Mandy und Marco haben ihre Mutter verloren. Sie wurde vom Stiefvater erschossen, aus Eifersucht. Mit ihrem Halbbruder Marcel wohnen die beiden nun in jenem Reihenhaus, in dem der Mord geschah.
Eine Bekannte der drei Jugendlichen wendet sich an Vera Int-Veen und ihre Show. Und Vera hilft prompt. Mit einem kleinen Wohnmobil fährt sie vor. Sie hat sich vorgenommen, alle Erinnerungen an diese schreckliche Tat aus dem Haus zu verbannen. Eine Komplettrenovierung will sie vornehmen. Dafür trommelt sie die nötigen Handwerker und Freunde zusammen und kümmert sich nebenher darum, dass Mandy einen neuen Job findet. Sie macht sich zu einem Zirkus auf, der gerade in der Stadt weilt, stellt sich in die Manege und ruft dazu auf, den Jugendlichen zu helfen. Und am Ende der Sendung stehen alle Beteiligten vor dem frisch renovierten Haus, und Mandy hat einen neuen Job. Alle weinen vor Glück.
"Helptainment" nennt man diese neue Art der Doku-Soap, in denen Menschen geholfen wird, denen Schreckliches oder Ungerechtes zugestoßen ist. Helfer mit Herz auf RTL ist eine von ihnen, der geschilderte Fall wurde im Oktober 2006 ausgestrahlt. Eine andere Show auf RTL II heißt Engel im Einsatz, dort ist Verona Pooth die aufopferungsvoll Helfende. Die Botschaft dieser Sendungen ist dieselbe: Es gibt noch Menschen, die helfen. Und: Wir können alles schaffen, wenn wir es zusammen tun.
Die Botschaft kommt an: Zwischen vier und fünf Millionen Menschen sahen in den vergangenen Monaten regelmäßig zu. In Veras Online-Gästebuch erzählen die Zuschauer, wie sie die Sendung zu Tränen gerührt hat. "Ein großes Lob an Vera und an Ihr Team", schreibt einer, "ich denke, man sollte (auch) als Normalbürger wieder dieses Hilfsbereite unter Nachbarn und Freunden hervorrufen." Es gibt Tausende solcher Einträge. Doch nur ein Fan bietet konkret seine Hilfe an. Man solle ihn bei Bedarf kontaktieren.
Die Frage ist: Wie ernst kann man diese Solidarität nehmen, die vor dem Fernseher entsteht? "Das Ansehen dieser Shows ist eine Ersatzhandlung", sagt Andrea Nolte, Me-dien-wissenschaftlerin an der Universität Paderborn. "Wenn RTL hilft, dann muss ich mir keine Gedanken mehr machen über das Schlechte in der Welt." Nolte sagt aber auch, dass man es sich zu einfach mache, wenn man diese Sendungen einfach verreißt. So erfüllten sie beim Publikum ja ein bislang von den Fernsehsendern vernachlässigtes Bedürfnis.
Nach Big Brother und vergleichbaren voyeuristischen Reality-Formaten sind nun verstärkt Serien gewünscht mit einem authentischen Happy End. So erklärt sich auch der Erfolg eines Programms wie Deutschland sucht den Superstar. Man entscheidet sich für einen Kandidaten, bringt diesen mit seinen Anrufen ins Finale und hofft darauf, dass er gewinnt. "Die Anschlusskommunikation zeigt, wie stark die Identifikation mit den Menschen im Fernsehen sein kann. Allein mit den Telefonanrufen hat RTL Millionen verdient", sagt Jens Köster vom Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau. Er glaubt, dass es zu einer Solidarisierung mit bestimmten Personen kommt, auch bei Helfer mit Herz. Und gleichzeitig wird das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe gestärkt.
Doch aus Solidarität scheint irgendwann eine Anspruchshaltung zu werden, je länger die Show läuft. So haben sich schon mehrmals Betroffene über das plötzlich schwindende Interesse nach Drehschluss bei RTL beschwert und darüber, dass versprochene Hilfe nicht angekommen sei. Der Sender hält dagegen, dass alle Versprechungen eingehalten worden seien. Auch in Veras Online-Gästebuch werden Gratulationen zu der Sendung mit der Zeit immer seltener, dafür melden sich jetzt öfter Menschen, die Hilfe brauchen – von der Kletterspinne im Kindergarten bis hin zur Jobsuche. Und bei vielen scheint klar, dass sie die Fernsehsendung nicht mehr von der Realität unterscheiden können. Sie glauben tatsächlich, dass es einem Sender wie RTL mit seinen Help-Soaps darum gehe, zu helfen und nicht vor allem darum, hohe Einschaltquoten zu erzielen.
Ein Fan schrieb: "Liebe Vera (…) Gestern habe ich telefonisch durch Ihre Redaktion eine Absage erhalten. Die Begründung lautete: Wir müssen Ihnen absagen, weil wir zu viele Bewerber haben. Liebe Vera, ich habe mich nicht für Ihre Sendung beworben!
Ich habe Sie – Sie persönlich – um Hilfe gebeten."