Was kann man als Heranwachsender schon in der Kleinstadt oder auf dem Dorf machen? Frieder entscheidet sich dafür, kurzerhand den Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz umzusägen, und kriegt sich gar nicht mehr ein vor diebischer Freude, die Provinzidylle empfindlich gestört zu haben. Alle Erwachsenen regen sich natürlich mächtig auf, nur seine Freunde, mit denen Frieder gemeinsam vor dem Abi steht, sind voller Bewunderung. Als er dem Spießeralltag dann aber durch Selbstmord entkommen will, hört der Spaß natürlich auf. Obwohl: Auf eine gewisse Weise fängt er da erst richtig an.
Die Psychiater raten Frieder, nicht mehr bei seinen Eltern zu wohnen, und so zieht er mit seinen Freunden in ein altes, verlassenes Haus, das seinem Großvater gehört und nicht nur für ihn zur Rettungsinsel wird. Jeder der Heranwachsenden hat einen Grund, hier zu sein: Der Ich-Erzähler Höppner hasst den fiesen Freund seiner Mutter, Cäcilia rennt vor dem Reichtum ihres Elternhauses fort, Vera klaut und kifft gegen ihre Unbehaustheit an, und ausgerechnet unter dem Dach kommt eine notorische Brandstifterin unter.
Der stillstehenden 80er-Jahre-Welt setzt diese WG einen Empathie-Kosmos entgegen, in dem das Anderssein ohne Aufhebens akzeptiert wird. Die versprengten Jugendlichen aus mehr oder weniger gefestigten Verhältnissen bilden eine Therapiegruppe, nicht nur für Frieder. Niemand macht große Worte, das ist der mitreißende Sound dieses Buchs. Er ist einfach, schnörkellos und gerade durch die Vermeidung von Pathos oder wolkigen Gefühlsbeschreibungen einnehmend. Ein bisschen wie bei „Tschick“, Wolfgang Herrndorfs Bestseller über zwei Ausreißer und ihren sommerlichen Roadtrip. „Auerhaus“ ist mal poetisch, mal melancholisch, mal schnoddrig, aber nie von irgendwas zu viel.
Natürlich wird das Haus ein Magnet für gesellschaftliche Außenseiter wie Harry, ein bisexueller Handwerker, der mit seinem Ami-Schlitten in die nahe Großstadt fährt, um sich als Stricher zu verdingen. Der Einkauf der WG findet meist bargeldlos im nahen Supermarkt statt, wobei Frieder den anderen in der Küche seine Tricks beibringt, während im Radio der Madness-Song „Our House“ läuft, der dem Buch seinen Namen gibt. Die Frage, warum sich Frieder umbringen wollte, ist ein anderer Soundtrack der Geschichte, und die Indizien werden ganz beiläufig serviert – etwa als die WG im Haus einen Raum ohne Fenster entdeckt, der früher mal ein Kinderzimmer war. Da läuft es einem dann doch mal kalt den Rücken runter.
Doch das Schicksal ist in diesem Buch kein mieser Verräter, es wird unaufgeregt hingenommen, es werden intuitiv die richtigen Schlüsse gezogen, wie man es vielleicht doch verändern kann. Nach Kräften repariert die WG Frieders Seele und ist sich doch jederzeit einer möglichen Vergeblichkeit bewusst. Denn wie sagt Höppner so schön: „Wir hatten immer so getan, als ob das Leben im Auerhaus schon unser richtiges Leben wäre, also ewig.“
Bov Bjerg: „Auerhaus“. Blumenbar, Berlin 2015, 240 Seiten, 18 Euro