Wer hätte das gedacht: Ein Spielfilm über pädophile Pfarrer, die jahrelang Kinder missbrauchen und von der katholischen Kirche gedeckt werden, gewinnt den Oscar. Fast könnte man darin ein Stück Wiedergutmachung sehen, schließlich wurde die Academy im Vorfeld der Preisverleihung stark dafür kritisiert, wieder einmal keine schwarzen Künstler nominiert zu haben. Mit „Spotlight“ bewiesen die Jurymitglieder nun immerhin, dass sie ab und zu doch noch ein Gespür für gesellschaftspolitische Relevanz besitzen.
Geballte Ladung Langeweile
Allerdings liegt auch der Verdacht in der Luft, dass der erste Preis für „Spotlight“ vor allem eine politische Entscheidung ist. Zumal es andere Gründe kaum geben kann: Der Film, der die tatsächlichen Recherchen der Zeitung „Boston Globe“ in den Jahren 2001 bis 2003 in den Mittelpunkt stellt, zeigt das Leben der investigativen Journalisten fast schon aufreizend holzschnittartig. Entweder sitzen sie mit hochgekrempelten Ärmeln in ihren deprimierenden Büros herum, oder sie laufen mit gezücktem Schreibblock durch die Gegend oder rennen gegen Türen, die sich gerade geschlossen haben. Diese Szenen summieren sich während der zwei Stunden zu einer geballten Ladung Langeweile.
Dabei gibt es ja genügend spannende Filme über reale Skandale, die von investigativen Journalisten aufgedeckt wurden – zuallererst ist da natürlich die Mutter aller Reporterfilme zu nennen: „All the president’s men“ (dt.: „Die Unbestechlichen“) mit Dustin Hoffman und Robert Redford über den Watergate-Skandal. Die düstere Atmosphäre, das klandestine Milieu, die von Überwachung und Verdachtsmomenten durchdrungene Gesellschaft, das alles erzeugt noch heute eine Sogwirkung. So hätte auch „Spotlight“ sein können, denn wie damals die Fußtruppen des US-Präsidenten Richard Nixon mit übelsten Tricks versuchten, ihre Taten zu vertuschen, so fragwürdig agierten in Boston die obersten Würdenträger der katholischen Kirche. Bernard Law, der Erzbischof von Boston, wusste von den Missbrauchsfällen in seiner Gemeinde und tat nichts dagegen. Nach Bekanntwerden des ganzen Ausmaßes holte ihn der Papst nach Rom und besorgte ihm dort einen Posten.
„Anstatt Journalisten dafür abzufeiern, dass sie gemacht haben, wofür sie da sind, hätte man lieber gewusst, wie dieser Skandal über Jahre kaum Beachtung finden konnte.“
Bei „Spotlight“ besteht die große Recherche zunächst nicht aus geheimen Treffen mit Zuflüsterern, sondern aus dem Gang ins eigene Archiv. Von dort fördern die „Boston Globe“-Redakteure Artikel hervor, die sie regelmäßig in Staunen versetzen. Die Geschichte über die pädophilen Pastoren, die kleine Jungs vergewaltigten, war schon längst im Blatt, nur hat sich niemand so richtig dafür interessiert und das ganze Ausmaß recherchiert. Da fügt sich ins Bild, dass der wichtigste Informant einen Kasten voller Beweismittel in die Redaktion trägt, den er schon vor Jahren mal angeboten hatte. Erst ein neuer Herausgeber sorgt dafür, dass die Reporter ihr Phlegma ablegen und endlich den Abgrund sehen, der sich die ganze Zeit vor ihrer Nase aufgetan hat.
So ist der Film unfreiwilligerweise nicht nur ein beklemmendes Zeugnis für das fehlende Unrechtsbewusstsein in der katholischen Kirche, sondern auch dafür, wie sehr Journalisten danebenliegen können. Dass sie eben keinen guten Riecher haben können oder noch schlimmer: kein Gefühl für Moral. Anstatt die Journalisten dafür abzufeiern, dass sie letztlich das gemacht haben, wofür sie da sind, hätte man lieber mal gewusst, wie dieser Skandal in der Zeitung über Jahre kaum Beachtung finden konnte, obwohl sich sein Ausmaß früh andeutete. So aber denkt der Film die Geschichte nur vom heroischen Ende her. Die Reporter bekommen einen Preis, die US-Kirche wird im ganzen Land mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert und letztlich zur Zahlung von einer Milliarde Dollar an die Opfer verdonnert.
Wann kommt ein Film über die Odenwaldschule?
Wie willkürlich und zufällig die Nachrichten-Karriere von Skandalen ist, zeigt ein ähnliches Beispiel in Deutschland. Bereits im Jahr 1999 hatte ein Reporter der „Frankfurter Rundschau“ über Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule berichtet – ohne dass eine breitere Öffentlichkeit davon groß Notiz genommen hätte. Erst zehn Jahre später führte ein Artikel mit denselben Vorwürfen zu Ermittlungen und großem Aufhorchen. Vielleicht nimmt sich mal ein deutscher Regisseur dieser Geschichte an und macht es hoffentlich besser als die Truppe von „Spotlight“.
„Spotlight“, USA 2015; Regie: Thomas McCarthy, Drehbuch: Thomas McCarthy, Josh Singer, mit Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams, John Slattery, Stanley Tucci und Liev Schreiber