Als Fabian Sixtus Körner 2007 mit seinen Reisebekanntschaften Jeff und Jo die ausgetrampelten Touristenpfade in Laos verlässt, steht lediglich der Name des Langbootes fest, das die drei einem alten Fischer in einem Anfall spontaner Abenteuerlust abgekauft haben. Die Australierin Jo hat das Boot LAMSIL getauft: "Losing All My Shit In Laos". Keiner von ihnen kann mit einem Boot umgehen und gleich am Anfang kentern sie um ein Haar. Egal, weiter geht's: "Vier Tage paddelten wir in sengender Hitze durch reißende Stromschnellen und tropischen Platzregen, durch dichtbewachsenen Dschungel voller brüllender Affen, kreischender Vögel und zirpender Zikaden, summender Moskitos und lautloser Schlangen." Das Trio unterbricht seine Tour auf dem breiten Fluss Nam Ou, um in verschiedenen Dschungeldörfern Halt zu machen. Sie werden "argwöhnisch beäugt, neugierig berührt, liebevoll umarmt".
Ohne die aufregenden Erlebnisse im Nordosten von Laos wäre Körners Leben wohl anders verlaufen. Der Trip machte ihn reisesüchtig. Drei Jahre nach der Laos-Reise befindet er sich am Beginn eines richtig großen Reiseabenteuers. Zwei Jahre wird es dauern, von 2010 bis 2012, und über fünf Kontinente gehen.
Ein Reisebuch, das richtig Lust auf Reisen macht
Körner hat über seine Weltreise einen Blog geführt, "Stories of a Journeyman", Geschichten eines Gesellen hieß er. Aus den Einträgen wurde jetzt im Nachhinein ein sympathisch unprätentiöses, erfreulich lebendiges Reisebuch, reich an persönlichen Einsichten. Gespickt mit interessanten, lustigen, melancholischen Anekdoten sollte es vielleicht Pflichtlektüre für all jene werden, die sich mit dem Gedanken rumschlagen, eine längere Reise zu machen, sich aber bislang nicht getraut haben. Zum Beispiel, weil sie nicht wissen, wie so etwas finanziell klappen könnte. Körners Buch macht Mut: Als der damals 28-jährige Wiesbadener in die weite Welt zieht, hat er nach seiner ersten Flugbuchung nur noch 255 Euro auf dem Konto.
Beängstigend wenig, aber genau darum geht’s: Wie manche Schreiner, Schlosser oder Dachdecker es auch heute noch tun, begibt sich der junge Innenarchitekt auf die Walz. Seine Arbeitskraft wird er für Kost und Logis anbieten. Geld verdienen will er keines, weil das gegen die Walzregeln verstößt. Flüge und andere Verkehrsmittel bezahlt er aus eigener Tasche.
Auf einer Walz geht es darum, möglichst viele Erfahrungen zu sammeln, die Welt zu sehen und die arbeitstechnischen Fertigkeiten zu verbessern, so will es die Tradition. Der Handwerksgeselle soll reifen – für den Beruf, fürs Leben. Danach darf er seinen Meister machen. Körner interpretiert die Tradition neu. Als Innenarchitekt mit guten Kenntnissen in Fotografie und Kommunikationsdesign führt er eine "Design-Walz" und statt eines klassischen Walztagebuchs einen Walz-Blog. Bestückt mit einem 60-Liter-Reiserucksack, seinem Laptop und zwei Kameras fliegt Körner zunächst nach Schanghai.
Glück und Pannen liegen eng beieinander
"Kommen Sie vorbei, wir schauen dann mal" – die Einladung in die Schanghai-Filiale des berühmten Architekturbüros David Chipperfield hat Körner sich großartiger vorgestellt. Im Flugzeug vergisst er Pass, Bankkarte und Bargeld. Ihm bricht der Angstschweiß aus. Zum Glück findet eine Angestellte des Bodenpersonals seinen lebenswichtigen Hüftbeutel. Es sind gerade solche Stellen, die "Journeyman" zu einem ungemein sympathischen Buch machen. Mit dem selbsternannten Design-Gesellen, der sich nie als Checker geriert, fiebert man gerne mit.
