In den vergangenen Jahren hat der Begriff „Nazi“ eine bedenkliche Karriere gemacht: Von einer politischen Bezeichnung für alte wie neue Nationalsozialisten ist der „Nazi“ mittlerweile zu einer gängigen Beleidigung geworden, mit der sich Menschen gegenseitig beschimpfen. Weil er sich vom ständigen Rasenmähen seiner Sylter Nachbarn belästigt fühlte, bezeichnete der Liedermacher Reinhard Mey diese einst als „Gartennazis", und Altbundeskanzler Willy Brandt (SPD) bezichtigte seinerzeit Heiner Geißler (CDU) „seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land” zu sein. Ausgerechnet in Israel haben Schimpfkanonaden, die sich auf die Hitlerzeit beziehen, Konjunktur. Damit aber könnte dort bald Schluss sein – zumindest wenn es nach Uri Ariel geht, einem rechtskonservativen Abgeordneten des israelischen Parlaments. Ariel, Abgeordneter der Nationalen Union, hat dem israelischen Parlament Anfang Januar einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die missbräuchliche Nutzung der Symbole des Holocaust wie Judenstern oder Hakenkreuz und des Wortes „Nazi“ mit umgerechnet bis zu 75.000 Euro oder einem halben Jahr Haft unter Strafe gestellt würde. „Unglücklicherweise sind wir in den vergangenen Jahren Zeugen einer zynischen Ausnutzung von Nazi-Symbolen geworden, mit der die Gefühle von Holocaustüberlebenden, ihrer Familien und vieler anderer Israelis verletzt werden“, erläuterte Uri Ariel seine Gesetzesinitiative.
Wer einen Judenstern trägt, riskiert eine Strafe von 75.000 Euro
Die ist auch eine Reaktion auf eine Protestaktion ultraorthodoxer Juden, bei der einige Teilnehmer in schwarz-weiß gestreifter KZ-Häftlingskleidung mit gelbem Davidstern auf der Brust gegen eine drohende Aufhebung der Geschlechtertrennung etwa in öffentlichen Bussen demonstrierten. Bei diesen Protesten wurden Polizisten zudem als „Nazis“ beschimpft. Der Auftritt in KZ-Häftlingskleidung war längst nicht das erste Mal, dass ultraorthodoxe Demonstranten den Staat derart verunglimpften oder mit dem Naziregime verglichen. Der Holocaust und die Nazis sind in Israel, auch fast 64 Jahre nach Gründung des Staates, allgegenwärtig. Der Autor Avraham Burg, selbst Sohn eines Holocaustüberlebenden und früherer Sprecher des israelischen Parlaments, beschreibt in seinem Buch „Hitler besiegen: Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss“ die symbolischen und politischen Folgen des Holocaust für sein Land. „Die Shoah und die Gräueltaten, die die Nazis an uns verübten“, schreibt Burg, „sind untrennbarer Teil der aktiven israelischen Gegenwart“ – weshalb die Deutungshoheit über den Holocaust in gewisser Weise auch politische Macht bedeute.
Genau deshalb sehen zivilgesellschaftliche Gruppen in Israel den neuen Gesetzentwurf besonders kritisch. Lila Margalit, eine Anwältin der Vereinigung für Bürgerrechte in Israel (ACRI), schrieb in einer Protestnote an das Parlament: „Gerade wegen der zentralen Bedeutung des Holocaust ist der Versuch, zu regeln, wann und in welchem Umfeld darauf Bezug genommen werden darf, sehr problematisch.“ Die erste Hürde hat das Gesetz aber bereits genommen: Das missbräuchliche Tragen eines gelben Davidsterns oder einer KZ-Uniform soll in Zukunft genauso strafbar sein wie die Unterstellung, jemand würde die Ziele der Nationalsozialisten verfolgen, sowie die Beschimpfung anderer als Nazis. Einen entsprechenden Entwurf hat ein Ausschuss des Regierungskabinetts gebilligt. Ausnahmen vom Gesetz sollen lediglich für Studien- oder Dokumentationszwecke und historische Aufarbeitungen gelten – und natürlich für den Fall, dass jemand tatsächlich und nachgewiesenermaßen ein Nazi ist.