Bei Dave Eggers fragt man sich immer, wie er das schafft: Bücher schreiben, Magazine herausgeben, neue Arten von Tageszeitungen erfinden, sich für politisch Verfolgte einsetzen und für seine vielköpfige Familie da sein. Und dann schaut er auf Porträts immer noch so gut gelaunt verwuschelt in die Welt, als läge er den ganzen Tag auf dem Sofa.
Eggers ist das Gegenmodell zu all den stromlinienförmigen Hoodieträgern im Silicon Valley. Während andere permanent auf ihre Handys schauen, schaut Eggers auf die Gesellschaft und entdeckt dabei beunruhigende Entwicklungen. So hat er für sein Buch „Zeitoun“ dem Schicksal eines syrischstämmigen Handwerkers in New Orleans nachgespürt, der auf absurde Weise in die Mühlen der US-amerikanischen Terrorabwehr gerät. Hier zeigte Eggers mit seiner akribischen Recherche die Demokratiedefizite seines Heimatlandes.
Aber es geht ihm nicht nur um staatlichen Terror, sondern zunehmend um die Zumutungen der Globalisierung und die Allmacht großer Konzerne – zum Beispiel von Google. In seinem neuesten Buch heißt dieses Google „Circle“, die Parallelen sind offensichtlich: Das Unternehmen beherrscht den Suchmaschinenmarkt und strebt nach mehr. Mit TruYou hat es eine App erfunden, mit der die User nur noch ein Login und ein Passwort für alles brauchen – zum Preis der völligen Preisgabe ihrer Identität.
Niemand soll sich mehr im Internet verstecken können, stattdessen soll die Welt an der völligen Transparenz gesunden. Livebilder und Ratings im Sekundentakt sollen Verbrechen vorbeugen, jeder Mensch sein Handeln offenbaren. Es wird getrackt, gelinkt und gefilmt, dass es kracht. Denn was bitte kann an der Wahrheit Schlechtes sein? Und was haben die Menschen, die sich nicht filmen lassen oder sich nicht ständig zu ihren Vorlieben äußern, zu verbergen? Na also.
Das Buch ist eine Art Big Brother im Fanmeilen-Format. George Orwell mit dem Holzhammer, bar jeder Subtilität. Besonders die Protagonistin agiert so geistlos, dass die beschworene Gehirnwäsche gar nicht nötig erscheint, weil kein Gehirn vorhanden ist. Schon an ihrem ersten Arbeitstag kann Mae Holland ihr Glück kaum fassen, bei diesem coolen, weltberühmten Konzern zu arbeiten. Der lässt seine Mitarbeiter von Spitzenköchen bekochen, von berühmten Musikern bespaßen, veranstaltet Partys und macht auch sonst alles, so dass ein Leben jenseits des Firmensitzes überflüssig wird. Wer bei alldem nicht mitmacht, wird schnell als antisozialer Außenseiter gebrandmarkt. Einmal wird Mae von den Kollegen gefragt, warum sie ihren letzten Kanutrip nicht gefilmt hat, um das Erlebnis mit den anderen zu sharen. Statt ihre Privatsphäre gegen die Anmaßungen eines Späh-Monsters zu verteidigen, bekommt sie ein schlechtes Gewissen und legt sich noch mehr ins Zeug.
Irgendwann stellt sie ihr ganzes Leben online, mit einer Kamera um den Hals filmt sie jede Minute für Millionen Viewer und ist froh um die Disziplin, die ihr das abverlangt. Auf rund 550 Seiten schafft es Mae nicht einmal, das totalitäre Gehabe ihres Arbeitgebers länger als fünf Minuten zu reflektieren. Stattdessen hat Eggers um sie herum eine kleine Gruppe von Bedenkenträgern arrangiert, von denen einer auf der Flucht vor Drohnen und einem technologiesüchtigen Mob sterben muss. Da hat dann auch der Letzte kapiert, dass die Überwachungssaat des Circle böse Früchte treibt. Dieses Buch sollte man nicht nur nicht bei Amazon bestellen, sondern einfach gar nicht.