In Peking hat Tischtennis ein Heimspiel. Für Timo Boll wird es dadurch nicht leichter, endlich eine olympische Medaille zu gewinnen.
Herr Boll, Sie sind in China mindestens so bekannt wie Jan-Ove Waldner, einst bester Tischtennisspieler der Welt. Haben Sie auch schon einmal überlegt, in Peking eine Bar unter Ihrem Namen zu eröffnen, so wie er?
Nee, nee, ich bin eher konservativ mit der Geldanlage, und mit Investitionen im Ausland bin ich sehr vorsichtig.
In China wären Sie aber bekannt genug dafür…
Stimmt, aber es ist nicht so, dass da Tumulte herrschen. Meistens fragen die Menschen ganz höflich nach einem Autogramm.
Was darf man von den chinesischen Fans bei den Olympischen Spielen erwarten? Sind die zurückhaltend?
Zurückhaltend? (lacht) Da herrscht ständig Unruhe in der Halle. Die Handys rappeln, die Fans brüllen viel rein, auch während der Ballwechsel. Ich habe mich daran gewöhnt. Die Zuschauer werden die eine oder andere Sportart bei den Olympischen Spielen gar nicht richtig kennen. Aber feiern und ihre chinesischen Sportler frenetisch anfeuern, das werden sie trotzdem.
Vor knapp zwei Jahren haben Sie nicht so begeistert von China geredet. Damals hatten Sie zwei Monate für den Tischtennisclub Zhejiang Haining Hongxiang in der chinesischen Superliga gespielt. Am Ende haben Sie gesagt: „Ich habe die Schnauze voll.“
Den letzten Monat war ich allein da, ohne irgendjemanden. Da hatte ich Heimweh. Und dann die ständigen Reisen durch dieses riesige Land. Einmal sind wir zwei Stunden nach Peking geflogen und dann noch 13 Stunden mit dem Zug weiter. Aber alles in allem haben mich die Erfahrungen verändert und mir den jugendlichen Leichtsinn ausgetrieben. Man schätzt das Leben, das man in Deutschland hat, noch viel mehr.
Als das olympische Feuer von Protesten begleitet wurde, ist auch ein Boykott diskutiert worden. Sie haben sich dagegen ausgesprochen. Hatten Sie Sorge, dass die Spiele abgesagt werden?
Eigentlich nicht. Es ist ja oft so, dass durch die Spiele alles etwas hochgespielt wird. Vorher hat uns auch keiner geraten, nicht nach China zu fahren. Aber wir Sportler sind ohnehin nicht das ausführende Organ. Sportler sind dazu da, gute Leistungen abzuliefern, um die Leute zu unterhalten. Für die Politik sind Politiker da. Aber wenn sich durch die aktuellen Debatten die Lage vor allem in Tibet verbessert, kann man im Nachhinein schon sagen, dass es gut war.
Ihre eigene Vorbereitung war von ganz anderen Problemen geprägt. Im Winter hatten Sie Probleme mit der Patellasehne, davor hatte Sie eine langwierige Rückenverletzung zu einer Pause gezwungen.
Von den vergangenen 14 Monaten war ich sieben Monate verletzt, das ist schon hart.
2006 sagten Sie noch: Ab jetzt zählt nur noch Olympia. Ihr Ziel war, in Peking so gut zu sein wie nie zuvor. Wie sehen Sie die Lage heute?
Die Verletzungen haben mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber ich habe doch die Hoffnung, dass ich zumindest meine alte Form erreiche.
Wie sieht im Moment ein typischer Trainingstag im Leben des Timo Boll aus?
Ich bin eigentlich ein Typ, der gern im Konditionsbereich arbeitet. Jetzt gerade habe ich allerdings zwei Stunden an der Platte trainiert, gemeinsam mit Jörg Roßkopf. Gleich fahre ich nach Frankfurt, da mache ich dann im Olympiastützpunkt eine Einheit mit meinem Konditionstrainer, dann habe ich ein Trainingslager auf Borkum. Da wird maximal einmal am Tag Tischtennis gespielt. Der Anteil an der Platte steigert sich dann Richtung Olympia wieder, bis eine Woche vor der Abreise nach Peking.
Zuletzt haben Sie aber gegen die besten Chinesen meistens klar verloren. Haben sich Ihre Ziele nach all den Problemen geändert?
Nein, mein Ziel ist das gleiche geblieben: eine Medaille zu gewinnen. Es wäre auch falsch, sich keine hohen Ziele zu setzen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt, ist eine andere. Es kann in alle Richtungen gehen: vom Desaster bis zum absoluten Triumph.
Tischtennis ist für viele der 1,3 Milliarden Chinesen Sportart Nummer eins, die ersten vier der Männer-Weltrangliste sind Chinesen. Um mehr Chancengleichheit herzustellen, bereiten Sie sich in Trainingslagern vor, zum Beispiel mit dem Weißrussen Wladimir Samsonow, Ihrem stärksten europäischen Gegner.
Wir sind zwar Konkurrenten, aber wir brauchen eine richtig hohe Qualität im Training – mehr, als jeder einzelne Verband leisten kann. Es kommt darauf an, mit möglichst hohem Spieltempo zu üben und sich auch noch einmal mit verschiedenen Systemen auseinanderzusetzen. Es ist schade, dass wir sehr wenige Wettkämpfe vor Olympia haben und im Prinzip direkt aus der Sommerpause heraus da hinkommen. Deshalb werden wir uns unter den Europäern ein paar künstliche Wettkämpfchen schaffen.
So eine Vorbereitung ist ein langer, zehrender Prozess.
Also, Motivationsprobleme habe ich nicht. Allein dadurch, dass ich längere Zeit nicht gespielt habe, macht es im Moment extrem viel Spaß, sich mal wieder richtig auszulasten, sich zu quälen, zum Beispiel beim Balleimertraining. Da spielt einem der Trainer einen Eimer voll Bälle sehr schnell zu, einen nach dem anderen, immer abwechselnd weit in die Vorhand und weit in die Rückhand. Oder man muss jeden Ball mit voller Kraft schießen. Aber letztlich kennt das ja jeder: das Gefühl nach einem langen Lauf oder einem harten Training, alles gegeben zu haben. Dadurch kann man auch Selbstvertrauen tanken, Stärke und Robustheit gewinnen.
Dann haben die ewigen Pausen also auch einen Vorteil.
Ausgebrannt sein werde ich mit Sicherheit nicht. Aber mit dem Körper darf jetzt echt nichts mehr schiefgehen.
Timo Boll, 27, ist der erfolgreichste Tischtennisspieler Deutschlands. Im Jahre 2003 war er für sieben Monate Erster der Weltrangliste.