In Schanghai darf er bei Chipperfields großangelegtem "Rockbund-Project" mithelfen, bei dem ehemalige Kolonialbauten restauriert werden. Verwundert sieht er eine nahe gelegene Arbeiterzeltstadt in einer großen Lagerhalle. Ganze Familien sind dort untergebracht. Die Arbeitgeber sparen so viel Geld. Nach drei Monaten läuft Körners Visum aus. Zum Abschied haben sich die Kollegen etwas Besonderes ausgedacht: "Als erster Deutscher werde ich in den erlesenen Kreis des Samstags-Karaoke aufgenommen." Das gilt als große Ehre.
In Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur, seiner nächsten Station, fühlt er sich pudelwohl. Seinen Job als "internationaler Botschafter" bei der dortigen "Design Week" findet er vielseitig und spannend, obwohl ihn mitunter das Gefühl beschleicht, nicht wirklich gebraucht zu werden. Im ägyptischen Alexandria verflucht er todesmutige Taxifahrer und arbeitet als "Head of Design" für eine große Bootsmesse. Als die Hafenstadt sich zu Ramadan leert, fast zur Geisterstadt wird, erfährt er, was es heißt, richtig einsam zu sein. Er beginnt, mit Katzen zu sprechen. Überhaupt keinen Freund zu haben, das weiß Körner danach, ist das Allerschlimmste. Noch schlimmer als zu viele Menschen um sich zu haben. Rückzugsräume sind im übrigen Mangelware auf seiner Weltreise.
Ein Lehrgang in Toleranz
In San Francisco erlebt Körner ein Erdbeben. Und er lernt recht schnell, dass "Couchsurfing" in Kalifornien gerne etwas anderes interpretiert wird: als ein Date mit der Option auf Sex. Im australischen Brisbane arbeitet er als Layouter für ein junges Plattenlabel, zusammen mit einer Horde trink- und kiff-freudiger Australier. An den permanenten Uringestank in Bangalore kann er sich nicht gewöhnen, und die indischen Sitten und Gebräuche bleiben ihm rätselhaft. Aber er ergattert in der indischen IT-Metropole einen spannenden Job mit viel Eigenverantwortung: Körner entwirft einen vertikalen Garten für eine Gebäudefassade. Fertig wird der Garten aber nicht, denn irgendwas fehlt immer.
Es ist, wie es immer schon war: Der Geselle wächst mit seinen Aufgaben. Eine Fotoausstellung organisieren oder Videos drehen – so was hat Körner nie zuvor gemacht. Auf seiner Reise tut er es und findet großen Gefallen daran. Dass Deutsche fast überall auf der Welt als besonders gut strukturierte Arbeiter gelten, hilft ihm übrigens bei der Arbeitssuche.
Die zweijährige Reise hat ihn verändert, schreibt Körner in seinem Buch. Vorurteile relativiere er heute stärker als früher, offener sei er insgesamt geworden – und viel entspannter in Geldfragen. "Als Journeyman habe ich bewusst und unbewusst Grenzen überschritten – und auch in Zukunft muss ich in Bewegung bleiben, will ich auf der Suche nach einem glücklichen Leben nicht in eine Sackgasse geraten […] Was bedeutet schon Karriere, was bedeutet Besitz? Auch ein Hamsterrad sieht von innen aus wie eine Karriereleiter."
Mitte 2012 zog Körner nach Berlin. In einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger rät er wankelmütigen Weltreisekandidaten, ein Flugticket zu lösen, das einen Termin in einem halben Jahr festlegt und nicht retournierbar ist. "In einem halben Jahr kann man sich seelisch und organisatorisch gut vorbereiten – und dann gibt es kein Zurück mehr."
Fabian Sixtus Körner: Journeyman. 1 Mann, 5 Kontinente und jede Menge Jobs (Ullstein 2013, 288 S., 14.99 €)
Links
Fabian Sixtus Körners Reiseblog "Stories of a Journeyman"