheintrag des Dichters W. H. Auden aus den 1930er-Jahren: „Ich sitze hier in einer Spelunke – unsicher und verängstigt.“ Wenige Tage später brach der Zweite Weltkrieg aus.

The Guardian: Globalisation is dead, and white supremacy has triumphed

Ein Kurzer fürs Kreuzchen

Die Wähler mit Schnaps an die Urnen locken – nein, das gab es nicht mal bei diesem wirklich hart umkämpften US-Wahlkampf. Dabei war der Deal „Hochprozentiges fürs Kreuzchen“ an der richtigen Stelle in den frühen Tagen durchaus üblich. Auch ein freies Mittagessen war drin oder eine Tracht Prügel bei abweichender politischer Meinung. Wer wollte, konnte seine Stimme auch verkaufen. Dieses und viel anderes Interessantes bis Kurioses rund um die Geschichte der demokratischen Wahlen in den USA des frühen 19. Jahrhunderts steht in der „Zeit“.

Die Zeit: Schnaps für die Wähler

Big-Data-Wahlkampf

Wahlkampf ist heute vor allem eins: eine Big-Data-Schlacht. Das steht sehr anschaulich in der „taz“, für die sich Ingo Arzt mit der Mathematikerin Cathy O’Neil getroffen hat, die spannende Einblicke in die boomende Datenindustrie gibt. Zu deren Kundschaft gehören natürlich die Wahlkampfteams, die von über 200 Millionen Amerikanern Profile mit 4.000 bis 5.000 Informationen hätten. O’Neils Fazit: Algorithmen vertiefen die gesellschaftlichen Risse, verstärken Rassismus und gefährden die Demokratie.

Taz: Das Silicon Valley weiß, wen du wählst

Generation Putin

Demografisch ist Russland ein junges Land. Gut ein Drittel der Bürger hat die Sowjetzeit nicht mehr erlebt und wurde unter Putin politisch sozialisiert. Was denken diese jungen Russen über ihr Land? Einerseits gelten die Jungen als die passivste und apolitischste Generation seit Jahrzehnten, andererseits schwanken sie zwischen Patriotismus und kritischem Bewusstsein. Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat sich bei einer unabhängigen Studentenverbindung und einer aus der kremlnahen Jugendorganisation Naschi hervorgegangenen Bewegung umgehört.

NZZ: Geheimbünde, iPhones und Russland

Hören

Fast unlesbar, aber ganz gut hörbar

Peter Weiss' „Die Ästhetik des Widerstandes“ ist nicht nur ein Kultbuch der Linken, sondern auch eines, das mit seinen rund 1.000 Seiten recht knapp an der Unlesbarkeitsgrenze entlangschrammt. Zumal der Essayroman keine Kapitel und Absätze hat, keine direkte Rede, keine Anführungs-, Frage- und Ausrufezeichen. Die vielen Lesekreise, die sich in den 1980er-Jahren bildeten, um das Buch zu diskutieren, waren wohl auch Selbsthilfegruppen. Zum 100. Geburtstag von Peter Weiss wird an diesem Wochenende der dicke Brocken in Rostock in einer Nonstop-Staffellesung vorgetragen, unter anderem von der Rapperin Sookie und dem Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit.

Schon was anderes vor? Dieses einstündige Feature des Deutschlandfunks zeigt die Faszination, die Peter Weiss bis heute auf viele Schriftsteller ausübt:

Deutschlandradio Kultur: „Besser als eine Psychoanalyse wäre die Revolution“

Golden Ears

Zeit für ein wenig Nostalgie. Die Tage von Barack Obama im Weißen Haus sind ja nun gezählt, und blickt man auf seine acht Jahre als Präsident zurück, muss man sagen: Wohl keiner seiner 43 Vorgänger im Amt hatte einen cooleren Musikgeschmack als er. Das amerikanische Portal Pitchfork würdigt den ersten US-Präsidenten mit einer eigenen Spotify-Playlist mit einer Timeline mit wichtigen Songs aus seiner Amtszeit.  

Pitchfork: The Presidential Suite: A Look Back at Obama’s Musical Milestones