"Das 17. Bundesland Deutschlands!" Wer sich dieses Jahr nach den Sommerferien durch die Strandreportagen der Fernsehstationen schaltete, kam um die unheimlich lustig gemeinte Einordnung Mallorcas als urlaubsdeutsche Quasi-Kolonie nicht herum. Im Gegensatz zu dem Beitritt des Saarlandes (1957) und der mit ihrem Beitritt nicht mehr existenten DDR (1990) wäre jedoch ein Beitritt der spanischen Insel zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik mindestens ein gravierendes Verfassungsproblem. Aus deutscher Sicht nicht zuletzt, weil der Paragraph 23 des Grundgesetzes, der einen solchen Beitritt ermöglicht, mit der Wiedervereinigung 1990 in seiner alten Form abgeschafft wurde.
Was aber, wenn die BRD selbst einem anderen, bereits existierenden Staat beitreten wollte? Wäre es etwa denkbar, dass Deutschland der 51. Staat der USA werden könnte? Im Prinzip ja: Denn die US-amerikanische Verfassung sieht nicht nur die Aufnahme von souveränen Ländern in die Staatengemeinschaft vor, sondern die USA gründen historisch sogar auf dem Prinzip solcher Beitritte. Das zeigt etwa ein Blick in die wechselvolle Geschichte des Star-Spangled Banner, der US-amerikanischen Flagge.
Protest gegen "Amerikanisierung"
Pläne, der 51. Staat der USA zu werden, werden in verschiedenen Ländern der Erde tatsächlich immer wieder angestellt. Puerto Rico etwa ist einer der am häufigsten genannten, aussichtsreichsten Kandidaten. In Ländern wie Kanada, Australien, Neuseeland oder Großbritannien wird gerne ironisch mit der Bezeichung "51st State" gespielt, um die "Amerikanisierung" oder die – für manche Beobachter/innen zu engen – politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bande des eigenen Landes mit den USA zu kritisieren.
Im Großbritannien der 1980er-Jahre erlebte diese Bezeichnung in der Popmusik eine kleine Blüte. 1979 wurde die konservative Politikerin Margaret Thatcher zur britischen Premierministerin gewählt. Bis zur ihrem Sturz im Jahre 1990 brachte sie Teile der britischen Gesellschaft gegen sich auf – nicht nur wegen ihres neoliberalen Kurses, sondern auch aufgrund ihrer besonders US-freundlichen Politik. Im Umfeld des Post-Punk entstanden einige Songs, die sich entschlossen gegen die Politik der Premierministerin richteten – zum Beispiel gegen die Stationierung von US-amerikanischen Flugkörpern mit nuklearen Sprengköpfen in Großbritannien.
Star-spangled Union Jack
Das Lied "51st State", bereits 1979 von Ashley Cartwright, dem Sänger der weitgehend unbekannten englischen New-Wave-Band The Shakes geschrieben, brachte die Kritik an der als übertrieben empfundenen US-Freundlichkeit der britischen Politik auf einen tanzbaren Punkt. Erst jedoch, als die britische Post-Punkband New Model Army das Lied 1986 erneut als Single veröffentlichte, begann die Erfolgsgeschichte von "51st State". Nicht nur in Großbritannien und der BRD wurde der Song zu einem kleinen Independent-Hit, er lieferte auch einer USA-kritischen Jugend weltweit eine Hymne, mit der man sich leicht, vielleicht allzu leicht, identifizieren konnte: "We're the 51st state of America", so der Refrain. Und in der zweiten Strophe heißt es: "Our star-spangled Union Jack flutters so proud."
Auch in der Bundesrepublik Deutschland der 1980er-Jahre waren die USA als Siegermacht des II. Weltkrieges durch die vielen Stützpunkte ihrer Streitkräfte im Land sehr präsent. Bereits 1955 wurde aber mit der Ratifizierung der "Pariser Verträge" der BRD weitgehende Souveränität, unter Beibehalt so genannter "alliierter Vorbehalte", garantiert. Trotzdem reichte die Vorstellung, dass die Anwesenheit des US-Militärs in Westdeutschland als "Besatzung" zu sehen sei – "Tip your hat to the Yankee conqueror" – damals von rechts-nationalistischen Kreisen bis hin zu linken, anti-imperialistischen Gruppierungen.
Wer "51st State" auf westdeutschen Tanzflächen der 1980er-Jahre mitsang, brachte also nicht nur ein Übersetzungsproblem zum Schwingen – nicht nur sprachlicher, sondern auch historischer und politischer Art. Im bisher ungeschriebenen Buch über die deutschen Sonderwege der Poprezeption sollten für "51st State" daher mindestens zwei Seiten reserviert werden.
Martin Conrads lebt als Poprezipient in Berlin, wohin ihn diverse Sonderwege führten.